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Ruf nach Truppenabzug wird lauter

Afghanistan-Konferenz der LINKEN zeigte Spektrum der demokratischen Kräfte auf

Von Antje Stiebitz *

Neun Jahre westliche Militärintervention haben der afghanischen Bevölkerung eine humanitäre und wirtschaftliche Katastrophe gebracht. Auf der am Wochenende von der LINKEN organisierten Afghanistan-Konferenz im Berliner Paul-Löbe-Haus war von zahlreichen afghanischen Gästen vor allem der Wunsch nach einem Truppenabzug, nach Selbstbestimmung und der Unterstützung demokratischer Kräfte zu hören.

Der Krieg am Hindukusch ist gescheitert, darin sind sich die Gäste der Auftaktveranstaltung zur Konferenz »Das andere Afghanistan« im Paul-Löbe-Haus am Freitagabend einig. Anstatt sie zu bekämpfen, habe der Krieg eher Terroristen produziert, erklärt Gregor Gysi, LINKE-Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Die »Freiheit des Westens«, die in Afghanistan verteidigt werden sollte, werde durch immer größere Sicherheitsvorkehrungen eingeschränkt. Und die junge und international bekannte Frauenrechtlerin Malalai Joya beklagt, dass sich die Frauenrechte in Afghanistan – die gerne als Vorwand für die Intervention angeführt wurden – durch die Militarisierung der Gesellschaft und die Eskalation des Krieges rapide verschlechtert haben. »Aber wie findet man ein Ende«, fragt Gysi, »wenn man keines seiner Ziele erreicht?«

An der gerade vom deutschen Parlament entschiedenen Mandatsverlängerung stört den kritischen Journalisten Sayed Yaqub Ibrahimi vor allem, dass außerhalb des Landes entschieden wird, was in Afghanistan passiert. »Ich möchte, dass die Afghanen über ihr eigenes Schicksal entscheiden. Und nicht, dass über sie, wie über ein Opfer, entschieden wird.« Außerdem wendet sich Sayed Yaqub Ibrahimi gegen die Vorstellung, es gebe eine freie Presse, seit sich die fremden Truppen in Afghanistan aufhalten: »Die Menschen, die offen über Afghanistan berichten, werden so unter Druck gesetzt, dass sie das Land verlassen. Oder sie zensieren sich selbst, damit sie ihr Leben fortsetzen können.«

Es ist vor allem Malalai Joya, die angesichts der Katastrophe laut und vehement das Ende der Besatzung fordert. Doch auch der Rechtsanwalt Karim Popal, der durch die Verteidigung der Kundus-Opfer bekannt wurde, ist überzeugt, dass »99 Prozent der Afghanen denken, dass die NATO gehen muss, damit wir atmen können.«

Doch mit dem Gedanken auf ein Ende der Besatzung tauchen sofort zwei drängende Fragen auf: Ist die NATO wegen ihrer strategischen und wirtschaftlichen Interessen überhaupt bereit, Afghanistan zu verlassen? Und was erwartet das Land nach der Besatzungszeit?

Sher Mohammad Basergar, Vertreter der Bewegung für umfassende Demokratie und Entwicklung, fordert eine unabhängige Regierung und die Einheit aller fortschrittlichen Kräfte, die für den Frieden arbeiten: »Alle diese Charaktere müssen sich zusammentun und auf ein gemeinsames breites Programm einlassen.« Diese demokratischen Kräfte, so Basergar, würden momentan die Unterstützung aus dem Ausland vermissen. Karim Popal hingegen appelliert an seine Landsleute. »Wir brauchen weniger die Unterstützung aus dem Ausland für die linken und demokratischen Kräfte, sondern vielmehr die Unterstützung der Afghanen selbst und den Dialog der Bevölkerung!«

Umstritten ist auch, ob die Warlords und Taliban in den Friedensprozess einbezogen werden. Popal beispielsweise will die Warlords zum Dialog zwingen. Joya hingegen sieht in den Warlords eine Kopie der Taliban – beide hätten Blut an den Händen – und deshalb eigneten sie sich nicht für Gespräche. Basergar räumt ein, dass »es ein Vakuum geben wird, wenn die Truppen das Land verlassen.«

