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"Mir wird schlecht, wenn ich sehe, wie Deutschland sich in Afghanistan drückt!"

Die Stimmen der Kriegsverschärfer werden lauter - Regierung laviert - Karsten Voigt und Ulrich Klose (SPD) wollen mehr Kampf sehen


NATO erhöht Druck auf Deutschland

Generalsekretär fordert Einsatz der Bundeswehr auch im umkämpften Süden Afghanistans *

NATO und USA erhöhen gemeinsam ihren Druck auf Deutschland, den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu erweitern und auch im umkämpften Süden des Landes aktiv zu werden

Nach US-Verteidigungsminister Robert Gates machte sich am Wochenende NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer für zusätzliche Einsatzgebiete der Bundeswehr in Afghanistan stark.

»Deutschland leistet als Führungsnation im Norden vorbildliche Arbeit. Aus meiner Sicht könnte die Internationale Schutztruppe natürlich auch anderswo in Afghanistan mehr davon gebrauchen«, sagte de Hoop Scheffer einer Zeitung. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) wies Forderungen nach einem Engagement der Bundeswehr im umkämpften Süden Afghanistans erneut zurück. »Es wäre ein großer Fehler, den Norden, der halb so groß ist wie Deutschland, zu vernachlässigen, dort Truppen abzuziehen oder etwa durch verschiedene Regionen rotieren zu lassen«, sagte Jung in einem Pressebeitrag. »Allerdings habe ich auch immer gesagt: Wenn Freunde in Not kommen, werden wir ihnen helfen.« Darum leiste Deutschland beispielsweise die Tornado-Luftaufklärung für ganz Afghanistan.

»Die Chance, dass es beim 'Nein' der Bundesregierung zu deutschen Truppen in Südafghanistan bleiben wird, ist mehr als gering«, kommentiert indes Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE, das NATO-Verlangen. »Mag sein, dass das Verteidigungsministerium wie schon im Fall der Tornados und aktuell der Quick Reaction Force noch eine Weile die Öffentlichkeit mit einem wohlfeilen 'Nur in Notfällen' zu täuschen versucht. Das herrschende Verständnis von Bündnissolidarität und der eingeschlagene Kurs militärischer Eskalation machen es aber auf Dauer unmöglich, sich den immer drängenderen Forderungen von USA und NATO nach unverhohlener Beteiligung an Kämpfen zu entziehen. Notwendig ist daher ein Umdenken auf ganzer Linie: Die Bundesregierung muss sich endlich mit Friedens- statt mit Kriegsplänen befassen.« Es gehe nicht darum, auf Zuruf immer mehr Truppen bereitzustellen, sondern um einen tragfähigen Frieden, so Schäfer.

Der Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, Karsten Voigt, schließt einen Einsatz im Süden Afghanistans nicht aus. »Der robuste Kampfeinsatz, was immer das heißt, wird auch in Zukunft ein Ausnahmefall bleiben und die deutschen Politiker werden auch in Zukunft zögernder sein als manche anderen Europäer, eine solche Entscheidung zu treffen«, so Voigt in der ARD. Ein solcher Einsatz sei aber »nicht auszuschließen«.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Nachtwei, forderte die Bundesregierung zu einer Strategiediskussion auf, um dem Druck für eine Stationierung im Süden zu begegnen.

Die NATO sollte sich nach Ansicht von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) künftig wieder stärker um Abrüstungsfragen kümmern. »Die NATO braucht eine Rückbesinnung auf ihre Grundaufgaben«, dazu gehöre außer dem Beistand und der militärischen Verteidigungsfähigkeit auch das Bemühen um Abrüstung, sagte Steinmeier dem »Handelsblatt«. »Sicherheit schafft man nicht nur durch Waffen, sondern auch durch den Aufbau von Vertrauen.«

* Aus: Neues Deutschland, 4. Februar 2008


Klose für Kampfeinsätze auch im Süden

In der Debatte um eine Ausweitung des Bundeswehrmandats hat sich der SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose für mögliche Kampfeinsätze in ganz Afghanistan ausgesprochen. "Deutschland sollte die Quick Reaction Force übernehmen und sie stark genug machen, dass sie im Notfall in ganz Afghanistan eingesetzt werden kann - auch im Süden", sagte er der "Bild"-Zeitung. Klose, stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, unterstrich, dass die Nato eine Allianz sei, die auf Solidarität aufbaue. "Das bedeutet: Jeder trägt das gleiche Risiko."

Union für Kampfeinsätze im Norden

Dagegen lehnt die Union Kampfeinsätze der Bundeswehr in Südafghanistan weiter ab. "Um eine Überdehnung und Überforderung der Bundeswehr auszuschließen, muss der Einsatz auf den Norden begrenzt bleiben", sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andreas Schockenhoff, der "Berliner Zeitung". Der CDU-Politiker plädierte für ein stärkeres Engagement der Nato in Afghanistan. Das gelte nicht nur für den Süden, sondern auch für den Norden. Gleichzeitig sagte er Unterstützung für die Entsendung eines Kampfverbandes zu. "Die Bundeswehr ist bereit, sich im Norden stärker zu engagieren", erklärte Schockenhoff. Sie sei dort auf Kampfeinsätze vorbereitet.

FDP-Präsidiumsmitglied Birgit Homburger warf Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer in der "Berliner Zeitung" vor, die Debatte anzuheizen. Eine Ausdehnung des Bundeswehrmandats auf den Süden lehnte auch sie ab. "Ich erwarte, dass die Bundesregierung auf der Nato-Tagung die Forderung selbstbewusst zurückweist." Homburger verwies darauf, dass die Bundeswehr den Isaf-Einsatz über den Norden hinaus bereits mit Tornados und mit Lufttransporten unterstützt.

Quelle: ARD, www.tagesschau.de, 4. Februar 2008

"Mit wird schlecht"

In der BILD-Zeitung vom 4. Februar äußerte sich auch ein nicht näher genannter, ehemaliger General des deutschen Heeres. Er sagte: "Wir konsumieren hier Sicherheit, die uns die Amerikaner mit Ihrem Machtanspruch garantieren. Mir wird schlecht, wenn ich sehe, wie Deutschland sich in Afghanistan drückt!"

AFP, 4. Februar 2008



Abgekartetes Spiel

Eine Überraschung sind die US-Forderungen nach deutschen Kampfeinsätzen in Afghanistan nicht. Das Mandat dafür hat der Bundestag längst erteilt

Von Knut Mellenthin **


Künstliche Aufregung bei Regierung und staatstragender Opposition in Berlin: US-Verteidigungsminister Robert M. Gates hat in einem als »ungewöhnlich scharf« und »unangemessen« bezeichneten Geheimbrief die Bereitstellung deutscher Soldaten für Kampfeinsätze in Südafghanistan gefordert.

Man sei von dem Brief »überrascht« worden, behauptete Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Freitag voriger Woche in aller Unschuld. Das Zeitunglesen scheint nicht zu seinen Aufgaben zu gehören. Sonst wüßte er, daß Gates sich schon Mitte Dezember öffentlich und nicht eben diplomatisch darüber beschwert hatte, daß sich etliche ­NATO-Verbündete am Afghanistan-Krieg nur unzureichend beteiligen. Gates sprach auf einer Konferenz im schottischen Edinburgh gesprochen, die an sich schon ein starkes politisches Signal war. Sie vereinigte nämlich ausschließlich die Verteidigungsminister jener acht Länder, die an der Aufstandsbekämpfung in Süd- und Südostafghanistan direkt beteiligt sind: USA, Großbritannien, Kanada, Niederlande, Australien, Dänemark, Estland und Rumänien. Zuvor hatte Gates seine scharfe Kritik an den »frustrierenden« Beiträgen einiger Verbündeter auch schon im Streitkräfteausschuß des Abgeordnetenhauses vorgetragen. Spiegel online titelte am 12. Dezember 2007: »Union und SPD über Ohrfeige aus den USA vergrätzt«. Von einer Überraschung kann man also jetzt nicht glaubhaft reden.

Theatralisch

Neu ist das Thema ohnehin nicht: Schon im September 2006 hatten die 26 Mitgliedsstaaten der NATO beschlossen, die Truppen in den afghanischen Kampfzonen um mindestens 2500 Soldaten zu verstärken. Schon damals mahnte NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer vor allem Deutschland und Frankreich: »Diejenigen Verbündeten, die in Afghanistan weniger tun, sollten nachdenken, ob sie mehr tun können. Es gibt bestimmt eine Reihe von Bündnispartnern, die mehr tun könnten.«

Der Anspruch wurde zunächst öffentlich nicht weiterverfolgt. Die Truppenverstärkungen wurden von den ohnehin stark beanspruchten Streitkräften der USA und Großbritanniens gestellt. Alle paar Monate war aber die Forderung nach einer stärkeren deutschen Beteiligung an der Aufstandsbekämpfung wieder auf dem Tisch. Und während die Politiker in Berlin diese jedes Mal mit großem theatralischen Aufwand widersprachen, kamen sie ihm in Wirklichkeit in kleinen Schritten immer mehr entgegen. Inzwischen läuft das Geschäft so routiniert ab, daß man versucht ist, von einem abgekarteten Spiel zu sprechen.

Schon seit dem 28. September 2005 können deutsche Soldaten in alle Teile Afghanistans, auch zu Kampfeinsätzen, abkommandiert werden. Diesen militärischen Blankoscheck verabschiedete der Bundestag bei nur 14 Gegenstimmen; die PDS war damals lediglich mit zwei Abgeordneten vertreten. In der Folge stellte die Bundeswehr Fernmeldesoldaten für die Gefechte in der Provinz Kandahar ab. Deutsche Transportflugzeuge brachten Nachschub und Truppen in die Kampfgebiete. Seit Frühjahr 2007 wirken sechs deutsche »Tornado-RECCE«, sogenannte Aufklärungsflugzeuge, an Luftangriffen in allen Teilen Afghanistans mit. Im Oktober und November vorigen Jahres gab es die erste offensive Militäroperation, an der nicht nur Bundeswehrsoldaten beteiligt waren, sondern die auch unter deutschem Kommando stand. Schauplatz waren die Provinzen Badghis und Faryab in Nordwestafghanisatn. Die Führung der gesamten Operation lag beim Regionalkommandeur Nord der ISAF, dem deutschen Brigadegeneral Dieter Warnecke.

Ablenkungsmanöver

Deutschland steckt längst mitten drin im Afghanistan-Krieg. Das Berliner Protestgeschrei gegen den Gates-Brief ist nur ein Ablenkungsmanöver. Ungewollt klar drückte sich der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, aus: Die USA sollten begreifen, daß die Bundesregierung die deutsche Bevölkerung »mitnehmen« müsse. Mitnehmen wohin? In einen Krieg, den eine große und zunehmende Mehrheit der Bevölkerung eigentlich ablehnt. Deshalb wird die klassische Salamitaktik einer Vielzahl von Einzelschritten verfolgt.

Wohl nicht zufällig fällt das Theater um den Gates-Brief mit dem schon beschlossenen nächsten großen Eskalationsschritt des deutschen »Engagements« in Afghanistan zusammen: Die Bundeswehr wird in den kommenden Monaten eine 200 bis 250 Mann starke »Schnelle Eingreiftruppe« aus Fallschirmjägern und Panzergrenadieren aufstellen. Sie soll eine entsprechende norwegische Einheit ablösen, die in der unter deutschem Kommando stehenden Region Nord stationiert ist. Diese Streitkräfte könnten von der NATO künftig auch für Kampfaufgaben in anderen Teilen Afghanistans angefordert werden. Dafür müßten zwar noch die restriktiven Einsatzvorschriften des deutschen Kontingents geändert werden. Nicht aber das vom Bundestag erteilte Mandat der Truppe: Es sieht keinerlei Beschränkungen vor. Die Politiker sind schon einen Schritt weiter als die Militärs.

** Aus: junge Welt, 4. Februar 2008


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