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Erneut deutsche Soldaten Opfer im Krieg

Neue Waffen schützen nicht: Vier Bundeswehrangehörige in Afghanistan ums Leben gekommen

Keine zwei Wochen nach dem Gefecht bei Kundus, bei dem drei Bundeswehrsoldaten getötet wurden, sind am Donnerstag wieder vier deutsche Soldaten ums Leben gekommen und fünf zum Teil schwer verletzt worden.

Am frühen Nachmittag Ortszeit wurden Angehörige eines sogenannten »Operational Mentoring and Liaison Teams«, die mit der Ausbildung afghanischer Soldaten beauftragt sind, auf dem Weg von Kundus nach Baghlan mit Panzerbüchsen angegriffen. Offenbar wurde ein gepanzertes Fahrzeug Eagle IV – von dem die Militärführung gerade weitere 60 Stück ordern will, weil sie sich mehr Schutz für die Soldaten erwartet – nahe einer Brücke rund sechs Kilometer nördlich der Ortschaft Baghlan attackiert. Die Wucht des Geschosses traf auch deutsche und afghanische Soldaten, die neben dem Fahrzeug standen. Es wird von mindestens drei toten Afghanen berichtet.

Angeblich hatten die Soldaten den Auftrag, NATO-Nachschubtrassen zu sichern. Die Provinz Baghlan hat sich in den vergangenen 18 Monaten zur Hochburg der Taliban und anderer Aufständischer entwickelt. Afghanische und ISAF-Einheiten lieferten sich laut örtlichem Polizeisprecher heftige Gefechte mit rund 400 Taliban.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) verurteile »diesen hinterhältigen Angriff mit aller Schärfe«. Der SPD-Fraktionsvorsitzende, Frank-Walter Steinmeier, sagte: »Wir Sozialdemokraten verurteilen den feigen und hinterhältigen Anschlag auf das Schärfste.«

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der sich gerade auf der Rückreise von einem Truppenbesuch auf dem Stützpunkt in Termez befand, kehrte nach Afghanistan zurück. Er hatte die deutschen ISAF-Soldaten erst am Vortage beruhigt, indem er ihnen schwere Waffen versprach. Zu Forderungen nach einem Abzug der deutschen Truppen erklärte der Minister, das Risiko »für unsere Sicherheit« werde größer, »wenn wir Afghanistan zum jetzigen Zeitpunkt sich selbst überlassen«. Erst wenn Ausbildungserfolge bei den afghanischen Militär- und Polizeikräften sichtbar sind und sie einen Teil ihrer Sicherheit übernehmen können, lasse sich über das Thema Abzug reden. Guttenberg wurde von Abgeordneten aller Fraktionen mit Ausnahme der LINKEN begleitet. Sie bekundete wie die anderen Parlamentarier Trauer über den Tod der Soldaten und Mitgefühl mit deren Angehörigen. Umso so wichtiger sei aber der unverzügliche Abzug, bekräftigt Vizefraktionschef Jan van Aken eine Forderung seiner Partei und der Friedensbewegung. »Die, die jetzt eine weitere Aufrüstung der Bundeswehr in Afganistan fordern, missbrauchen nur den Tod der Soldaten. Denn der Krieg wird weitergehen und auf allen Seiten noch mehr Opfer fordern.«

Der Bundeswehrverband äußerte sich »bestürzt und wütend«. Spätestens jetzt dürfe man nicht mehr die Augen davor verschließen, in welch kriegsähnlicher Situation sich die Bundeswehr seit Langem befinde.

* Aus: Neues Deutschland, 16. April 2010


Holt sie heim!

Von René Heilig **

Vor einigen Tagen fragte ein alter Mann per Leserbrief um Rat. Hat es Sinn, wenn er seine Erinnerungen an den großen Krieg aufschreibt? Er war damals jung, diszipliniert, physisch hoch belastbar, bestens ausgebildet, seine »Ehre« wurde »Treue« genannt. Sogar auf dem Koppelschloss. Was den meisten aus seiner sogenannten Elitetruppe nicht gelang – er überlebte. Und eigentlich ginge es ihm – trotz Bypässen – gut in diesem Deutschland. Wären da nicht all die Nachrichten, die zeigen, dass Politiker nichts aus der Geschichte lernen wollen und junge Menschen sich nach wie vor manipulieren lassen, um zu töten oder getötet zu werden.

