Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Es geht nicht mehr nur um das Kundus-Massaker - Es geht um den ganzen Afghanistan-Krieg

Verteidigungsausschuss hat sich als Untersuchungsausschuss eingesetzt - Vorerst heißt es aber weiter: tarnen und täuschen. 5 Artikel


Regierung verzögert Aufklärung

Kanzlerin soll erst im Herbst 2010 vor Ausschuss zur Kundus-Affäre erscheinen

Von Fabian Lambeck *

Der Untersuchungsausschuss zu den Luftangriffen auf entführte Tanklaster bei Kundus kam am Mittwoch erstmals zusammen. Union und FDP haben kein Interesse an einer zügigen Aufklärung und stellen sich in zahlreichen Fragen quer.

Der Verteidigungsausschuss ist der einzige Bundestagsausschuss, der sich selbst in einen Untersuchungsausschuss umwandeln kann. Und da seine 34 Mitglieder bereits Anfang Dezember einstimmig für eine solche Umwandlung stimmten, trat der Ausschuss am Mittwoch zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. In den kommenden Monaten soll das Gremium unter Führung der Ausschussvorsitzenden Susanne Kastner (SPD) klären, wie es zu dem Bombenangriff auf zwei von Taliban entführte Tanklastzüge bei Kundus kommen konnte, bei dem zahlreiche Zivilisten ums Leben kamen.

Entgegen den ursprünglichen Plänen der Bundesregierung, den Ausschuss hinter verschlossenen Türen tagen zu lassen, dürfen nun zumindest politische Fragen öffentlich geklärt werden. Allerdings unterliegen alle militärischen Fragen zu dem Bombenangriff vom 4. September der Geheimhaltung. Somit werden viele Einsatzdetails wohl im Dunkel bleiben. Zumal nach wie vor unklar ist, ob die Bundeswehr in Afghanistan neuerdings eine robuste Einsatzstrategie verfolgt, die auch gezielte Tötungen umfasst und somit nicht vom Bundestagsmandat gedeckt wäre.

Die Regierung spielt zunächst auf Zeit. Nach Angaben des Ausschussmitglieds Paul Schäfer (LINKE) wurden am Mittwoch von den 90 Beweisanträgen der drei Oppositionsparteien mindestens zehn durch Union und FDP blockiert. Heftig gestritten wurde auch über die Reihenfolge der Zeugen, die der Ausschuss befragen soll. Die schwarz-gelben Koalitionäre wollen die politisch Verantwortlichen solange wie möglich aus der Schusslinie halten und erst gegen Ende der Ausschussarbeit befragen lassen. Damit spielen sie auf Zeit, denn allgemein wird damit gerechnet, dass der Ausschuss wohl mindestens ein Jahr ermitteln wird. Somit könnte man etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erst nach der Sommerpause 2010 vernehmen. Die Opposition will hochrangige Politiker und Militärs aber so schnell wie möglich vorladen. Wie SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold gestern bestätigte, soll die Kanzlerin »in den ersten Untersuchungswochen« befragt werden. Notfalls will die SPD eine Vorladung Merkels mit »rechtlichen Instrumenten durchsetzen«, drohte Arnold. Da kommt es einem schönen Zufall gleich, dass die »Süddeutsche Zeitung« am Mittwoch meldete, das Kanzleramt habe sich schon frühzeitig »wegen der schlechten Unterrichtung durch das Verteidigungsministerium über den Kundus-Luftschlag beklagt«. Demnach habe die Kanzlerin keinen Zugang zum ersten ISAF-Bericht und dem Bericht des verantwortlichen Oberst Georg Klein gehabt, als sie wenige Tage nach dem Angriff eine Regierungserklärung zum Thema abgab.

Damit schiebt das Kanzleramt den Schwarzen Peter wieder zurück ins Verteidigungsministerium. Dort gerät Ressortleiter Guttenberg immer mehr in Erklärungsnot. Erst recht, nachdem ihn der geschasste Bundeswehr-Generalinspekteur, Wolfgang Schneiderhan, am Mittwoch der Lüge bezichtigte. Der Wochenzeitung »Die Zeit« sagte der General, er finde es »inzwischen ehrenrührig«, das Guttenberg nach wie vor behaupte, ihm seien wichtige Berichte zu Kundus vorenthalten worden. Mit dieser Begründung hatte der Verteidigungsminister seinen General-Inspekteur und den zuständigen Staatssekretär Wichert am 25. November entlassen. Guttenberg hatte den Angriff bei Kundus mit 142 Toten zuerst als »militärisch angemessen« bezeichnet, bevor er später zurückruderte und seine beiden Untergebenen entließ.

