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Entlassung von ISAF-Befehlshaber McChrystal - Menetekel für Afghanistan

Ein Beitrag aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien"

Von Andreas Flocken

Für Präsident Obama war General McChrystal vor kurzem noch ein Hoffnungsträger. Er sollte die Wende in Afghanistan bringen. Doch nach General McKiernan hat der US-Präsident in seiner gerade einmal 18-monatigen Amtszeit mit McChrystal bereits den zweiten ISAF-Befehlshaber gefeuert. Ein schlechtes Omen für die weitere Entwicklung am Hindukusch. Denn auch die massive Aufstockung der Truppen und der immer wieder propagierte zivil-militärische Ansatz konnten bisher nicht den erhofften Umschwung bringen. Kein Wunder. Denn McChrystals abfällige Bemerkungen haben gezeigt, wie zerstritten die US-Regierung über den richtigen Kurs in Afghanistan ist. Die Ausfälle des Generals sind offenbar Ausdruck einer tiefen Frustration über das Krisenmanagement der eigenen Regierung und der Verbündeten. Möglicherweise glaubte McChrystal inzwischen selbst nicht mehr an den Erfolg der Mission. Er hat beispielsweise keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Ankündigung Obamas für falsch hält, mit dem Abzug der ersten Truppen bereits Mitte nächsten Jahres zu beginnen. Die Großoffensive in Helmand vor einigen Wochen galt als Testfall für die neue Afghanistan-Strategie. Sie brachte aber nicht den gewünschten Erfolg. Und die für den Sommer vollmundig angekündigte Operation für Kandahar ist offenbar erst einmal verschoben worden.

Die Counterinsurgency-Strategie, also das Aufstandsbekämpfungskonzept, lässt sich nur mühsam umsetzen. Voraussetzung ist eine glaubwürdige afghanische Regierung. Die aber gibt es nicht. Spätestens seit den Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentenwahl ist klar: Präsident Karsai hat nicht das Vertrauen der Bevölkerung. Auch deshalb sind die US-Streitkräfte immer mehr dazu übergegangen, Warlords und Milizen zu unterstützen. Es heißt, um den Nachschub zu sichern, zahlen die US-Streitkräfte sogar Schutzgeld. Der Kongressabgeordnete John Tierney verfasste einen Report mit dem Titel: "Die Warlord AG - Erpressung und Bestechung entlang der US-Nachschubwege". Die Botschaft des Berichts: Mit US-Steuergeldern wird die Korruption in Afghanistan gefördert. John Tierney:

O-Ton Tierney
"US taxpayers Dollars are being used to fund warlords and other people that are fueling corruption in that government"

Möglicherweise werden auf diese Weise sogar ungewollt die Taliban finanziert.

Zugleich halten die USA weiter an der Afghanistan-Strategie fest, die dafür sorgen soll, dass eines Tages afghanische Kräfte die Verantwortung für die Sicherheit ihres Landes übernehmen.

Der geschasste ISAF-Befehlshaber McChrystal sah sich seit geraumer Zeit mit einem wachsenden Unmut seiner Soldaten konfrontiert. Denn das Aufstandsbekämpfungskonzept des US-Generals verpflichtet die ISAF-Truppe, im Zweifel auf den Waffeneinsatz zu verzichten. Nicht wenige Soldaten auf Patrouille fühlen sich jedoch durch diese restriktiven Einsatzregeln in ihren Reaktionsmöglichkeiten eingeschränkt und gefährdet. Fakt ist: die Zahl der getöteten Soldaten hat erheblich zugenommen. Allein im Juni waren 102 Tote zu beklagen - so viel wie in noch keinem Monat zuvor. Durchschnittlich starben im Juni jeden Tag drei Soldaten. Tendenz steigend.

Kein Wunder, dass sich mittlerweile auch in den USA die Mehrheit der Bevölkerung gegen den Afghanistan-Einsatz ausspricht. Doch mit dem neuen ISAF-Befehlshaber General Petraeus hat Präsident Obama einen neuen Hoffnungsträger. Petraeus ist der Vater des Aufstandsbekämpfungskonzeptes, er hat die Counterinsurgency-Strategie im Irak entwickelt. Bisher war Petraeus als CENTCOM-Befehlshaber der Vorgesetzte von McChrystal. Nun wird er dessen Nachfolger. General Petraeus - die allerletzte Hoffnung von Obama, das Blatt in einem offenbar aussichtslosen Konflikt doch noch zu wenden. Der einflussreiche US-Senator Lindsey Graham:

O-Ton Graham
"David Petraeus is our best hope, if things don't change, nobody can pull it out in Afghanistan."

Das Aufstandsbekämpfungskonzept kann allerdings bestenfalls langfristig erfolgreich sein. Es benötigt Zeit und viel Geduld. Doch die Geduld der Bevölkerung der Truppensteller-Länder geht zu Ende. Der Feldzug am Hindukusch ist inzwischen der längste Krieg in der Geschichte der USA. Er dauert bereits länger als der Zweite Weltkrieg und länger als Vietnam. Der Afghanistan-Einsatz beginnt zu kippen. Die Niederlande und Kanada werden ihre Truppen demnächst abziehen. Großbritannien hat in dieser Woche 2015 als Abzugsdatum genannt. Polen will seine Soldaten weit früher abziehen. Andere Länder werden folgen. Schlechte Aussichten für die NATO-Mission in Afghanistan.

Aus: NDR Info; STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN; 3. Juli 2010; www.ndrinfo.de


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