Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bundeswehr-Rutschbahn Afghanistan - Vom Stabilisierungs-Einsatz zur Kampfmission?

Ein Beitrag aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"

Von Andreas Flocken *

Im Zusammenhang mit der Afghanistan-Mission hört man im Verteidigungsministerium das Wort Kampfeinsatz überhaupt nicht gerne. So war es auch in der vergangenen Woche. Durch ein Interview eines Verteidigungsexperten wurde einer breiten Öffentlichkeit bekannt, dass die Bundeswehr schon demnächst einen -- wie es hieß -- Kampfverband an den Hindukusch schicken werde. Offiziell entschieden ist zwar noch nichts, doch die Bundeswehr wird sich dieser NATO-Forderung nicht entziehen können. Daher werden im Sommer rund 240 Bundeswehr-Soldaten den in Mazar-i-Scharif stationierten norwegischen Eingreifverband ablösen. Diese im Fachjargon "Quick Reaction Force" genannte Einheit kommt immer dann zum Einsatz, wenn Gefahr im Verzuge ist, beispielsweise angegriffene ISAF-Soldaten Unterstützung benötigen. Die Quick Reaction Force war aber auch an offensiven Operationen gegen die Taliban beteiligt. Zuletzt im vergangenen Herbst. Die Soldaten standen dabei in vorderster Linie. Damals zitierte die Osloer Tageszeitung AFTENPOSTEN den Kommandeur des norwegischen ISAF-Kontingents mit den Worten, seit dem Zweiten Weltkrieg seien norwegische Soldaten nicht mehr in derart schwere Kämpfe verwickelt gewesen.

Solche Kampfeinsätze könnten ab Sommer auch auf den deutschen Verband zukommen. Kein Wunder, dass die Öffentlichkeit jetzt aufschreckte. Denn die Bundesregierung hat bisher regelmäßig den Eindruck erweckt, bei dem Afghanistan-Einsatz handele es sich allein um eine Stabilisierungsmission, bei der es vor allem um den Wiederaufbau des Landes gehe. Dabei haben im Norden Afghanistans die Anschläge und Aktivitäten der Aufständischen zugenommen. Und auch die Bundeswehr ist inzwischen dazu übergegangen, sich an offensiven Operationen zu beteiligen. Nur: Die Öffentlichkeit erfährt davon nichts. Ihr wird seit geraumer Zeit nicht mehr reiner Wein eingeschenkt. Stattdessen werden Nebelkerzen geworfen. Nach der Terminologie des Verteidigungsministeriums beteiligt sich die Bundeswehr nicht an Kampfeinsätzen. Offensichtlich befürchtet das Ministerium, volle Transparenz könnte die mehrheitliche Ablehnung der Afghanistan-Mission durch die Bevölkerung noch weiter verstärken. Diese zweifelhafte Informationspolitik wird bei der gegenwärtigen Diskussion um eine deutsche Quick Reaction Force fortgesetzt. Für das Verteidigungsministerium bedeutet die Entsendung eines solchen Verbandes keine wesentliche Änderung des Auftrages der Bundeswehr am Hindukusch. Ministeriumssprecher Thomas Raabe in der vergangenen Woche:

"Es ist deshalb aus meiner Sicht keine völlig neue Qualität, weil es ja im Rahmen eines bestehenden Mandates gemacht wird, weil dort natürlich auch Aufgaben enthalten sein sollen, die auch jetzt schon ausgeführt werden zum Teil."

Nachdenklicher als der Sprecher des Verteidigungsministeriums ist allerdings die militärische Führung der Bundeswehr. Bereits vor zwei Monaten machte sich Generalinspekteur Schneiderhan über die Entsendung eines deutschen Eingreifverbandes Gedanken:

"Ich glaube, dass das untersucht werden muss, ob das in unserem Mandat, so einfach abgedeckt ist, oder ob man da auch ein inhaltliches Problem kriegt. Das kann ich im Moment nicht ganz solide beantworten, weil ich jetzt damit erst gerade begonnen habe, drüber nachzudenken.... Wir haben jetzt ein Mandat, das uns im Wesentlichen in die Lage versetzt, PRTs und PATs zu machen, und auch die OMLTs, und es lässt auch die Nothilfe zu, außerhalb unserer Area of Operation. Aber eine Quick Reaction Force, das kann man ja aus dem Namen so ein bisschen ableiten für was die da ist, das ist eben kein PRT."

PRTs - das sind die Wiederaufbauteams der Bundeswehr in Afghanistan. Möglicherweise hatte der ranghöchste Soldat der Bundeswehr im November auch schon auf seinem Radarschirm, dass die USA darauf dringen, sich in Afghanistan künftig wesentlich stärker als bisher auf die Bekämpfung von Aufständischen zu konzentrieren, auf Counterinsurgency Operationen. Dabei will man insbesondere auf Erfahrungen zurückgreifen, die man im Irak gemacht hat. Dort sind die Anschläge in den vergangenen Monaten zurückgegangen, u.a. wegen der Truppenverstärkungen. Für Pentagonchef Gates haben die NATO-Staaten bei der Aufstandsbekämpfung Defizite. Die Verbündeten könnten von den Erfahrungen der US-Streitkräfte lernen. Robert Gates:

"I've been encouraging some of our allies to take advantage of some of the lessons that we've learned in Afghanistan and especially in Iraq over the last several years."

Mag sein, dass sich die Bundeswehr hier nicht angesprochen fühlt. Die Quick Reaction Force würde bei der Aufstandsbekämpfung allerdings eine wichtige Rolle spielen. Hierzu passt, dass der scheidende ISAF-Stabschef, der Bundeswehr-General Bruno Kasdorf, mit Blick auf künftige Entwicklungen den Einsatz von Kampfpanzern und schweren Haubitzen ins Spiel gebracht hat. Kanadier und Dänen stützen sich bei ihren Einsätzen bereits auf Leopard-Panzer. Nach eigenen Angaben sehr erfolgreich.

Absehbar ist schon jetzt, dass es bei der im Oktober anstehenden Verlängerung des ISAF-Mandates nicht bei der gegenwärtigen Obergrenze von 3.500 Soldaten bleiben wird. Vieles spricht dafür, dass die 4.000er Grenze durchbrochen wird. Afghanistan -- eine Rutschbahn für die Bundeswehr.

* Quelle: NDR, Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, gesendet am 26.01.2008 / 19.20-19.50 Uhr

Im Internet: www.ndrinfo.de



Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zur Sonderseite über die Initiative der Friedensbewegung "Truppen raus aus Afghanistan"

Zurück zur Homepage