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Partnern bis zum Tod

Von Arnold Schölzel *

Der Befehlshaber aller NATO-Besatzungstruppen in Afghanistan, US-General Stanley McChrystal, hielt sich am Mittwoch in Berlin auf, um mit der Bundesregierung die von ihm konzipierte Strategie des »Partnering« im Afghanistan-Krieg zu besprechen. Das Resultat: Es kommen mehr Truppen in das bisher von den Deutschen besetzte Gebiet, d.h. mehr tote Soldaten und noch mehr tote Zivilisten sind einkalkuliert. Nach einem Gespräch mit Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) bezeichnete der US-General vor der Presse 2010 als »kritisches Jahr« und fügte hinzu: »Die Situation in Afghanistan bleibt ernst.« Der Einsatz deutscher Soldaten in dem zentralasiatischen Land verläuft nach McChrystal mit »großem Erfolg«. In den vergangenen drei Wochen waren sieben Bundeswehrangehörige dort getötet worden.

Guttenberg machte darauf aufmerksam, daß das »Partnering«-Konzept, bei dem die Soldaten der ISAF genannten NATO-Truppe gemeinsam mit den auszubildenden afghanischen Sicherheitskräften patrouillieren, hohe Risiken und Gefahren berge. Mit einer gelungenen Ausbildung der afghanischen Polizei und Armee schaffe man aber die Grundlage, »daß wir mit einer Abzugsperspektive tatsächlich auch arbeiten können«. Das sieht so aus: Die Militäroperationen und die Anstrengungen für die Ausbildung sollen 2010 verstärkt werden, damit ab Mitte 2011 der Abzug der ISAF-Truppen beginnen kann. US-Truppen werden die deutschen Einheiten in Nordafghanistan künftig »unterstützen«. Guttenberg betonte aber, daß Deutschland die Führungsverantwortung für den Norden »gerne weiter so wahrnehmen« werde. Er räumte aber ein, daß die Bundeswehr auch auf militärische Kapazitäten der NATO-Partner– etwa bei Hubschraubern – angewiesen sei. Mit dem Einzug der Amerikaner in den Norden werde »die deutsche Fähigkeitslücke mehr und mehr geschlossen«.

Was das »Partnering« tatsächlich bedeutet, erklärte der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) vor Beginn des Besuches von McChrystal in den Stuttgarter Nachrichten. Er warnte dort vor einem militärischen Alleingang der US-Truppen im deutschen Besatzungsbereich und stellte fest: »Die US-Verbündeten sind im deutschen Regionalkommando Nord stärker aufgestellt als die Deutschen selbst.«. Die USA verlegen derzeit 5000 Soldaten in das Gebiet. Guttenberg versicherte dagegen, er habe von dem US-General die »klare Bestätigung« bekommen, daß die »Führungsverantwortung Deutschlands nicht nur akzeptiert, sondern auch anerkannt wird«.

Probleme dieser Art dürften das Fußvolk des deutschen Kriegseinsatzes weniger interessieren: Die Mannschaftsdienstgrade stammen zu 62 Prozent aus dem Osten, bei den Stabsoffizieren sind es 16 Prozent, wie am Mittwoch nach einem Bericht der Thüringer Allgemeinen bekannt wurde. Das schlage sich auch in den Opferzahlen in Afghanistan nieder. Bis 2009 waren 13 der 35 Afghanistan-Toten Soldaten aus dem Anschlußgebiet. Der Ost-Anteil der 5836 Soldaten im Auslandseinsatz stieg 2009 auf 49 Prozent, während der Anteil der Ostdeutschen an der Gesamtbevölkerung 20 Prozent beträgt. Der Historiker Michael Wolffsohn nannte dies im Sender MDR Info eine »Ossifizierung« der Bundeswehr, die eng mit der ökonomischen Situation in Ostdeutschland zusammenhänge: »Diejenigen, die weniger Arbeit finden, gehen in die Bundeswehr.« Er erneuerte seinen Vorwurf, daß die deutsche Armee zu einer »Unterschichtenarmee« werde. »Die gehobenen Kreise drücken sich«.

* Aus: junge Welt, 22. April 2010




ISAF bedauert Tod von vier Zivilisten

NATO: Kontakte zu gemäßigten Taliban **

Die NATO hat sich für den Tod von vier afghanischen Zivilisten entschuldigt, die bei einem Einsatz internationaler Einheiten Anfang der Woche ums Leben gekommen waren. In einer am Mittwoch (21. April) veröffentlichten Erklärung drückte die NATO-Truppe ISAF ihr »tiefes Bedauern« über den »tragischen Verlust« aus. Die ISAF entschuldigte sich zudem dafür, zwei der Getöteten in einer ersten Stellungnahme als Aufständische bezeichnet zu haben.

Die vier Afghanen waren nach ISAF-Angaben am Montag in der östlichen Provinz Chost erschossen worden, als sie mit ihrem Auto trotz Warnungen weiter auf einen Konvoi der internationalen Truppe zugefahren waren. Nach Angaben des afghanischen Bildungsministeriums waren alle vier Opfer Schüler im Alter von zwölf bis 19 Jahren und unbewaffnet.

Unterdessen hat die NATO angeblich Kontakt zu Taliban-Kämpfern in Afghanistan, die bereit sind, ihre Waffen niederzulegen. In Helmand und anderen Provinzen gebe es klare Signale von Anführern der Aufständischen und deren Gefolgsleuten, berichtet die Wochenzeitung »Rheinischer Merkur«. Nach dpa-Informationen aus NATO-Kreisen handelt es sich um einige hundert Taliban. Nun gebe es Verhandlungen mit den Kämpfern darüber, wie sie sich ins zivile Leben wiedereingliedern könnten, sagte Generalmajor Richard Barrons dem Blatt. Der Brite leitet seit Oktober von Kabul aus die Bemühungen der ISAF um eine Wiedereingliederung gemäßigter Taliban.

Die sogenannte Friedens-Dschirga in Afghanistan wird derweil verschoben. Die Ratsversammlung, bei der sich die Regierung Anfang Mai breite Unterstützung für eine Aussöhnung mit den Taliban sichern wollte, werde »zwei bis drei Wochen« später als geplant stattfinden, wurde am Mittwoch (21. April) in Kabul mitgeteilt.

** Aus: Neues Deutschland, 22. April 2010


SPD-Streit über Afghanistankrieg

Fraktionschef Steinmeier will keine Abzugs-Debatte in seiner Partei ***

Am Mittwoch (21. April) trafen die sterblichen Überreste der vier in der Vorwoche in Afghanistan getöteten Bundeswehr-Soldaten auf dem Flughafen Köln/Bonn ein. In der SPD wird über den Kriegseinsatz am Hindukusch weiter gestritten.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat seine Partei vor einer neuen Debatte über den Abzug aus Afghanistan gewarnt. »Wir haben unsere Haltung zum Mandat in aller Offenheit im Dezember und Januar mit allen diskutiert«, sagte er zu »Spiegel Online«. Die SPD habe das neue Mandat inhaltlich entscheidend geprägt. »Wir stehen für verantwortliche Politik. Und das bleibt so.« Statt eine »am Ende ergebnislose Debatte zu führen«, müsse den Bundeswehrsoldaten in Afghanistan Unterstützung vermittelt werden, sagte er auch mit Blick auf Abzugsforderungen aus der SPD. Die Soldaten müssten bei ihrem Einsatz den bestmöglichen Schutz haben. Steinmeier widersprach dem Eindruck, zwischen ihm und SPD-Chef Sigmar Gabriel gebe es beim Thema Afghanistan Differenzen: »Wir stehen für eine verantwortliche Abzugsperspektive. Und beide wenden wir uns gegen unverantwortliche Kriegsrhetorik.«

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) sprach sich dagegen dafür aus, Terroristen in Afghanistan nur noch mit polizeilichen Mitteln zu bekämpfen. Deutschland werde weiter an Auslandseinsätzen teilnehmen müssen, sagte Sellering am Mittwoch bei einem Besuch des Landeskommandos der Bundeswehr in Schwerin. »Aber ich würde es auf quasi-polizeiliche Einsätze beschränken wollen, nämlich dass wir Menschen schützen, die angegriffen werden.« Kriegstypische Gegenschläge, bei denen Menschen gezielt getötet würden, gehörten nicht dazu. Sellering forderte erneut, die Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan so schnell wie möglich abzuziehen, »ohne unsere Soldaten zu gefährden«. Sie dürften »nicht erst auf 2014 oder 2015 vertröstet werden«.

Verletzte Soldaten jetzt in Koblenz

Die fünf bei einem Gefecht in Afghanistan verletzten Bundeswehrsoldaten werden seit Mittwoch im Koblenzer Bundeswehrzentralkrankenhaus behandelt. Zwei von ihnen liegen im künstlichen Koma auf der Intensivstation, wie der Sprecher des Sanitätsführungskommandos, Oberstleutnant Ralph Adametz, der dpa sagte. Zur Art der Verletzungen äußerte sich der Sprecher nicht. Die Soldaten waren am Donnerstag bei einem Gefecht in der afghanischen Provinz Baghlan verletzt worden. Vier ihrer Kameraden wurden dabei getötet.

*** Aus: Neues Deutschland, 22. April 2010


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