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US-Präsident Obama entlässt McChrystal

Ratlosigkeit in Afghanistan statt Strategie

Die Ratlosigkeit bei den NATO-Partnern und in der US-Administration ist kaum noch zu überbieten. Der in Afghanistan amtierende Befehlshaber der NATO-Truppen, General McChristal, wurde am 23. Juni von US-Präsident Obama entlassen. Diese Meldung der Agenturen also zuerst, danach die Artikel und Kommentare,, die noch vor der Entlassung erschienen waren.

US-Präsident Obama entlässt McChrystal

US-Präsident Barack Obama hat den Oberbefehlshaber der NATO-Truppen in Afghanistan, Stanley McChrystal, wegen abfälliger Äußerungen über die US-Regierung entlassen. McChrystals Verhalten habe nicht dem eines Generals entsprochen, sagte Obama nach einem Treffen mit McChrystal in Washington. Nachfolger von McChrystal soll der bisherige Chef des US-Zentralkommandos, David Petraeus, werden.

McChrystal war im US-Musikmagazin "Rolling Stone" mit scharfer Kritik an Vizepräsident Joe Biden und am US-Botschafter in Kabul, Karl Eikenberry, zitiert worden. Ein enger Berater des Generals wurde zudem mit der Einschätzung zitiert, dass McChrystal wenig von Obamas Afghanistan-Politik halte. McChrystal habe sich nach seinem ersten Treffen mit Obama "enttäuscht" gezeigt. McChrystal entschuldigte sich nach Bekanntwerden des Artikels umgehend.

Als Reaktion auf die Äußerungen hatte Obama den General zu einem Vieraugengespräch ins Weiße Haus beordert. Bereits zuvor hatte der US-Präsident dem hochdekorierten General ein "schlechtes Urteilsvermögen" bescheinigt. Nach Angaben des Weißen Hauses war Obama "wütend" über die abfällige Kritik McChrystals.

Nach dem halbstündigen Treffen sagte Obama, es sei schwierig, auf McChrystal verzichten zu müssen. Für die nationale Sicherheit sei dies aber der richtige Schritt. Zwar begrüße er Diskussionen unter seinen Mitarbeitern, er werde aber keine "Spaltung" seiner Mannschaft tolerieren. Obama betonte, dass die Berufung von Petraeus zum neuen Oberbefehlshaber der NATO- und US-Truppen in Afghanistan keinen Strategiewechsel bedeute.

Nach AFP, 23. Juni 2010


McChrystal lässt Stein rollen

Veröffentlichung könnte für US-General zur Lawine werden

Der Oberbefehlshaber der internationalen Truppen in Afghanistan, US-General Stanley McChrystal, ist nach scharfer Kritik an der US-Regierung ins Weiße Haus zitiert worden.

McChrystal solle dort bereits an diesem Mittwoch Rede und Antwort zu Äußerungen stehen, die in einem Porträt über ihn im US-Musikmagazin »Rolling Stone« wiedergegeben werden, berichteten Medien am Dienstag. Präsident Barack Obama sei »wütend« wegen des Artikels, meldete der Fernsehsender MSNBC.

McChrystal bat unterdessen bereits darum, seine »aufrichtige Entschuldigung« wegen des Beitrags zu akzeptieren. Die Äußerungen entsprächen nicht seinen »Prinzipien von persönlicher Ehre und Integrität«, hieß es in einer in Kabul von McChrystal veröffentlichten Erklärung. Dem Porträt zufolge hat McChrystal die Afghanistanpolitik der US-Regierung heftig kritisiert sowie führende Regierungsmitglieder und Diplomaten angegriffen, darunter Vizepräsident Joe Biden und den US-Botschafter in Kabul, Karl Eikenberry. Die NATO stellte sich in einer ersten Stellungnahme unterdessen hinter den General. »Der Artikel im 'Rolling Stone' ist bedauerlich, aber es ist nur ein Artikel«, sagte ein Sprecher in Brüssel. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen habe weiterhin »volles Vertrauen in General McChrystal und dessen Strategie«.

Die Mitteilung aus dem NATO-Hauptquartier lautet:

Statement by NATO Spokesman on Rolling Stone article
The Rolling Stone article is rather unfortunate, but it is just an article. We are in the middle of a very real conflict, and the Secretary General has full confidence in General McChrystal as the NATO Commander, and in his strategy.
NATO Press Release(2010)087, 22 June 2010

Die Erklärung des NATO-Generalsekretärs vom 23. Juni 2010 befindet sich am Ende dieser Seite!