Während der Minister versucht, seine Haut zu retten, wird in Afghanistan weiter Krieg geführt. Am Mittwoch wurde ein Bundeswehrsoldat bei einem Feuergefecht in der Nähe von Kundus schwer verwundet.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Dezember 2009


"Sie haben gar nichts anzupassen"

Aktuelle Stunde: Guttenberg bläst im Bundestag plötzlich ein scharfer Wind ins Gesicht

Von Uwe Kalbe **

Ungewohnte Härte zwischen früheren Koalitionären - am Mittwoch (16. Dez.) kam es im Bundestag zu harten Auseinandersetzungen. Der Luftangriff in Afghanistan Anfang November war Anlass.

Frappierend, wie schnell sich die Akteure im Bundestag nach einem Regierungswechsel neu sortieren. Plötzlich erlebte man am Mittwoch eine sich aufklärerisch gebende SPD, während die FDP als bisher unerbittliche Nachfragerin besänftigte. Erst mal Untersuchung, dann die Befragung prominenter Zeugen, so lautet deren Rezept für den am gleichen Tag gebildeten Untersuchungsausschuss.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg berief sich in einer teils tumultartigen Debatte auf die Bundeswehr als moralische Stütze für seine Position. Unter Hinweis auf einen am gleichen Tag in Afghanistan schwer verwundeten deutschen Soldaten fragte er »beunruhigt«, wie dieser wohl den Stil der Debatte empfinde. Die amtierende Präsidentin Gerda Hasselfeldt bemühte sich vergeblich, den einsetzenden ohrenbetäubenden Protest der Opposition zu beenden und lenkte ihn schließlich mit der Bemerkung auf sich selbst, es handele sich hier um eine ernste Debatte. Im Angesicht der Vorwürfe, er habe nicht nur den von einem Bundeswehroberst befohlenen Angriff falsch bewertet, sondern Parlament und Bevölkerung über die Hintergründe belogen, zitierte Minister Guttenberg den SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, Rainer Arnold. Dieser habe, so Guttenberg, selbst kurz nach dem Angriff noch gesagt, neben den bombardierten Tanklastern seien die Taliban in der Nähe »kein illegitimes Ziel« gewesen.

Dass ihm, dem Minister, Berichte und Informationen vorenthalten wurden, das sei unbestritten, wiederholte Guttenberg, das sei schließlich auch von dem entlassenen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan in einem Brief bestätigt worden, in dem dieser zugleich um seine Entlassung gebeten habe. Der Opposition warf Guttenberg zu guter Letzt vor, diese vollführe politischen Klamauk.

Die SPD hat es schwer, unbeschadet von den Steinwürfen der Union ihre neue Rolle in der Opposition zu übernehmen. Am Bundeswehreinsatz habe sich nichts geändert seit ihrem Abgang in die Opposition, so lautet der berechtigte Vorwurf. Frank-Walter Steinmeier griff den Verteidigungsminister zwar an, aber er reduzierte die Attacke auf die Frage, ob Guttenberg das Parlament belogen hat. Der SPD-Fraktionschef: Keine Talkshow sei derzeit vor ihm sicher, aber jeden Tag werde die Liste der offenen Fragen länger.

Weit schärfer klang, was sich Guttenberg von Jan van Aken anhören musste. Der Fraktionsvize der LINKEN erinnerte an des Ministers Forderung, den Bundeswehreinsatz den Realitäten anzupassen. »Sie haben gar nichts anzupassen!«, so van Aken. »Sie haben nicht die Lizenz zum Töten!« Der Bundestag habe die gezielte Tötung, die offenbar von der Bundeswehr praktiziert werde, nicht erlaubt. »Sie sind doch völlig kriegsblind«, antwortete er auf Zwischenrufe und forderte, das vor zwei Wochen verlängerte Mandat für den Einsatz in Afghanistan nunmehr zu widerrufen. Irgendjemand müsse die Erlaubnis für das Vorgehen der Soldaten vor Ort gegeben haben, und die Bundeskanzlerin müsse dazu Rede und Antwort stehen.

