Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kommando Spezialkiller

Sind Todesschwadronen der Bundeswehr in Afghanistan an der Eliminierung von Drogendealern beteiligt?

Von Jürgen Rose*

Es gehört zum Beruf des Soldaten, dass er sein Leben riskiert für seinen Auftrag. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Das weiß jeder, der nach Afghanistan geht, dass dort sein Leben gefährdet ist ..." - Mit diesen orakelhaften Einlassungen irritierte Verteidigungsminister Peter Struck Anfang Juni die deutsche Öffentlichkeit. Dass Wochen später, am 25. Juni, zwei deutsche Soldaten in Rustaq beim Beladen von Lastwagen mit eingesammelten Waffen und abgegebener Munition durch eine Explosion ums Leben kommen würden, konnte er damals noch nicht wissen. Warum seine Warnungen zu diesem Zeitpunkt?

Befürchtungen, als "Spielball der Politik" verheizt zu werden

Ein wenig Licht ins Dunkel könnte eine Meldung bringen, die unter der Überschrift Viele Tote am 6. Juli auf der Homepage von german-foreign-policy.com, einer Gruppe unabhängiger Wissenschaftler, die sich der kritischen Beobachtung deutscher Großmachtambitionen widmen, zu lesen war. Deutschen Geheimdienstkreisen zufolge sollen bisher bis zu zwölf Bundeswehrsoldaten des unter strikter Geheimhaltung operierenden "Kommandos Spezialkräfte" (KSK) aus Calw im Kampfeinsatz in Afghanistan gefallen sein. Von Seiten des für die Führung der Spezialkräfte zuständigen Kommandos in Potsdam wird bislang jegliche Stellungsnahme dazu abgelehnt. Freilich erfolgte auch kein ausdrückliches Dementi. Ein Brigadegeneral der Bundeswehr - er ist pensioniert und kann daher reden - bestätigt den Sachverhalt im Wesentlichen. Heinz Loquai erklärt, er selbst habe bereits vor geraumer Zeit erfahren, "dass deutsche Soldaten bei KSK-Einsätzen ums Leben gekommen sind und die Familienangehörigen massiv unter Druck gesetzt werden, um zu verhindern, dass die Medien darüber etwas erfahren. ... Es ist wohl auch zu vermuten, dass Parlamentarier hierüber informiert sind (wohl nicht PDS-Leute). Irgendwann wird der ganze Schwindel auffliegen." Rechnete Peter Struck also im Wissen um seine toten KSK-Soldaten damit, dass diese Information alsbald in die Öffentlichkeit gelangen würde? War dies der Grund für seine nur scheinbar unmotivierten Bemerkungen?

Als wäre derartige ministerielle Geheimniskrämerei nicht schon anstößig genug, bringt am 7. Juli die Illustrierte Stern ihre zweite, unter konspirativen Bedingungen entstandene Reportage über die geheimnisumwobene Calwer Eliteformation. Während die erste Story vom November 2004 eher den Charakter einer Eloge auf die "Speerspitze der Bundeswehr" trägt, birgt der nun vorliegende Bericht möglicherweise das Potenzial für einen der größten sicherheitspolitischen Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Auffällig ist zunächst, dass es dem Autor Uli Rauss offenbar gelungen ist, sich einen dauerhaften und vertrauensvollen Zugang zu den Kommandosoldaten zu verschaffen. Ein äußerst bemerkenswerter Umstand, denn schließlich gehört strengste Geheimhaltung zum eisernen Reglement der Spezialeinheit. Die Soldaten müssen schriftlich versichern, mit niemandem außerhalb des Kommandos - auch nicht mit ihren Ehefrauen - über ihre Tätigkeit, geschweige denn über ihre Einsätze, zu reden. Verstöße gegen diese Bestimmungen erfüllen in aller Regel den Tatbestand des Geheimnisverrats. Das Strafgesetzbuch sieht hierfür empfindliche Freiheitsstrafen vor. Dessen ungeachtet wurden dem Stern-Reporter augenscheinlich sogar amtlich geheim gehaltene Dokumente wie der von ihm zitierte "Befehl Nr. 2 Verlegung EinsVbdSpezKr - Az 31-73-10" zugänglich gemacht. Allein dies lässt auf massive Probleme innerhalb des KSK schließen, könnte dieser Vorgang doch ein Indiz dafür sein, dass sich das Vertrauen der Soldaten in ihre Vorgesetzten auf dem absoluten Nullpunkt befindet. Selbst Vertrauenspersonen wie der Wehrbeauftragte oder Psychologen und Militärpfarrer vermögen keine effektiven Optionen zur Konfliktlösung anzubieten. Angesichts der massiven Befürchtungen, als "Spielball der Politik verheizt zu werden", wie die betroffenen KSK-Soldaten zu verstehen geben, scheint ihnen einzig die "Flucht in die Öffentlichkeit" erfolgversprechend.