Der alte Mann, aus dessen Zeilen Verzweiflung spricht, durchschaut sicher nicht die vielen Facetten »moderner« Außen- und Sicherheitspolitik, von denen Merkel, Westerwelle und zu Guttenberg reden. Doch eines weiß er offenbar besser als sie: Krieg löst keine Probleme, er schafft nur neue. Die Herrschenden, so steht in dem Brief, müssen ihre Machtansprüche herunterschrauben, müssen Gespräche führen mit allen, die das Töten so schnell wie möglich beenden können.

Diese im Leben erfahrene Gewissheit teilt er mit der Mehrheit der Menschen in Deutschland. Ihre Interessen zu vertreten, haben die Bundestagsabgeordneten versprochen. Und die Minister schworen sogar, Schaden vom Volke abzuwenden. Sie sollten auf den Alten hören – und die Jungen endlich aus Afghanistan heimholen.

** Aus: Neues Deutschland, 16. April 2010 (Kommentar)


Mehr Geld + mehr Waffen = mehr Tote

Von René Heilig ***

Die deutsche Afghanistan-Politik führt planmäßig zur Eskalation des Krieges Noch sind die Tränen der Angehörigen jener drei Fallschirmjäger, die am Karfreitag umgekommen sind, nicht versiegt und schon sind wieder deutsche Soldaten am Hindukusch »gefallen«. Es bewahrheitet sich: Wer durch mehr Geld, mehr Waffen, mehr Soldaten einen Krieg entscheiden will, zahlt einen hohen Preis.

2010 sei »ein Schlüsseljahr« für den Afghanistan-Einsatz, sagte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), als er am Donnerstag (15. April) seinen Truppenbesuch im nordostafghanischen Feisabad fortsetzte. Gewohnt mediensüchtig wie vage buhlte zu Guttenberg – noch bevor die neuen Todesnachrichten eintrafen – unter seinen Soldaten um Zustimmung für die Afghanistan-Politik der Bundesregierung. Zugleich suchte er seine Truppe zu beruhigen. Man werde ihnen alles geben, was sie zum Sieg brauche. Und zum Überleben. Doch bis zum Winter müssten »an der ein oder anderen Stelle« messbare Ergebnisse vorliegen. Wie die Bundeswehr diese messbaren Ergebnisse erreichen will, hatte zu Guttenberg bereits am Vortage im Bundeswehr-Camp Kundus deutlich gemacht: durch Eskalation des Krieges.

Zwar setzt die im Januar beschlossene neue Afghanistan-Strategie des Westens offiziell den Schwerpunkte auf vertrauensbildende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung durch die ISAF-Truppen, doch Deutschland schickt mehr schwere Waffen. Neben 60 neuen Panzerfahrzeugen, die eilig bei der Schweizer Mowag für 61,5 Millionen Euro nachgeordert werden und – wie man gestern erleben musste – doch nicht genügend Schutz bieten, schickt der Minister Schützenpanzer »Marder« und schwere Panzerhaubitzen 2000.

Insbesondere die fahrbaren Geschütze – Kaliber 155-Millimeter, Reichweite bis zu 40 Kilometer – werfen Fragen auf, denn mit deren Einsatz sind Kollateralschäden fast zwingend. Dass man die nach Afghanistan schickt, hat weder mit einer Art »Show of Force«, also mit Abschreckung, noch damit zu tun, dass der neue Generalinspekteur Volker Wiecker seine Offizierslaufban im Panzerartilleriebataillon 315 begonnen hat.

Sinn macht der Haubitzen-Einsatz nur in Verbindung mit speziellen »Fennek«-Panzern für sogenannte Joint Fire Support Teams (JFST). Diese Teams haben die Aufgabe, Ziele mit »hinreichender Genauigkeit« zu orten und das indirekte Feuer zu lenken. »Zufällig« wurden nun die ersten derartigen Feuerleitfahrzeuge vom Hersteller Krauss-Maffai-Wegemann an die Truppe übergeben. Lange vorliegende Pläne sehen ihren Afghanistan-Einsatz noch im April vor.

Die Einschränkung der »hinreichenden Genauigkeit« wird von der Militärführung offenbar nicht als Problem betrachtet. Denn: Hat eine schwere Granate erst einmal getroffen, kann man unter den Opfern ohnehin nicht mehr zwischen Zivilisten und Aufständischen unterscheiden. Insofern ist die Wirkung der Haubitze durchaus mit dem vom deutschen Oberst Klein im September 2009 befohlenen Bombenangriff auf zwei Tanklaster im Kundus-Fluss zu vergleichen, mit dem sich ein Bundestags-Untersuchungsausschuss befasst.

Wie zielstrebig Deutschland globale Militäreinsätze erweitert, lässt sich in Steuergeld ausdrücken. 2007 plante man für sämtliche Bundeswehr-Einsätze 891,361 Millionen Euro. Real gab man 910,713 Millionen Euro aus. 2008 lag das Verhältnis bei 896,329 zu 917,4 Millionen Euro. 2009 plante man 939,201 Millionen und gab

1 099,019 Millionen aus. In drei Jahren also ein Zuwachs von rund 188 Millionen Euro.

Extrem gesteigert wurden insbesondere die Ausgaben für den Afganistan-Krieg (siehe Grafik). Sie stiegen von 2007 bis 2009 um rund 272 Millionen Euro. Insbesondere die Beschaffung verschlingt Gelder. 2007 listete das Verteidigungsministerium intern noch 25 notwendige Positionen auf, 2008 waren es 34, 2009 ist die Liste auf 52 Positionen des »einsatzbedingten Sofortbedarfs« angewachsen. Dass viel nicht viel hilft, entnimmt man einer internen Ministeriumseinschätzung in der Rechnungsrubrik »Erhaltung von Wehrmaterial«. Die »signifikante Erhöhung« dieser Ausgaben, so heißt es, »ist in der Aufstockung von geschützten Fahrzeugen, der intensiveren Nutzung dieser Fahrzeuge sowie der Instandsetzung von beschädigten Fahrzeugen aufgrund der erheblich gestiegenen Anschlagstätigkeit in Afghanistan begründet«.

*** Aus: Neues Deutschland, 16. April 2010


Schnellschluss

Von Uwe Kalbe ****

Gegen vorschnelle Schlüsse spricht sich nach dem Tod weiterer deutscher Soldaten am Hindukusch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier aus. Doch hat die Politik nun, nachdem sie den Karren – im umgangssprachlichen Sinne – in den Dreck gefahren hat, wenig Einfluss darauf, in welchem Tempo die Debatte über den Kriegseinsatz ihre absehbare Richtung nimmt, in welchem Tempo also der Groll gegen den Einsatz wachsen wird. Die »Überzeugungsarbeit der Politik« werde nun anspruchsvoller, so Steinmeier. Ja, das ist immer so, wenn Menschen gegen ihre eigene Vernunft gefügig gemacht werden sollen.

Schwer zu sagen, an wen Steinmeiers Appell gerichtet ist. Der Wille der Bevölkerungsmehrheit steht ja fest. Will er die Bundesregierung zu Standhaftigkeit mahnen? Die lässt kein Wanken erkennen, selbst das derzeitige Bundestagsmandat hält sie für ausreichend auch für das Agieren in nun wohl zunehmenden Kampfhandlungen. Anders als die SPD, die darüber im Bundestag gern nochmal gesondert abstimmen würde – wie Parteichef Gabriel verlangt. Doch dies ist wohl das eigentliche Problem der SPD-Führung: die Abneigung gegen den Einsatz in den eigenen Reihen. Während Gabriel deshalb oppositionell klingende Forderungen erhebt, lässt Steinmeier erkennen, dass die SPD sicher auch einem erweiterten Mandat zustimmen würde. Nur dass vielleicht ein wenig mehr Überzeugungsarbeit nötig würde, für welchen Preis sie das tut.

**** Aus: Neues Deutschland, 17. April 2010 (Kommentar)


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