** Aus: Neues Deutschland, 17. Dezember 2009


"Hoher Zuspruch"

Bundeswehr sonnt sich im Lob afghanischer Machthaber für das Kundus-Massaker mit mehr als 140 Toten. Unterstützungsberichte auf Rat der US-Armee bestellt

Von Knut Mellenthin ***


In einem Kabinettsbeschluß der Bundesregierung vom 16. November 2009 heißt es nach einer Klage über Korruption und Willkür afghanischer Behörden: »Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane und Justiz mindern die Legitimität der afghanischen Regierung zusätzlich.« All das stärkt, so steht dort ebenfalls, die Aufständischen. Das ist so banal wie richtig. Counterinsurgency für Anfänger. Aber was sagt das über den Beifall afghanischer Regierungsbeamter und örtlicher Machthaber für das Massaker nahe Kundus, der sich zum Teil explizit auch auf die Tötung von Jugendlichen und Kindern bezieht? Bisher haben Bundesregierung und Bundeswehr den Applaus ihrer Kollaborateure ungeniert unter der Rubrik verbucht: »Unser Vorgehen wird von den Afghanen begrüßt.« Als Verbündete sind offenbar Leute willkommen, die ohne Rücksicht auf Recht und Menschlichkeit Krieg gegen Teile der Bevölkerung führen wollen - und die vielfach eine blutige Vergangenheit aus der Zeit des afghanischen Bürgerkriegs haben. Aus einigen Teilen Afghanistans liegen bereits Berichte vor, daß die örtliche Bevölkerung die »eigenen« Streitkräfte mehr fürchtet als die NATO-Truppen oder die Taliban.

Der von der Bundesregierung immer noch geheim gehaltene »Feldjäger-Bericht«, der seit Montag zumindest teilweise im Internet zu lesen ist (­88.80.16.63/leak/de-isaf-cas-kunduz-sep09.pdf), bietet aufschlußreiche Einblicke in die Vorstellungen dieser einheimischen Stützen der NATO-Besatzungsherrschaft. Beispielsweise heißt es über ein Auswertungsgespräch, das die deutschen Ermittler am 5. September mit den Distriktchefs von Chahar Darreh und Aliabad führten: »Es werden dabei keinerlei Vorwürfe gegen ISAF hinsichtlich des Bombenabwurfs vorgebracht, im Gegenteil wird ein hartes und robustes Vorgehen von ISAF, ANA (afghanische Armee) und ANP (afghanische Polizei) gegen die INS (Aufständische) in der Region als längst überfällig bezeichnet und daher sehr begrüßt.«

Über ein wenig später am selben Tag geführtes Gespräch mit drei Provinzräten aus Kundus steht im »Feldjäger-Bericht«: »Die Räte weisen darauf hin, daß sich die Sicherheitslage in KDZ in den letzten drei bis vier Jahren drastisch verschlechtert hätte. (...) Übereinstimmend bezeichnen sie diese nächtliche ISAF-Operation als genau die richtige Antwort gegenüber den INS zur richtigen Zeit und am richtigen Ort. Die Toten aus den umliegenden Ortschaften werden mit einer Gesamtzahl von 73 angegeben und diese werden übereinstimmend alle als INS (auch die Kinder und Heranwachsenden unter den Toten) bezeichnet. Keiner würde Vorwürfe gegen ISAF erheben, ganz im Gegenteil wäre man froh, wenn man von dieser Geißel Gottes befreit werden könnte.« Das Kürzel KDZ steht für Kundus.

Aus den Protokollnotizen der Ermittler zu diesem Gespräch geht überdies hervor, daß mindestens einer der drei Provinzräte die beim Bombenabwurf getöteten »Aufständischen« hauptsächlich mit einem bestimmten Stamm oder Clan identifizierte, den er offenbar pauschal, einschließlich der Kinder, als »Feind« betrachtete.

Auch der Leiter der von Präsident Hamid Karsai aus Kabul entsandten »Untersuchungskommission« teilte nach knapp dreistündiger Anwesenheit vor Ort im Gespräch mit den Deutschen die bis dahin gehörten Kommentare: »Alle Getöteten müssen INS gewesen sein, da der Ort von bewohntem Gebiet entfernt liege und die Gegend um diese Uhrzeit gefährlich sei. Den Ausführungen der Provinzräte wird ansonsten voll zugestimmt.«

Wie Spiegel online am Mittwoch (16. Dez.) meldete, stammte die Empfehlung an die Deutschen, sich afghanische Zustimmungserklärungen einzuholen, von Mike Flynn, dem Geheimdienstchef des US-Oberkommandierenden in Afghanistan, General Stanley McChrystal. »Das Wichtigste ist, daß lokale Stellen den Vorwurf widerlegen, es habe zivile Opfer gegeben«, soll Flynn auf einer Telefonkonferenz mit deutschen Militärs geraten haben, die am 4.September wenige Stunden nach dem Luftangriff stattfand. Brigadegeneral Vollmer, der Chef der Bundeswehrtruppen in Nordafghanistan, führte daraufhin laut Spiegel eine Reihe von Gesprächen, zunächst mit dem Gouverneur und dem Polizeichef der Provinz Kundus, anschließend auch mit den Bezirkschefs von Chahar Darreh und Aliabad.

Die Angesprochenen reagierten auf die Aufforderung, sich mit dem Vorgehen der Bundeswehr öffentlich zu solidarisieren, vielleicht etwas zu übereifrig, aber höchstwahrscheinlich nicht gegen ihre eigene Überzeugung. Provinzchef Mohammad Omar erklärte der britischen Nachrichtenagentur Reuters am 5.September: »Die Dorfbewohner haben den Preis dafür bezahlt, daß sie den Aufständischen helfen und ihnen Unterschlupf gewähren.« Der Vorsitzende des Provinzrates, Ahmadullah Wardak, äußerte seine Genugtuung über das Massaker im Gespräch mit McChrystal: »Wenn wir mehr solche Operationen wie diese durchführen, wird die Stabilität nach Kundus kommen. Wenn Leute nicht in Frieden und Harmonie leben wollen, ist das nicht unsere Schuld.« (Washington Post, 6. September 2009)

Fazit im »Feldjäger-Bericht«: Wegen der »durchgeführten Maßnahme« - gemeint ist die Tötung von mindestens 140 Menschen bei dem Luftangriff - habe es »von afghanischer Seite« nicht nur keine Vorwürfe, sondern »hohen Zuspruch vor allem bei den verschiedenen afghanischen Repräsentanten aus Kabul und Kundus« gegeben. »Es sollte daher intensiv untersucht werden, ob und gegebenenfalls wie dies für die künftige Zusammenarbeit mit den afghanischen Sicherheitskräften und mit der Bevölkerung genutzt werden kann.«

*** Aus: junge Welt, 17. Dezember 2009


Massaker wird zur Posse

Von Rüdiger Göbel ****

In Berlin hat der Verteidigungsausschuß des Bundestages am Mittwoch als Untersuchungsausschuß zur sogenannten Kundus-Affäre seine Arbeit aufgenommen. Die parlamentarische Überprüfung des Bombardements mit mehr als 140 Toten Anfang September in Nordafghanistan sowie der anschließenden Desinformationspolitik von Bundeswehr und Bundesregierung mutierte bereits am ersten Tag zur parteipolitischen Posse. So stritten sich die Vertreter von Regierungs- und Oppositionsfraktionen über die Reihenfolge der zu hörenden Politiker und Militärs. CDU/CSU und FDP wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und den entlassenen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan erst am Ende der auf mindestens ein Jahr angelegten Überprüfung anhören. Geht es nach SPD, Grüne und Linke, soll die politische und militärische Spitze gleich als Erste geladen werden.

Der Parlamentarische Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt (CSU) warnte derweil die Opposition vor »Vorverurteilungen«: »Sie können nicht über jeden Oberst zu Gericht sitzen.« Im Sommer habe durchaus die »Gefährdung eines organisierten Angriffs der Taliban einschließlich auf das Feldlager Kundus zu dieser Zeit bestanden«. Die Sicherheitsanalyse sei ausdrücklich davon ausgegangen, daß Tankfahrzeuge »als rollende Bomben« eingesetzt werden sollten.

Der in der Kritik stehende Verteidigungsminister monierte in der Debatte um das Massaker - dem »schlimmsten Militärakt auf deutschen Befehl seit dem Zweiten Weltkrieg« (Linke-Fraktionschef Gregor Gysi) - schlechten Stil. Der »Welle der Empörung« fehle nicht nur eine Grundlage, einigen Abgeordneten fehle es zudem an »hohem Anstandsempfinden«, sagte Guttenberg am Mittwoch im Bundestag in Berlin. Es sei an der Zeit, die Lage in Afghanistan anhand der Realitäten zu diskutieren. Die Opposition müsse sich davor hüten, die gebotene Aufklärung im Untersuchungsausschuß »nahe am Klamauk« zu führen. Der Freiherr erneuerte zugleich seine Kritik am bereits entlassenen Spitzenpersonal des Verteidigungsministeriums. Ihm seien nach Amtsantritt »Dokumente, Berichte und Informationen vorenthalten« worden. »Das ist unbestritten«, betonte der Minister. Er reagierte damit auf ein gestern vorab veröffentlichtes Interview der Zeit. Der Hamburger Wochenzeitung sagte der geschaßte Schneiderhan, der Minister sage »die Unwahrheit«. Der von Guttenberg erhobene Vorwurf, er habe wichtige Akten vorenthalten und Berichte unterschlagen, sei »ehrenrührig«. »Unterschlagen hat für mich den Geschmack des Vorsatzes, und es gab keinen Vorsatz«, sagte der entlassene General. »Daß er vorschnell formuliert, ist bekannt«, sagte Schneiderhan zudem über Guttenberg. »Aber das hier ist schon eine Steigerungsstufe.« Er übernehme aber die Verantwortung dafür, daß dem Minister nicht alle Berichte vorgelegen hätten, fügte der Militär i.R. hinzu.