Die Konferenz »Das andere Afghanistan« hat gezeigt, wie fragmentiert die demokratischen Kräfte Afghanistans sind. Aber sie hat auch belegt, dass es diese Kräfte gibt, dass sie miteinander kommunizieren, und dass sie in Afghanistan – oft unter Einsatz ihres Lebens – bereits für eine Zivilgesellschaft kämpfen.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Januar 2011


Der Krieg der anderen

Konferenz der Linksfraktion in Berlin warb für Stärkung demokratischer Kräfte in Afghanistan

Von Claudia Wangerin **


Mit dem Appell, die zivilen, demokratischen Friedenskräfte in Afghanistan zu unterstützen, ist am Samstag abend die Internationale Konferenz »Das andere Afghanistan« der Bundestagsfraktion Die Linke in Berlin zu Ende gegangen. Erklärtes Ziel war es, authentische Stimmen aus Afghanistan zu hören und einen Dialog von Friedenskraften in dem Land zu unterstutzen. Die Linksfraktion hatte zuvor geschlossen gegen die Verlängerung des Mandats für den Bundeswehreinsatz am Hindukusch gestimmt. »Krieg ist die höchste Form des Terrorismus«, sagte der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi zum Konferenzauftakt. »Man muß nur die richtigen Kräfte unterstützen, dann werden sie sich selbst befreien.«

Die deutsche Kriegsbeteiligung und die Angst der Regierung vor Terroranschlägen waren für die afghanischen Gäste auch am Eingang des Tagungsortes spürbar: Wegen der seit November verschärften Sicherheitsvorkehrungen konnte die Konferenz im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages am Freitag abend nicht pünktlich beginnen. Die Polizeikräfte vor dem Parlamentsgebäude hielten afghanische und deutsche Teilnehmer auf, weil ihnen die letzte Aktualisierung der Gästeliste nicht vorlag. Außerdem rätselten die Beamten über Schreibweisen afghanischer Namen. Abgeordnete der Linksfraktion und ihre Mitarbeiter mußten daher die Teilnehmer vor dem Eingang abholen, bevor sie den Metalldetektor passieren durften.

Über 400 Teilnehmer hatten sich angemeldet, darunter keiner der Abgeordneten, die wenige Stunden zuvor mit ihren Stimmen die Verlängerung des Mandats für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan durchgesetzt hatten. Neben Mitgliedern der Linkspartei diskutierten außerparlamentarische Friedens- und Menschenrechtsaktivisten mit Vertretern afghanischer Organisationen und Parteien, kritischen Journalisten und Frauenrechtlerinnen über Wege zum Frieden.

Die afghanischen Teilnehmer verurteilten die Kriegspolitik der NATO-Staaten und die von ihnen gestützten Warlord-Strukturen sowie die Unterdrückung demokratischer, progressiver Kräfte durch das korrupte Karsai-Regime. Die Erneuerung des ISAF-Mandats durch den Bundestag benannte der Journalist Sayed Yaqub Ibrahimi als »Verlängerung des Krieges«. Said Pahiz von der neu gegründeten Solidaritätspartei, die in Afghanistan mehr als 30000 Mitglieder zählt, kündigte weitere Demonstrationen gegen die Präsenz der NATO-Truppen an. Die Linkspartei-Abgeordneten Heike Hänsel und Sevim Dagdelen betonten mehrfach gegenüber ihren Gästen, daß die Mehrheit der deutschen Bevölkerung den Bundeswehreinsatz ablehnt.

Wie ein roter Faden zog sich durch die Beiträge der Afghanen, daß sie sich als Spielball fremder Mächte fühlen. Vom »Krieg der anderen« sprach der Vorsitzende der Einheitspartei, Shir Mohammad Basergar. »Unser Volk hat dreierlei Feinde«, sagte die Politikerin und Frauenrechtlerin Malalai Joya, die 2007 wegen ihrer offenen Kritik an der Regierungsbeteiligung krimineller Warlords vom afghanischen Parlament suspendiert worden war. Neben den Warlords seien die radikalislamischen Taliban und die ausländischen Besatzungstruppen Feinde des Volkes. Die demokratischen Kräfte im Land würden von westlichen Medien kaum wahrgenommen. Die tatsächlich geringe Medienpräsenz im Paul-Löbe-Haus gab ihr recht. Allerdings blieb unklar, wie die eher propagandistische Forderung Joyas nach Entwaffnung der Warlords umgesetzt werden kann, solange die demokratischen Kräfte selbst nicht über Waffen verfügen.

Auch über den Sinn und die Möglichkeit von Friedensverhandlungen mit den radikalislamischen Taliban konnte keine Einigkeit erzielt werden. Mehrheitlich sprachen sich afghanische und exilafghanische Teilnehmer auf einem Vernetzungstreffen im Rahmen der Konferenz für den Abzug der ausländischen Truppen, aber auch gegen eine Aufwertung der Taliban durch Verhandlungen aus.

** Aus: junge Welt, 31. Januar 2011

LINKE solidarisch mit Demokratiebewegung in Afghanistan ***

Mit einem eindringlichen Appell, die zivilen, demokratischen Friedenskräfte in Afghanistan zu unterstützen, endete gestern Abend die Internationale Konferenz „Das andere Afghanistan“ der Fraktion DIE LINKE im Berliner Paul-Löbe-Haus.

Mehr als 400 Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben zwei Tage lang mit Vertreterinnen und Vertretern afghanischer zivilgesellschaftlicher Organisationen, verschiedener fortschrittlicher Parteien, kritischen Journalisten, Frauen- und Menschenrechtsaktivistinnen über friedliche Perspektiven für Afghanistan diskutiert, darunter die ehemalige Parlamentarierin Malalai Joya und der Journalist Sayed Yaqub Ibrahimi.

Die afghanischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer verurteilten die Kriegspolitik der Nato-Staaten und die von ihnen gestützten Warlord-Strukturen, die fehlenden fundamentalen Menschenrechte und die massive Einschränkung der Pressefreiheit, die nach wie vor große Armut im Land und die Unterdrückung demokratischer, progressiver Kräfte durch das korrupte Karsai-Regime und die Provinzgouverneure. Die Verlängerung des ISAF-Mandats durch den Bundestag wurde von Sayed Yaqub als „Verlängerung des Krieges“ scharf kritisiert. Said Pahiz, Vertreter der neu gegründeten Solidaritätspartei mit mehr als 30 000 Mitgliedern in ganz Afghanistan, kündigte weitere Demonstrationen gegen die Präsenz der Nato-Truppen an. Die Entscheidung des Bundestages stünde gegen den Willen der Bevölkerung in Deutschland, die den Bundeswehreinsatz zu über 70 Prozent ablehne, kritisierte LINKE-Abgeordnete Heike Hänsel.

Die Konferenzteilnehmer- und teilnehmerinnen solidarisierten sich mit der Demokratiebewegung in Ägypten und Tunesien und forderten eine aktive Unterstützung der demokratischen Kräfte in Afghanistan. Malalai Joya forderte die westlichen Medien auf, über die wachsende Anzahl von kritischen Organisationen, Bewegungen und Intellektuellen in Afghanistan zu berichten und diese nicht länger tot zu schweigen.

Im Rahmen der Konferenz fand auch ein Vernetzungstreffen mit Exil-Afghanen in Deutschland statt. Dabei wurde kritisch und kontrovers der Abzug der internationalen Truppen und die Verhandlungen mit Taliban-Vertretern diskutiert. Die große Mehrheit der afghanischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer forderte:
  • den Abzug der internationalen Truppen
  • Aufarbeitung aller Kriegsverbrechen und Verurteilung der Kriegsverbrecher
  • Keine Aufwertung der Taliban durch Verhandlungen
  • Stärkung und Unterstützung der demokratischen und progressiven Kräfte in Afghanistan, die sich für den Aufbau einer sozialen und rechtsstaatlichen Gesellschaft einsetzen
  • einen Friedensprozeß von unten und aktiven Austausch und Vernetzung mit der internationalen Friedensbewegung
Vertreter von Friedensgruppen in Deutschland kündigten für Herbst dieses Jahres, zum zehnten Jahrestag des Beginns der NATO-Militärintervention in Afghanistan, ein Afghanistan-Tribunal an und eine Gegenkonferenz zur geplanten Petersberger Konferenz in Bonn.

*** Quelle: Website der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, 30. Januar 2011; www.linksfraktion.de




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