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Oberst sieht sich als Opfer

Von Jörn Boewe *

Der verantwortliche Bundeswehr-Kommandeur für den tödlichen Bombenangriff in Nordafghanistan im September 2009, Oberst Georg Klein, hat am Mittwoch als erster Zeuge vor dem sogenannten Kundus-Untersuchungsausschuß des Bundestages ausgesagt. Vor der Vernehmung, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfand, ließ Klein seinen Anwalt Bernd Müssig eine Erklärung verlesen. Sein Mandant halte seinen Befehl für legal und gerechtfertigt, betonte der Anwalt. »Objektiv steht nach den maßgeblichen Kriterien des humanitären Völkerrechts fest, daß die Entscheidung für diesen Luftangriff auf Grundlage der verfügbaren Informationen und Ressourcen rechtlich nachvollziehbar und damit rechtmäßig war.« Zugleich sagte der Rechtsprofessor, daß Klein »unabhängig von der Rechtslage« alle Opfer dieses Konflikts bedaure, insbesondere den Tod unschuldiger Zivilisten. »Herr Oberst Klein sieht sich zunehmend einer massiven Vorverurteilung ausgesetzt«, fügte Müssig hinzu.

Bei dem von Klein angeordneten Bombenangriff auf zwei mutmaßlich von Aufständischen gestohlene Tanklaster waren Anfang September nach NATO-Angaben »bis zu 142 Menschen« getötet oder schwer verletzt worden. Verschiedenen Berichten zufolge befanden sich darunter zahlreiche Zivilisten, u. a. auch 26 Kinder.

Bei der geheimen Anhörung bestätigte der Oberst einem Bericht von Spiegel online zufolge, daß er den Vorschlag des US-amerikanischen Bomberpiloten, die bei den Lastern versammelte Menschenmenge durch Tiefflüge zu vertreiben, abgelehnt hatte. Die im NATO-Jargon als »show of force« bekannten Überflüge hätten sich in den Monaten vor dem September abgenutzt, argumentierte Klein demnach.

Weiter bekräftigte der Offizier laut Spiegel online, daß er sich bei seiner Einschätzung, bei der Menschenmenge habe es sich ausschließlich um Taliban gehandelt, nur auf die telefonische Aussage eines einzigen, offenbar afghanischen, Informanten stützte. Dieser habe mehrmals bestätigt, daß keine Zivilisten am Ort seien.

Früheren Berichten zufolge soll Klein gegenüber den Bomberpiloten wahrheitswidrig behauptet haben, es bestehe »Feindkontakt« am Boden, um diese zum Angriff zu drängen. Ob sich der Oberst bei seiner gestrigen Vernehmung zu diesem Punkt einließ, war bei Redaktionsschluß unklar, genauso, ob ihn überhaupt einer der Abgeordneten danach gefragt hatte.

* Aus: junge Welt, 11. Februar 2010


Annäherung an die Wahrheit

Oberst Kleins Aussagen vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss werfen neue Fragen auf

Von René Heilig **

Georg Klein ist Christ und beherzigt im normalen Leben auch das fünfte Gebot. Du sollst nicht töten! Doch Georg Klein ist auch Offizier der Bundeswehr, war Kommandeur in Afghanistan. In Kundus hat er die Schuld am Tod von über 140 Menschen auf sich geladen. Am Mittwoch legte er Zeugnis ab vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages.

Kein Zweifel, Oberst Klein hat die Mitglieder des Ausschusses beeindruckt. Schon dadurch, dass er fünf Stunden - freilich hinter geschlossenen Türen - Auskunft über seine Zeit in Afghanistan und die Geschehnisse in der Nacht des 4. September 2009 gab. Er hätte schweigen können mit dem Verweis darauf, dass die Bundesanwaltschaft gegen ihn ermittelt.

Klein hat den Befehl gegeben, zwei entführte Tankwagen, die sich im Kundus-Fluss festgefahren hatten, zu bombardieren. Sein Befehl sei »angemessen« gewesen, sagt er. Nachdem die Bomben gefallen waren, habe er in der Kapelle der Bundeswehrfestung gebetet. Er bekannte vor dem Ausschuss: Jeder Tote ist einer zu viel, die Opfer täten ihm leid.

Falsche Berater?

Klein war, als er den Befehl gab, mit Sicherheit ein sehr einsamer Mensch. Auch wenn er meint, niemand habe ein besseres Lagebild gehabt als er - Zweifel sind angebracht. Dem Vernehmen nach wurden viele Entscheidungen, die seinem finalen Befehl vorangegangen sind, ohne ihn gefällt. Beispielsweise sei das mehrfache Angebot der US-Piloten, das Ziel nur drohend in geringer Höhe zu überfliegen, um die Menschen ohne Waffeneinsatz zu vertreiben, nur einmal an ihn herangetragen worden. Nicht er, sondern sein »Joint Traffic Air Controller« habe die Videobilder vom Tatort gesehen, auf denen es angeblich von Taliban nur so wimmelte.

Auch dass er Truppen in Feindkontakt gemeldet hat, um Luftunterstützung von der NATO-Zentrale zu bekommen, relativierte er. Der Vorschlag dazu sei gleichfalls vom Fliegerleitoffizier gekommen. Der Fliegerleitoffizier, ein Hauptfeldwebel, hat mit dieser Art Notlüge wohl schon einige Erfahrung. Wer ist er? Nicht einmal sein Klarname ist dem Ausschuss bekannt. Denn der Soldat gehört zum geheimen Kontingent des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Im Gefechtsstand dieser Task-Force-47 (TF-47) wurde die nächtliche Operation geleitet. Selbst im Bundeswehr-Camp Kundus kann man nur vermuten, wie die 200 Mann starke Elitetruppe Taliban jagt. Oberst Klein soll vor dem Ausschuss berichtet haben, dass er die sechs TF-47-Leute, die mit ihm im Gefechtsstand waren, nicht namentlich kennt. Sicher war er jedoch, dass unter den KSK-Soldaten ein Mann vom Bundesnachrichtendienst (BND) war. Der BND soll sofort dementiert haben, dass einer seiner zwei Offiziere, die Mitglied der TF-47 sind, anwesend war.