»Mann gegen Mann. Darauf scheint es zwischen Schneiderhan und Guttenberg hinauszulaufen«, kommentierte Spiegel online, als erlebte das Duell im Morgengrauen demnächst ein Revival. In Kabul präsentierte derweil Anwalt Karim Popal Fotos der am 4.September verbrannten Afghanen, darunter mehrere Kinder und Jugendliche.

**** Aus: junge Welt, 17. Dezember 2009


Strategiewechsel

Kundus gibt weiter Rätsel auf

Von Werner Pirker *****


Der mediale Absturz des Freiherrn zu Guttenberg erfolgt gegenwärtig nicht minder rasant als sein Aufstieg. Daß es mit seiner atemberaubenden Karriere nun zu Ende geht, ist damit aber noch lange nicht gesagt. Völlig unbeschadet wird er die Kundus-Affäre freilich nicht überstehen. Dabei hätte Guttenberg erst gar nicht in den Strudel des Skandals zu geraten brauchen. Das Massaker am Kundus-Fluß war noch in die Amtszeit seines Vorgängers verübt worden. Der hatte die Tatsache, daß einem Angriff auf die Taliban vorwiegend Zivilisten zum Opfer gefallen sind, zu vertuschen versucht, damit der in der Bevölkerung äußerst unbeliebte Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr nicht noch weiter in Verruf gerät. Was aber den strahlenden Nachfolger des glücklosen Franz Josef Jung dazu bewogen hat, drei Monate nach dem Luftangriff auf angebliche Taliban die Legende von der militärischen Angemessenheit dieser Aktion ungefragt erneut aufzutischen, läßt sich mit übertriebener Geltungssucht allein nur schwer erklären. Hätte er geschwiegen, wäre er ein Weiser gewesen.

Es war übrigens nicht nur die Partei der Kanzlerin, welche die menschlichen »Kollateralschäden« des Bombenangriffs wegzureden versuchte. Auch die Partei des damaligen Vizekanzlers und Außenministers Frank-Walter Steinmeier zeigte sich an einer Aufklärung des Vorfalls, der sich schnell als Kriegsverbrechen herausstellte, nicht im geringsten interessiert. Nun, da sie zur Opposition geworden ist, stellt sich die Interessenlage der SPD natürlich anders dar. Auch Steinmeier muß sich die Frage gefallen lassen, ob er wirklich die Unwissenheit vom Lande war, bevor er sich ins Lager der »Aufdecker« begab. Angela Merkel hatte sich immerhin mit der Allerweltsphrase, daß jeder tote Zivilist einer zuviel wäre, aus der Affäre zu ziehen vermocht, von der sie nun aber wieder eingeholt wurde. Weil sie weit mehr hätte wissen müssen, als sie gewußt zu haben vorgibt. Wäre dem nicht so, stellte sich die dringliche Frage, ob die Bundesregierung überhaupt noch die politische Kontrolle über den deutschen Militäreinsatz am Hindukusch ausübt.

Der Massenmord von Kundus hat deutlich gemacht, daß die Bundeswehr-Präsenz in Afghanistan nicht als bewaffnete Aufbauhilfe, sondern als Aufstandsbekämpfung zu verstehen ist. Krieg ist Krieg. Und es hat ganz den Anschein, als hätte es der deutsche Oberst darauf angelegt gehabt, die Öffentlichkeit mit dieser Tatsache zu konfrontieren. Er hat sich bei dem von ihm angeordneten Luftangriff die brutalste Variante ausgesucht -ohne Vorwarnung und auf die Vernichtung von Menschen gerichtet. Das ist offenbar der »Strategiewechsel«, den die Bundeswehr vollzogen hat. Während die US-Truppen den ihren als eher friedlich definieren, soll die Bundeswehr nun den Rambo hervorkehren. Das hat nicht ein Oberst Klein entschieden. Damit er auch stillhält, hat man ihn aus der Schußlinie gezogen.

***** Aus: junge Welt, 17. Dezember 2009 (Kommentar)


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage