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Bin Ladens Tod kein Abzugsgrund

Pentagonchef verteidigt Verbleib der Afghanistantruppen / US-Senator Kerry in Pakistan *

US-Verteidigungsminister Robert Gates hat einen beschleunigten Abzug der Truppen aus Afghanistan nach der Tötung von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden als verfrüht bezeichnet.

Es sei zu früh, so kurz nach dem Tod des Terroristenchefs bereits derart weitreichende Schlüsse zu ziehen, sagte Pentagonchef Gates dem US-Sender CBS. Ein schnellerer Abzug der Truppen aus Afghanistan könne deshalb noch nicht in Erwägung gezogen werden. Nach der Tötung Bin Ladens waren Forderungen laut geworden, den geplanten Truppenabzug zu beschleunigen, da es keinen Grund mehr für die hohe Zahl der am Hindukusch stationierten Soldaten gebe. Der Einsatz sei eine Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 gewesen, um zu verhindern, dass Terroristen des Netzwerks Al Qaida Afghanistan als Rückzugsort benutzten. Es seien jedoch lediglich noch etwa 200 Al-Qaida-Kämpfer in Afghanistan aktiv, während die NATO dort mehr als 140 000 Soldaten stationiert habe.

Gates sagte, die Tötung Bin Ladens könne die Situation im Krieg in Afghanistan verändern. »Wir könnten am Ende des Jahres an einem Punkt angelangt sein, an dem wir in Afghanistan über den Berg sind«, erklärte der US-Verteidigungsminister.

Unterdessen hat US-Senator John Kerry bei einem Besuch in Pakistan die Geheimoperation in dem Land verteidigt. Die »extreme Geheimhaltung« sei notwendig gewesen, um das Leben der Beteiligten zu schützen und den Erfolg des Vorhabens im nordpakistanischen Abbottabad sicherzustellen, sagte Kerry am Montag in Islamabad. Selbst in den USA sei nur eine Handvoll hochrangiger Regierungsvertreter informiert gewesen.

Die US-Operation in der Nacht zum 2. Mai hat in Pakistan vehemente Kritik ausgelöst und die Beziehungen zwischen Washington und Islamabad schwer belastet. Kerry sagte, er bitte alle Pakistaner um Verständnis. Er selber habe erst von der Operation erfahren, als Bin Laden bereits tot war.

Pakistans Premierminister Yousuf Raza Gilani teilte nach einem Treffen mit dem Senator mit, sein Land wünsche sich statt unangebrachter Kritik die »gebührende Anerkennung und Unterstützung der Internationalen Gemeinschaft und besonders der Vereinigten Staaten« für den Beitrag im Kampf gegen den Terrorismus. Das pakistanische Parlament hatte die US-Militäroperation in Pakistan als schwere Verletzung der Souveränität des Landes verurteilt. In einer am Wochenende verabschiedeten Resolution forderten die Abgeordneten zudem von Washington, die »inakzeptablen« Drohnen-Angriffe gegen Extremisten im Grenzgebiet zu Afghanistan einzustellen. Andernfalls könne Pakistan den Nachschub für die NATO-Truppen in Afghanistan unterbrechen.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Mai 2011


Wende am Hindukusch?

Von Olaf Standke **

Unmittelbar nach der Liquidierung von Osama bin Laden sinnierte Pentagon-Chef Robert Gates über eine nun mögliche Wende im Afghanistan-Krieg. Zur Erinnerung: Seiner habhaft zu werden, war das vorgebliche Ziel der Militärintervention nach den Terroranschlägen des 11. September 2001. Man versuchte sie einst als Akt der Selbstverteidigung zu legitimieren: Die Taliban hatten Al-Qaida-Aktivisten während ihrer Herrschaft am Hindukusch Zuflucht gewährt. Heute schätzen Experten ihre Zahl in Afghanistan auf kaum mehr als 200, während unter Führung des Nordatlantikpaktes dort inzwischen über 140 000 Soldaten der Internationalen Schutztruppe ISAF stationiert sind.

Doch obwohl die zentrale völkerrechtliche Rechtfertigung für den Krieg entfallen ist, meinte der US-amerikanische Verteidigungsminister keineswegs den baldigen Schlusspunkt unter die nun schon über neun Jahre andauernden Kämpfe, wie er gestern betonte. Selbst einen beschleunigten Abzug der NATO-Verbände bezeichnete Gates als verfrüht. Der wird im Weißen Haus offensichtlich so wenig in Erwägung gezogen wie umgehende Bemühungen um eine Waffenruhe in dem kriegsgeplagten Land samt anschließenden Friedensgesprächen mit den Taliban. »Wir könnten am Ende des Jahres an einem Punkt angelangt sein, an dem wir in Afghanistan über den Berg sind«, sagte Gates jetzt. Oder weiter im Tal der Tränen stehen.

** Aus: Neues Deutschland, 17. Mai 2011 (Kommentar)


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