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Persilschein für Deutschland

Auch im Zivilverfahren gibt es für die Bundeswehropfer von Kundus nur die kalte Schulter

Von Velten Schäfer *

Das Landgericht Bonn hat erstinstanzlich eine Zivilklage von Angehörigen der Opfer des Kundus-Bombardements von 2009 abgewiesen. Die nächste Instanz wäre das OLG Bonn.

Am 4. September 2009 befahl der Bundeswehroberst Georg Klein, zwei auf einer Sandbank festgefahrene Tanklaster und die Umstehenden durch den Abwurf zweier 500-Kilo-Bomben zu vernichten. Nachdem bereits 2010 der Generalbundesanwalt ein zunächst eingeleitetes Strafverfahren eingestellt hatte und ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss 2011 im Sand verlaufen war, hat das Bonner Landgericht nun auch zivilrechtliche Konsequenzen aus dem Tod von laut NATO rund 140 oder nach Bundeswehrversion »nur« 91 Menschen – weit überwiegend Zivilisten – zurückgewiesen.

Am Mittwoch verkündete das Gericht, es sei seitens des mittlerweile sogar zum Brigadegeneral beförderten Offiziers keine »schuldhafte Amtspflichtverletzung« erkennbar, weswegen es auch keine legitimen Schadensersatzansprüche geben könne.

Dabei hatten die Beweisermittlungen, die das Gericht zunächst anstellen ließ, auf eine ernsthaftere Behandlung des Falles schließen lassen. Das Gericht hatte sich unter anderem Videoaufnahmen aus den beiden amerikanischen Kampfjets zeigen lassen, die auf Kleins Befehl die beiden tödlichen Bomben abgeworfen hatten. Diese Videos machten zwar deutlich, dass sich Menschen von verschiedenen Orten zu den Lastern bewegten – womöglich um Benzin abzuzapfen. Laut Gericht ergaben sich aus den Aufnahmen aber keine zwingenden Hinweise auf die Anwesenheit von Zivilisten, die der Oberst hätte beachten müssen.

Auch die Tatsache, dass Klein den Vorschlag eines der beiden amerikanischen Piloten zurückgewiesen hatte, den Schauplatz zunächst einmal drohend zu überfliegen, um etwaigen Zivilisten die Chance zur Flucht zu geben, änderte die Meinung des Gerichtes nicht. Der Brigadegeneral wurde nicht einmal erneut zum Sachverhalt vernommen.

Dabei müssen nach den 1977 verabschiedeten Zusatzprotokollen zu den Genfer Konventionen vor einem Angriff, bei dem womöglich Zivilisten sterben könnten, dieselben zwingend und wirksam gewarnt werden.

Dass sich das Gericht anhand der von ihm selbst erhobenen Fakten auf den Standpunkt stellte, es seien für den Obristen keine Zivilisten am Schauplatz erkennbar gewesen, rief bei Kritikern wie etwa dem »Komitee für Grundrechte und Demokratie« große Enttäuschung hervor. Zumal dasselbe Gericht hervorhob, dass Klein sich gegen die zunächst ausgewählte 2000-Kilo-Bombe und für die beiden etwas kleineren Kaliber entschieden hatte. Wies dies nicht darauf hin, dass der Militär doch Zweifel daran hatte, wen er gerade auszuschalten im Begriff war?

Nach Einschätzung von Prozessbeobachtern handelt es sich um ein »politisches Urteil«. Martin Singe vom Grundrechtekomitee sagte gegenüber »nd«, seiner Beobachtung nach habe der Richter »auf einen Vergleich hinausgewollt«, worauf sich die Klägerseite auch eingelassen hätte – doch die Bundesregierung blieb hart. Singe, der von einem »bösen Urteil« spricht, ist sich »sicher, dass es massiven politischen Druck auf den Bonner Richter gegeben hat«. Zumal es durchaus möglich gewesen sei, ein salomonisches Urteil zu fällen: Für eine Zivilhaftung der Bundesregierung hätte die Feststellung von Fahrlässigkeit bei Kleins tödlicher Entscheidung ausgereicht. Es wäre möglich gewesen, den Opfern gerecht zu werden, ohne den jetzigen Brigadegeneral doch noch strafrechtlich wegen eines Kriegsverbrechens zu belangen. »Deutsche Soldaten sollen auch künftig ohne Angst vor Strafe bombardieren können«, so Singe.

Fast entschuldigend, so Singe, habe sich der Richter auf die Rechtssprechung zu dem Massaker von Distomo im Zweiten Weltkrieg und dem Bombardement von Varvarin im Kosovokrieg bezogen. 1999 hatte die NATO während eines Volksfestes eine Brücke bombardiert und zehn Zivilisten getötet. Ebenfalls das Bonner Landgericht hatte 2007 eine Zivilklage von Angehörigen abgewiesen.

Gegen die jetzige Entscheidung ist Revision möglich, die Folgeinstanz wäre das OLG Bonn.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 12. Dezember 2013


Freibrief zum Töten

Bundeswehrangriff in Kundus bleibt ungesühnt. Gericht weist Klage von Hinterbliebenen gegen BRD ab. Verteidigungsminister zur Truppenbescherung in Afghanistan

Von Rüdiger Göbel **


Etwa 140 Menschen, darunter auch Kinder, sind bei einem von der Bundeswehr befohlenen Luftangriff im afghanischen Kundus im September 2009 getötet worden. Am Mittwoch hat das Bonner Landgericht entschieden, daß die BRD den Überlebenden und Angehörigen der Toten keinen Schadensersatz zahlen muß. Es liege keine »Amtspflichtverletzung« vor, die den deutschen Staat in dem Fall haftbar mache, heißt es in dem Urteil. Dem damaligen Kommandeur Oberst Georg Klein sei kein schuldhafter Verstoß gegen Amtsverpflichtungen nachzuweisen. »Einen Tag nach dem Tag der Menschenrechte hat das Völkerrecht vor dem Bonner Landgericht eine schwere Niederlage erlitten«, erklärte das Komitee für Grundrechte und Demokratie am Mittwoch in einer ersten Stellungnahme. Die Kläger kündigten Berufung an.

Der Angriff am 4. September 2009 habe einem »militärischen Ziel« gegolten, nämlich zwei von Taliban entführten Tanklastern, urteilte Richter Heinz Sonnenberger. Oberst Klein habe sich bei einem Informanten der Bundeswehr in der Nähe der Tanklastwagen insgesamt siebenmal rückversichert, daß dort nur Taliban-Kämpfer und keine Zivilisten vor Ort seien, bevor er den Befehl gegeben habe. Klein selbst verhören wollte Sonnenberger nicht, eine Vernehmung des Militärs zur Lagebeurteilung vor Ort sei »unerheblich«.

Den Zivilprozeß gegen die BRD angestrengt hatten die Bremer Anwälte Karim Popal und Peter Derleder im Namen von Hinterbliebenen. Das Bundesverteidigungsministerium hatte die Klage als »unzulässig« eingestuft und war daher auch nicht zu einer außergerichtlichen Einigung bereit. Die beiden Kläger hatten insgesamt 90000 Euro gefordert. Laut Verteidigungsministerium wurden als »humanitäre Leistung« bereits 90mal je 5000 US-Dollar, umgerechnet etwa 3800 Euro, an afghanische Familien gezahlt – ohne damit aber eine Schuld oder Verantwortung anzuerkennen.

Tatsächlich hatte Oberst Klein in jener Nacht vor vier Jahren unter Vorspiegelung falscher Tatsachen US-Kampfflugzeuge zum Bombardement bestellt. So hatte er behauptet, deutsche Soldaten würden sich in der Nähe des Geschehens aufhalten. Ein Strafverfahren gegen Klein hatte die Bundesanwaltschaft eingestellt, die Bundeswehr hat ihn mittlerweile zum Brigadegeneral befördert.

»Das Urteil ist eine schwere Niederlage für das Völkerrecht und zugleich ein großer Sieg der Bundesregierung, die sich künftig bei weiteren völkerrechtswidrigen Kriegen und Bombardements nicht mehr gerichtlich verantworten will«, erklärte am Mittwoch Martin Singe vom Grundrechtekomitee. Das Urteil reihe sich ein in die Entscheidungen zu Distomo und Vavarin– in diesen Fällen hatten Hinterbliebene eines SS-Massakers 1944 in Griechenland und des NATO-Luftangriffes auf eine südserbische Stadt 1999 – vergeblich – gegen die BRD geklagt. »Deutsche Soldaten sollen auch künftig ohne Angst vor Strafe bombardieren dürfen«, so Singe. Die Entscheidung sei ein »Freibrief für künftiges mörderisches Verhalten von Soldaten«.

Während im Bonner Landgericht derart Recht gesprochen wurde, war Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) zur Bescherung in Afghanistan. Begleitet von Abgeordenten des Deutschen Bundestages stattete er den Soldaten im Feldlager Masar-i-Scharif den mittlerweile obligatorischen vorweihnachtlichen Besuch ab. Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul wurden Fahrzeuge der Bundeswehr beschädigt. Berichte der Taliban über zehn getötete NATO-Soldaten wurden nicht bestätigt.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. Dezember 2013


Lizenz zum Töten

Velten Schäfer über das Urteil im Bonner Kundus-Prozess ***

Es ist unwürdig genug, dass Deutschland sich eine eigene Version seines seit 1945 tödlichsten Angriffes zurechtlegt und die von der NATO ermittelte Opferzahl nicht akzeptiert. Noch unwürdiger ist der nun beendete Bonner Zivilprozess um das Massaker verlaufen: Erst ließ sich das Gericht Beweise vorlegen, aus denen massive Zweifel selbst der kriegserprobten US-Piloten, die die Bomben dann warfen, klar hervorgingen. Doch dann wollte es den Bombardierungsbefehl des deutschen Obristen nicht einmal für fahrlässig halten.

Dabei wäre dies ein Ausweg gewesen: Man hätte den Opfern ein Stück weit gerecht werden können, ohne den Befehlshaber eines Kriegsverbrechens schuldig zu sprechen. Die Kläger hatten Bereitschaft zum Vergleich gezeigt. Aber selbst ein »salomonisches« Urteil ging offenbar zu weit. Was zählen schon die Leben von 140 Afghanen angesichts der Lizenz zum weltweiten Töten, die sich die neuen deutschen Krieger und ihre Auftraggeber wieder anmaßen?

Um nichts anderes ging es in diesem Verfahren als um den alten Gegensatz von Recht und Staatsräson. Wer geglaubt hatte, in einem Land zu leben, in dem das Erste regiere, ist nunmehr auf dem Boden der Tatsachen zurück: Krieg bleibt Krieg. Wo die Waffen sprechen, schweigt das Recht. Insofern ist es nur allzu folgerichtig, dass sich der Richter auch noch auf Distomo bezog – eines der grausigsten ungesühnten deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 12. Dezember 2013 (Kommentar)


Bombenangriff von Kundus war ein Verbrechen

Jan van Aken, stellvertretender Vorsitzender der Partei Die Linke, erklärte am Mittwoch zum Kundus-Urteil des Landesgerichts Bonn:

Deutschland zeigt den Opfern des Afghanistan-Krieges die kalte Schulter. Die Abweisung der Schadensersatzklage von Hinterbliebenen des Bombenangriffes von Kundus ist ein schwerer Schlag gegenüber den zivilen Opfern der deutschen Kriegsbeteiligung in Afghanistan.

Im September 2009 hatte der deutsche Oberst Klein einen Luftangriff wegen zwei entführter Tanklastwagen im afghanischen Kundus angeordnet, obwohl er sicher davon ausgehen konnte, daß dabei auch Zivilisten getroffen werden. Mehr als hundert Menschen, darunter auch Kinder, wurden bei diesem Angriff getötet. Die Opfer und die Hinterbliebenen kämpfen seitdem vergeblich um Gerechtigkeit und eine Anerkennung des begangenen Unrechts von Deutschland.

Die Entscheidung des Landgerichtes Bonn reiht sich ein in eine Vielzahl von Ungerechtigkeiten gegenüber den zivilen Opfern und ihren Hinterbliebenen. Schon auf ein Disziplinarverfahren gegen Oberst Klein wurde verzichtet. Auch ist er noch befördert worden. Daß dem Oberst keine schuldhafte Verletzung der Amtspflichten nachgewiesen werden kann, wie es im Amtsdeutsch heißt, ist kaum vorstellbar, denn mittlerweile wissen wir, daß sich seine damalige Entscheidung zum Angriff allein auf einen unzuverlässigen Informanten stützte. Der Bombenangriff von Kundus war ein Verbrechen, das leider ungesühnt bleibt.




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