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Gespräche mit Taliban ohne Karsai

Norwegen übernahm Vermittlerrolle *

Nach der Eröffnung eines Verbindungsbüros der Taliban in Katar zeigen sich Afghanistans Regierung und die USA uneinig über den weiteren Umgang mit den Aufständischen. Ein Vertreter der US-Regierung sagte am Dienstag, Washington wolle in den kommenden Tagen in Kontakt mit dem Büro treten. Der afghanische Präsident Hamid Karsai reagierte verärgert und erklärte die Verhandlungen mit den USA über die Militärzusammenarbeit nach 2014 für ausgesetzt.

Beim ersten förmlichen Treffen von US-Vertretern mit Taliban sollten die Verhandlungsthemen erörtert werden, hieß es aus Regierungskreisen in Washington. Zwei Wochen später könne ein weiteres Treffen stattfinden. Erst dann wollen die Taliban auch mit dem Hohen Friedensrat in Kontakt treten, der im Auftrag Karsais mit ihnen reden soll.

Norwegen hat offenbar eine wichtige Rolle für die Verhandlungen gespielt. Wie am Dienstag bekannt wurde, waren Vertreter der Taliban zu Verhandlungen in Norwegen. Außenminister Espen Barth Eide bestätigte am Abend dem Fernsehsender NRK: »Wir haben eine Schlüsselrolle gespielt.« »Das war ein streng geheimer Prozess, in den wir involviert waren, aber nun haben wir das Gefühl, wir können uns zurückziehen.« Die norwegische Zeitung »VG« berichtete, die Taliban hätten eine protestantische Kirche in Oslo besucht. Eineinhalb Stunden hätten sie sich über den Gottesdienst und das Verhältnis von Staat und Kirche unterhalten, bestätigte der Pfarrer der Kirche.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. Juni 2013


Immer wieder Katar

Waffenlieferant für syrische Rebellen als Gastgeber bei Gesprächen zwischen USA und afghanischen Taliban. Hochrangige Delegation Washingtons zu heute startenden Verhandlungen

Von Knut Mellenthin **


Die US-Regierung will erstmals offiziell mit den afghanischen Taliban verhandeln. Am heutigen Donnerstag sollen in Doha, der Hauptstadt des arabischen Fürstentums Katar, Gespräche zwischen Vertretern beider Seiten beginnen. Ein ähnlicher Versuch war, ebenfalls in Doha, im Januar 2012 gescheitert, nachdem die Obama-Administration unter starkem innenpolitischen Druck von ihrer Zusage abgerückt war, fünf hochrangige Gefangene aus den Reihen der Taliban freizulassen. Die ohne rechtsstaatliches Verfahren im Lager Guantánamo Internierten hätten, einer früheren Vereinbarung zufolge, nach Katar gebracht und dort bis auf weiteres unter Hausarrest gestellt werden sollen. Im Gegenzug wollten die Taliban ihren einzigen bekannten US-amerikanischen Gefangenen, den US-Sergeanten Bowe Bergdahl, freigeben.

Indessen wurden die Geheimkontakte zwischen den USA und den Taliban auch nach dem öffentlich erklärten Ausstieg der Aufständischen aus den Gesprächen fortgesetzt. Neben Doha, wo die Taliban schon seit Jahren eine inoffizielle Vertretung unterhalten, fanden Gespräche auch in Norwegen, Frankreich und anderen europäischen Ländern statt. Am 20. Mai teilte die Regierung Katars den USA mit, daß die Taliban nunmehr zu direkten Verhandlungen bereit seien. Angeblich hatte dabei Pakistan, dessen Militär feste Verbindungen zu den afghanischen Aufständischen unterhält, eine Rolle gespielt. Der Botschaft aus Doha war ein Treffen zwischen US-Außenminister John F. Kerry, dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai und dem pakistanischen Armeechef General Ashfaq Kayani vorausgegangen.

Die US-Delegation bei den heute beginnenden, möglicherweise mehrtägigen Gesprächen in Doha ist auffallend hochrangig besetzt. An ihrer Spitze sollen Douglas Lute, Barack Obamas Afghanistan-Chefberater, und James Dobbins, der Sonderbeauftragte des Präsidenten für Afghanistan und Pakistan, stehen. Vor der öffentlichen Bekanntgabe des geplanten Treffens hatte ein Taliban-Vertreter am Dienstag im Fernsehen von Katar eine Stellungname verlesen, deren exakter Wortlaut angeblich in mehrwöchigen Verhandlungen mit US-Vertretern vereinbart worden war. Die Kernaussage war, daß die politischen und militärischen Ziele der Taliban auf Afghanistan beschränkt seien und daß von ihnen keine Bedrohung für andere Länder ausgehe. Im Anschluß an diese Erklärung wurde in Doha das erste offizielle Auslandsbüro der Taliban feierlich eingeweiht. Die Aufständischen wollen dort auch internationale Gäste empfangen und eine Pressestelle einrichten.

Überraschend gab die afghanische Regierung am Mittwoch den Abbruch der Gespräche mit den USA über ein langfristiges »Sicherheitsabkommen« bekannt. Dieser Schritt erfolge wegen nicht näher bezeichneter US-amerikanischer »Handlungen und Äußerungen«, die den »Friedensprozeß« beträfen. Einen Tag zuvor hatte Karsai noch sein Einverständnis mit der geplanten Begegnung in Doha bekundet. Allerdings hatte er bei vielen Gelegenheiten zuvor die Aufnahme eines offiziellen Dialogs zwischen den USA und den Taliban sehr kritisch beurteilt. Die Aufständischen lehnen es ab, mit ihm zu sprechen, da er nur eine »Marionette der Invasoren« sei. Die US-Regierung beteuert demgegenüber, sie verfolge mit ihren Kontakten ausschließlich das Ziel, möglichst schnell direkte Verhandlungen zwischen den afghanischen Kriegsparteien anzubahnen. Präsident Karsai ist offenbar nicht davon überzeugt.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. Juni 2013


Reden mit den Taliban

Von Roland Etzel ***

Die USA wollen mit den Taliban verhandeln – endlich, nach zwölf Jahren Krieg, aber immerhin. Es dürfte weniger Ausdruck von Dialogliebe des Pentagons sein, als der Versuch, nach dem Abzug der NATO aus Afghanistan den Taliban das Feld nicht ganz bedingungslos zu überlassen. Auch Berliner Politiker finden das durch die Bank begrüßenswert, heute. Und vertrauen auf die Vergesslichkeit ihrer Wähler.

Als Kurt Beck 2007 als SPD-Chef vorsichtig andeutete, man müsse doch versuchen, wenigstens mit »gemäßigten« Taliban zu reden, fielen Politiker reihenweise über ihn her. Am wildesten gebärdeten sich CSU und Grüne. Der Christsoziale Söder sah durch Beck »Deutschlands Bündnisverpflichtungen« verletzt, und der Grünen-Sicherheitspolitiker Nachtwei blödelte, »eine afghanische Friedenskonferenz ist doch kein rheinland-pfälzisches Weinfest«. Getan wurde am Ende – nichts.

Tatsächlich vermittelt hat wieder einmal Norwegen, wie vor 20 Jahren im Nahostfriedensprozess, so auch diesmal diskret und effizient. So sieht staatspolitisch verantwortungsvolles Regierungshandeln aus. Und man darf vermuten, dass die Opposition davon wusste und es trotzdem über sich brachte, den Mund zu halten; eine völkerfreundliche Dienstleistung zu ermöglichen, indem man sie nicht in den Niederungen wahlkämpferischen Parteiengezänks zerredet. Hierzulande undenkbar.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. Juni 2013 (Kommentar)


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