Was treibt das KSK?

Offenbar benahmen sich die TF-47-Offiziere wie Chefs. Was sie formal nicht sind. Doch es drängt sich der Verdacht auf, dass es den KSK-Talibanjägern gelungen ist, den eigentlichen Chef in Kundus, Oberst Klein, für ihre Zwecke einzuspannen. Als der mörderische Angriff die US-ISAF-Führung unter General McCrystal auf den Plan rief, die ein Exempel suchte, um ihre neue »bürgernahe« Strategie zu unterstreichen, versteckten sich KSK und BND hinter Klein. Er wurde den Medien »übergeben«.

Bislang ist das nur ein begründeter Verdacht. Doch er wirft eine Reihe Fragen zum geheimen Auftrag und der geheimen Kampfweise des KSK in Afghanistan auf. Die Opposition vervollständigt ihre Frage- und Zeugenlisten. So wie die Dinge liegen, wird es den Regierungsvertretern nicht gelingen, das KSK aus dem Fall Klein herauszuhalten.

Der Untersuchungsausschuss soll in zwei Wochen abermals geheim zusammenkommen Dann werden der Fliegerleitoffizier und ein weiterer TF-47-Mann aufgerufen. Als Zeugen. Ob die Bundesanwaltschaft sich gefordert sieht, bleibt abzuwarten.

** Aus: Neues Deutschland, 12. Februar 2010


Oberst schlecht beraten

Kommandeur des tödlichen Bombenangriffs von Kundus ließ sich womöglich für geheime Operation von KSK, BND und der obskuren "Task Force 47" einspannen

Von Jörn Boewe ***


Die Aussage des Bundeswehroffiziers Georg Klein vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuß zum Bombenangriff bei Kundus im September 2009 wirft neue Fragen nach der Rolle geheimdienstlicher bzw. militärischer Strukturen auf, die offenbar außerhalb jeder parlamentarischen Kontrolle in Afghanistan Krieg führen.

So berichtete Klein verschiedenen Medienberichten zufolge vor dem Ausschuß, in der Nacht des Bombenangriffs vor seiner Entscheidung intensiv »beraten« worden zu sein. Neben den ihm unterstellten und bekannten Militärangehörigen seien sechs weitere Personen im Kommandostand anwesend gewesen, berichteten Spiegel online und Bild. Einige habe er vom Sehen gekannt, einige nicht. Den Berichten zufolge soll sich mindestens ein Zivilist darunter befunden haben. Wie die Bild-Zeitung am Donnerstag schrieb, habe Klein diesen als Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) »eingeschätzt«.

Der Dienst dementierte offenbar umgehend. Wie Spiegel online berichtete, stellte der deutsche Auslandsnachrichtendienst »kurz darauf« im geheim tagenden Parlamentarischen Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste (PKG) klar, daß sich »zur Zeit des Bombenbefehls« kein BND-Agent im Gefechtsstand aufgehalten habe.

Indirekt belastete Klein seinen Fliegerleitoffizier, im NATO-Jargon »Joint Traffic Air Controller« genannt, über den der Oberst als Befehlshaber mit den Piloten der angeforderten Kampfbomber kommunizierte. Der JTAC, ein Oberfeldwebel Markus Wilhelm mit Funkrufnamen »Red Baron 20«, habe auf den Live-Bildern der Luftbildkameras »erkannt«, daß die Menschen rund um die feststeckenden Tanklastwagen mit Panzerfäusten bewaffnet gewesen seien und sie somit als Aufständische identifiziert. Auch der Vorschlag, einen »Feindkontakt« zu erfinden, den es in Wahrheit gar nicht gab, um gegenüber den Piloten den Angriffsbefehl zu legitimieren, sei von Wilhelm ausgegangen - so Klein laut Spiegel online.

Auch die weiteren gegen ihn bestehenden Vorwürfe bestätigte Klein. Seine Information, daß es sich bei der Menschenmenge um die Tanklaster um Taliban handelte und keine Zivilisten in der Nähe seien, stützte sich allein auf die Aussage einer einzigen Quelle. Bei dieser handelte es sich nicht etwa um einen Aufklärer der Bundeswehr, sondern einen einheimischen Spion. Seinen Vorgesetzen habe er nicht informiert, weil: »Niemand hatte ein besseres Lagebild als ich.«

Hier irrt der Oberst möglicherweise. Wie die Frankfurter Rundschau gestern berichtete, sei in der Ausschußsitzung ebenfalls bekannt geworden, daß die ominöse Task Force 47 »bereits sechs Stunden vor der Entführung der Tanklaster über die Pläne der Aufständischen informiert gewesen sei.

Abgeordnete der Opposition betonten im Anschluß, nach Kleins Befragung gebe es zahlreiche offene Fragen. »jetzt beginnt das Puzzlen«, erklärte Grünen-Obmann Omid Nouripour. Der verteidigungspolitische Sprecher der Linken, Paul Schäfer, sprach von einer »undurchsichtigen Veranstaltung«. Bei dem Bombardement am 4. September waren nach NATO-Angaben »bis zu« 142 Menschen getötet worden, darunter zahlreiche Zivilisten.

*** Aus: junge Welt, 12. Februar 2010


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