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Doha muß warten

USA verschieben geplantes Treffen mit Vertretern der afghanischen Taliban in der Hauptstadt Katars

Von Knut Mellenthin *

Die US-Regierung hat ein Treffen mit Vertretern der afghanischen Taliban, das am Donnerstag in Katar stattfinden sollte, wenige Stunden vorher überraschend abgesagt. Das wurde am Mittwoch eher unspektakulär während einer Pressekonferenz der Sprecherin des Außenministeriums, Jennifer Psaki, bekannt. Aus ihren Äußerungen ging klar hervor, daß es sich nach dem Willen der Obama-Administration lediglich um eine kurzzeitige Verschiebung, nicht jedoch um eine Absage handeln soll. »Wir koordinieren uns mit der afghanischen Regierung und dem Obersten Friedensrat über die nächsten Schritte«, so Psaki.

Den Friedensrat hatte Afghanistans Präsident Hamid Karsai 2010 geschaffen, um Verhandlungen mit den Taliban zu führen. Diese ignorieren das Gremium jedoch nicht nur, sondern ermordeten gezielt mehrere seiner Mitglieder, darunter im September 2011 den Vorsitzenden des Friedensrats, den ehemaligen Warlord und Staatspräsidenten Burhanuddin Rabbani. Die Taliban haben sich bisher geweigert, mit Vertretern der Regierung in Kabul zu sprechen, da diese nur eine »Marionette der Invasoren« sei. Der Verschiebung des geplanten Treffens zwischen einer hochrangigen US-Delegation und Unterhändlern der Aufständischen in Doha, der Hauptstadt Katars, ging am Mittwoch ein wütender Protest Karsais voraus. Der Präsident ließ zunächst die Unterbrechung der Verhandlungen mit den Amerikanern über ein langfristiges »Sicherheitsabkommen« mitteilen. Etwas später folgte die Ankündigung, der Friedensrat werde sich an den Gesprächen in Doha nicht beteiligen, so lange nicht sichergestellt sei, daß diese »unter afghanischer Führung« stattfinden. Tatsächlich war wegen des Widerstands der Taliban zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht beabsichtigt, Abgesandte Kabuls nach Doha einzuladen.

Soweit bisher bekannt ist, war Karsais Verärgerung vor allem durch die Umstände der feierlichen Einweihung des ersten offiziellen Auslandsbüros der Taliban in Doha hervorgerufen worden. Die schon seit längerer Zeit in Katar residierenden Repräsentanten der Aufständischen hatten den Festakt am Dienstag mit dem Spielen ihrer Hymne und dem Hissen der Taliban-Flagge begangen. Eine Tafel am Bürogebäude wies es als Sitz der Vertretung des »Islamischen Emirats Afghanistan« aus. Das war der offizielle Staatsname bis zur Militärintervention der USA im Oktober 2001. In Katar ansässige Medien mit großer Reichweite, darunter der Sender Al-Dschasira, verbreiteten aus Anlaß der Büroeröffnung Interviews mit den »Diplomaten« der Taliban. In den wochenlangen Vorgesprächen zwischen den Aufständischen und der US-Regierung war unter anderem angeblich vereinbart worden, daß das Büro in Doha im wesentlichen eine Kontaktstelle für die Verhandlungen sein sollte. Nur unter dieser Voraussetzung hatte die Regierung in Kabul der Eröffnung zugestimmt. Karsai unterstellt jetzt, vielleicht nicht ganz grundlos, daß die Obama-Administration ihn hintergangen habe. Außenminister John Kerry mußte am Mittwoch etliche Telefongespräche mit Doha und Kabul führen, um den Schaden zu begrenzen. Er erreichte, daß die Tafel am Büro inzwischen abmontiert wurde, und versicherte dem afghanischen Präsidenten, daß Washington nicht die Anerkennung der Taliban beabsichtige.

Währenddessen wiederholten die Taliban am Donnerstag ihr altes Angebot, den von ihnen vor vier Jahren gefangengenommenen US-Sergeanten Bowe Bergdahl im Austausch gegen fünf im Lager Guantánamo internierte Afghanen freizulassen. Auf diesen Deal hatten sich die beiden Seiten schon im Herbst 2011 geeinigt. Aufgrund innenpolitischen Drucks ließ Präsident Barack Obama die Vereinbarung jedoch im Januar 2012 platzen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 21. Juni 2013


"Wir verlangen, dass die Taliban die Verfassung nicht in Frage stellen"

Daud Rawosh (Volkspartei): Soziale Gerechtigkeit und der Kampf gegen ethnische Zersplitterung sind zentrale Ziele **

Es gibt Streit zwischen den USA und der afghanischen Regierung wegen der Verhandlungen mit den Taliban. Wie stehen Sie als Vorsitzender einer linken afghanischen Partei dazu?

Wir halten Gespräche mit den Taliban nur unter ganz klaren Bedingungen für sinnvoll. Dazu gehört die Respektierung der afghanischen Verfassung, was die Rechte der Frauen einschließt. Zudem müssen sie den bewaffneten Kampf aufgeben.

Befürchten Sie nach dem Abzug der NATO-Truppen einen Machtzuwachs der Taliban?

Die ausländischen Truppen ziehen nicht vollständig ab. Zudem ist mittlerweile auch eine afghanische Sicherheitsstruktur entstanden, die eine Machtübernahme der Taliban verhindern könnte. Aber selbst auf dieses schlimmste Szenario ist unsere Partei vorbereitet. Schließlich konnten wir selbst unter der Taliban-Herrschaft bis 2001 illegale Strukturen aufrechterhalten.

Wie steht Ihre Partei zur Militärintervention von 2001?

Wir sind prinzipiell gegen jede Besatzung. Doch 2001 gab es für uns nur die Alternative, weiter unter dem besonders reaktionären, mittelalterlichen Taliban-Regime zu leben oder es durch die Intervention loszuwerden. Zudem darf nicht übersehen werden, dass in dieser Zeit Afghanistan zum Aufmarschgebiet von Al Qaida und anderen islamistischen Gruppen geworden war. Deshalb lehnen wir nicht die Intervention ab. Wir protestieren aber gegen jegliche Menschenrechtsverletzungen durch die NATO-Truppen in unserem Land.

Afghanische Frauenorganisationen sehen nicht nur in den Taliban, sondern auch in den Warlords ein Problem.

Wir teilen diese Einschätzung völlig. Der Einfluss islamistischer Herrscher ist ein großes Hindernis bei der Durchsetzung von Demokratie und Frauenrechten.

Könnte durch die Verhandlungen mit den Taliban nicht das Gewicht dieser reaktionären Gruppierungen wachsen?

Die in der Verfassung garantierten Rechte dürfen weder durch die Taliban noch durch andere Gruppierungen infrage gestellt werden.

Wie sehen Sie die Rolle von Präsident Hamid Karsai?

Es ist bekannt, dass Karsai einem korrupten politischen System vorsteht, das in Drogenhandel verstrickt ist. Daher sind wir erklärte Gegner von Karsai. Das schließt allerdings nicht aus, dass wir einzelne Maßnahmen von Karsai unterstützen, wenn sie zur Stärkung der demokratischen Rechte beitragen.

Wie ist die von Ihnen repräsentierte Partei entstanden?

Sie ging voriges Jahr aus »Bewegungen für Demokratie« hervor, die in Afghanistan aktiv waren. Die Partei sieht sich in der historischen Tradition der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA), die 1978 führend an der Aprilrevolution beteiligt war. Dennoch sind wir eine völlig neue Partei, die unter den aktuellen Bedingungen und auf dem Boden der afghanischen Verfassung agiert.

Wie groß ist der Zuspruch bisher?

Viele Aktivisten der DVPA sind auch in der neuen Partei aktiv. Mittlerweile ist sie in 24 der 34 Provinzen vertreten. Ein Schwerpunkt der Partei ist die Arbeit in Gewerkschaften und Frauenorganisationen. Auch der Vorsitzende des afghanischen Handwerksverbandes ist Mitglied unsere Partei.

Welche zentralen Ziele verfolgt Ihre Partei?

Wir kämpfen um soziale Gerechtigkeit und lehnen die ethnische Spaltung ab. Die meisten Parteien in Afghanistan sind nur in einer bestimmten Ethnie verankert, was zur Zersplitterung des Landes führt. Wir hingegen haben eine gesamtgesellschaftliche Perspektive und kämpfen für egalitäre Verhältnisse.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 21. Juni 2013


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