Möglicherweise wegen Meinungsverschiedenheiten mit NATO- und US-Vertretern hat sich derweil der britische Sondergesandte für Afghanistan, Sherard Cowper-Coles, für längere Zeit beurlauben lassen. Er werde erst im Herbst zurückkehren, sagte eine Sprecherin des britischen Außenministeriums in London. Der Rückzug kommt nur einen Monat vor einer wichtigen internationalen Afghanistankonferenz.

Ob Cowper-Coles nach seiner Rückkehr auf seinem alten Posten bleiben wird, ließ die Sprecherin offen. Medienberichten zufolge übernimmt die Chefin der Afghanistanabteilung im Außenministerium, Karen Pierce, einstweilen sein Amt. Cowper-Coles war im Februar 2009 für das neu geschaffene Amt eines Sonderbeauftragten für Afghanistan ernannt worden. Er war in dieser Funktion auch für Pakistan zuständig und damit der ranghöchste britische Diplomat in der Region.

Bei zwei Bombenanschlägen im Westen Afghanistans sind mindestens sieben Zivilisten ums Leben gekommen. Wie die Polizei am Dienstag mitteilte, starben am Vortag fünf Menschen, als deren Fahrzeug in der Provinz Herat von einem am Straßenrand versteckten Sprengsatz getroffen wurde. In der Nachbarprovinz Ghor wurden bei einem ähnlichen Anschlag ein Mann und eine Frau getötet, die per Motorrad unterwegs waren.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Juni 2010


Eine Frage der Strategie

Von Olaf Standke **

Jeder verarbeitet Frust auf seine Weise. Stanley McChrystal, US-amerikanischer General und Oberbefehlshaber der internationalen Truppen am Hindukusch, nahm für das Musikmagazin »Rolling Stone« kein Blatt vor den Mund, griff hochrangige Washingtoner Regierungsmitglieder und Diplomaten ebenso ungewöhnlich scharf an wie die Afghanistan-Politik seines Präsidenten und wurde für heute zum Rapport ins Weiße Haus zitiert. Der britische Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, Sherard Cowper-Coles, ließ sich fast zeitgleich und just an jenem Tag, da das Londoner Verteidigungsministerium den Tod des 300. britischen Soldaten seit Kriegsbeginn bekannt gab, von dem erst im Februar 2009 neu geschaffenen Amt beurlauben. Er wird bei der internationalen Afghanistan-Konferenz in vier Wochen in Kabul fehlen.

Doch könnte die Ursache der Unzufriedenheit mit der desaströsen Sicherheitslage am Hindukusch kaum unterschiedlicher sein. McChrystal will vor allem noch mehr Truppen als von Barack Obama schon zusätzlich und im Gegensatz zu seinem Wahlkampfversprechen entsandt. Er fühlt sich in dieser Frage von seiner politischen Führung verraten. Cowper-Coles lag seit geraumer Zeit mit Vertretern der NATO und der USA im Clinch über die richtige Strategie für den selbst entfachten Brandherd. Wer in erster Linie auf militärische Erfolge gegen die Aufständischen zielt, sei zum Scheitern verurteilt -- das ist sein Fazit. Deshalb setzte der Diplomat auch auf Gespräche mit den Taliban. Ob er noch einmal nach Kabul zurückkehren darf, ließ der neue konservative Außenminister William Hague in London offen.

** Aus: Neues Deutschland, 23. Juni 2010 (Kommentar)


Statement by NATO Secretary General on Commander ISAF

I have taken note that General McChrystal is stepping down as Commander of the NATO-led mission in Afghanistan.

I thank General McChrystal for his service to NATO, and for the enormous effort he has put into leading the ISAF mission.

While he will no longer be the commander, the approach he helped put in place is the right one. The strategy continues to have NATO's support, and our forces will continue to carry it out.

Our operations in Afghanistan are continuing today, and they will not miss a beat. We have a strong military team in Afghanistan. My Senior Civilian Representative, Mark Sedwill will continue to direct our effort on the political side. And soon, a new Commander of ISAF will take up his position.

The Afghan people should have no doubt that we will continue to carry out our mission in partnership with them. We will continue working to protect the Afghan population and to build the Afghan security forces, and we will stay for as long as it takes to do our job.

Source: NATO Press Release (2010)090, 23 June 2010


Ein General außer Kontrolle

Der NATO-Oberbefehlshaber für Afghanistan, Stanley McChrystal, steht vor seinem Rauswurf

Von Rainer Rupp ***


General Stanley McChrystal, Präsident Barack Obamas handverlesener Kommandeur in Afghanistan, flog am Dienstag nachmittag Hals über Kopf nach Washington, um im Weißen Haus Rede und Antwort zu stehen wegen höchst abfälliger Bemerkungen, die er und seine Top-Berater in einem umfassenden Interview in der neuesten Ausgabe des US-Magazins Rolling Stone gemacht hatten. Unter dem Titel: »The Runaway General« (»Der außer Kontrolle geratene General«) erschienen, heißt es in der Einleitung ironisch, daß McChrystal nur deshalb »die Kontrolle über den Krieg in Afghanistan gewonnen hat, weil er den wirklichen Feind nie aus den Augen verloren hat, nämlich die Weicheier im Weißen Haus«. Anschließend wimmelt es nur so von verächtlichen Kommentaren über die Spitzen der Obama-Administration, US-Top-Diplomaten in Afghanistan und über die wichtigsten US-Verbündeten, mit denen Washingtons jüngst noch hochgelobter Hau-Drauf-General zusammen mit seinem Adjudanten das US-Polit-Establishment schockiert.

Obwohl McChrystal erst ein Jahr lang den US-Krieg in Afghanistan kommandiert, ist es ihm in dieser kurzen Zeit gelungen, es sich mit jedem zu verderben, der auf westlicher Seite an dem Konflikt beteiligt ist. Dabei hat er sich vor allem die zuständigen US-Top-Diplomaten zu Intimfeinden gemacht, was besonders für seinen ehemaligen Generalskollegen und derzeitigen US-Botschafter in Kabul, Karl Eickenberry, und den Sonderbotschafter für Afghanistan/Pakistan, Richard Holbrooke, gilt. Es ist auch nicht das erste Mal, daß sich McChrystal mit dem Weißen Haus anlegt. Im vergangenen Herbst hatte er in London während der Frage-und-Antwort-Sitzung im Anschluß an eine Rede die von US-Vizepräsident Joe Biden vertretene Antiterrorstrategie als »kurzsichtig« belächelt, weil sie aus Afghanistan ein »Chaos-Istan« machen würde. Bereits damals wurde er zu Obama zu einem Gespräch unter vier Augen vorgeladen.

Nun hat McChrystal Obamas Nationalen Sicherheitsberater, James Jones, selbst ein General a.D. und ehemaliger US-Oberbefehlshaber von NATO-Eu­ropa, abschätzig als »Pausenclown« bezeichnet, Vizepräsident Joseph Biden wurde, verspottet, indem sein Namen in »Bite Me« (»Leck mich«) verändert wurde und Präsident Obama selbst wurde teils als eingeschüchtert, teils als abgehoben und am Afghanistan-Krieg desinteressiert beschrieben. Während McChrystal am Dienstag nachmittag im Flugzeug Richtung Washington saß, wurde er bei der Pressekonferenz im Weißen Haus von Obamas Sprecher Robert Gibbs bereits symbolisch geschlachtet. Der General habe »einen enormen Fehler gemacht«, dessen »Ausmaß und Schwere« gar nicht zu überschätzen sein, so der Sprecher, der dann McChrystal vorwarf, »weder geeignet noch reif genug« zu sei, um den Krieg in Afghanistan weiterzuführen.

McChrystals neuerliche Beleidigungen sind eine ernst Herausforderung nicht nur für Obama, sondern auch für das vielbeschworene heilige Konzept der zivilen Kontrolle über das Militär. Das dürfte auch die Erklärung dafür sein, daß die sonst stramm militaristischen Senatoren der republikanischen Opposition John McCain und Lindsey Graham sich bereits am Dienstag von McChrystal distanziert und Obama freie Hand gegeben haben, diesen zu feuern. Aber sicher hätte das Establishment dem außer Kontrolle geraten General auch diesmal verziehen, wenn seine neue Strategie in Afghanistan aufgegangen wäre. Letztlich könnte McChrystal nicht wegen seiner Beleidigungen, sondern wegen seines Versagens gefeuert werden.

*** Aus: junge Welt, 24. Juni 2010

Hier geht es zum Originalartikel im "Rolling Stone"-Magazin:
The Runaway General [externer Link]


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