Seit Mai 2005 befindet sich das KSK zum zweiten Mal im Rahmen der von den USA befehligten Operation Enduring Freedom im Afghanistan-Einsatz. Insgesamt 106 Mann wurden für die Mission "OEF-II-AFG" auf den Kriegsschauplatz befohlen. Und unter denen herrscht die Gewissheit, "dass es diesmal Verluste geben wird, tote deutsche Soldaten". Aber nicht allein dieser Umstand gibt Anlass zur Empörung. Dass Regierungen - auch demokratisch gewählte - Soldaten zu politischen Zwecken verheizen, ist an sich nichts Ungewöhnliches, man denke an nur an die gefallenen Amerikaner und Briten im Irak. Den eigentlichen Skandal stellt der Auftrag dar, unter dem die Spezialkrieger aus Calw angeblich operieren. Wortwörtlich geben sie zu Protokoll, "läuft der Einsatz in Afghanistan aufs Ausschalten von Hochwertzielen im Drogengeschäft hinaus. Einige Offiziere haben uns nach Stabsbriefings klipp und klar gesagt, dass es um drug enforcement (Drogenbekämpfung) geht. Wir sollen Drahtzieher ausschalten, eliminieren". Nie, so die Kommandosoldaten, hätten sich die KSK-Scharfschützen so intensiv auf "Assassination" vorbereitet: Verdeckt ran an die Zielperson, ein Schuss, das war´s.

Dafür, dass diese Enthüllungen zutreffen, spricht einiges - nicht zuletzt die Antwort des verteidigungspolitischen Sprechers der SPD, Rainer Arnold, am 14. Juli auf die Frage, ob KSK-Soldaten auch gegen Drogenbosse im Einsatz seien: "Da gibt es Überschneidungen. Ein Terrorist kann sein Terrorgeschäft über Drogen finanzieren." Ein Dementi klingt anders. Im Klartext folgt daraus, dass die derzeit stattfindenden Operationen des KSK in Afghanistan eindeutig die Begrenzungen des vom Bundestag erteilten Mandats zur Unterstützung der Operation Enduring Freedom sprengen. Denn eine direkte Teilhabe an Maßnahmen zur Drogenbekämpfung, wie sie von amerikanischen und britischen Militärs durchgeführt wird, schließt sowohl das Mandat als auch die ergänzende Protokollerklärung der Bundesregierung kategorisch aus.

Ein Kolonialkrieger, der fern der Heimat nach eigenen Gesetzen handelt

Darüber hinaus verstößt der von den Insidern des KSK kolportierte und von SPD-Verteidigungssprecher Arnold bestätigte Auftrag eklatant gegen jegliches Völkerrecht und erst recht gegen das Grundgesetz. Die Vorstellung, dass aus Deutschland entsandte Todesschwadronen der Bundeswehr in fremden Staaten aufgrund eins bloßen Tatverdachts Mordaufträge ausführen könnten, erscheint als schlichtweg ungeheuerlich. Träfe die kolportierten Darstellungen zu, wäre Deutschland auf das Niveau eines "Schurkenstaates" herabgesunken.

Ob Kanzler Schröder dies wohl im Sinn hatte, als er von der "Enttabuisierung des Militärischen" schwadronierte? Last not least gewinnt im Lichte des möglichen Skandals um den KSK-Einsatz in Afghanistan die Forderung des amtierenden Heeresinspekteurs, Generalleutnant Hans-Otto Budde, nach dem "archaischen Kämpfer" ungeahnte Aktualität. Sollte man sich letzteren doch "vorstellen als einen Kolonialkrieger, der fern der Heimat bei dieser Existenz in Gefahr steht, nach eigenen Gesetzen zu handeln". Allem Anschein nach ist seine Vision auf erschreckende Weise Realität geworden.

* Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.

Aus: Freitag 29, 22. Juli 2005



Zu weiteren Beiträgen über Afghanistan

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage