Ton in Ton mit dem Militär
Truppenbesuch mit Händeschütteln: Merkel versuchte, die Stimmung des Afghanistan-Korps zu heben
Von René Heilig *
Zum fünften Mal seit ihrem Amtsantritt
besuchte Kanzlerin Angela Merkel
am Freitag in Begleitung des Verteidigungsministers
Thomas de Mazière
ISAF-Soldaten der Bundeswehr
in Afghanistan. Derzeit sind 4178
deutschen Soldaten, darunter 235
Frauen, in Afghanistan stationiert.
Es schien alles zu stimmen, äußerlich:
Merkel trug – passend zur
Tarnuniform ihrer Gastgeber – eine
dunkelbraune Hose, ein olivgrünes
Shirt und einen ockerfarbenen
Blaser. Ton in Ton nennt
man so etwas in der Modewelt.
Die Twitter-Kurznachrichten
ihres Regierungssprechers zeigten
indessen, dass der – wie immer –
überraschende Besuch ganz und
gar nicht als »Laufstegaktion« angesetzt
worden war. Die Regierung wollte
auch im Angesicht kommender Wahlen die Stimmung
der Truppe heben. Die ist nicht
gut, der Tod eines Elitesoldaten vom
Kommando Spezialkräfte
(KSK) vor
exakt einer Woche hat die pessimistische
Grundeinstellung noch
verschärft.
Mit dem Hauptfeldwebel sind –
so man der Statistik des Verteidigungsministeriums
folgt – 53
deutsche Soldaten im Afghanistan-
Einsatz umgekommen, davon 35
»durch Fremdeinwirkung«.
Mut machen, den Nutzen der
Mission betonen, die Unterstützung
der Heimat versprechen –
darum ging es Merkel, die bei ihrem
Besuch nicht daran dachte,
sich mit dem Präsidenten Afghanistans
auf Debatten über die Zeit
nach der ISAF einzulassen. Sie ignorierte
ihn. Dabei behauptete sie
hinter den Campmauern des deutschen
Militärs, dass die Vorbereitung
der Präsidentschaftswahl im
April 2014 und der Aufbau der
Wirtschaft wesentliche Aufgaben
seien. »All das vollzieht sich zum
Teil mühselig, zum Teil etwas
langsamer, als wir uns das wünschen
«, sagte Merkel. »Aber es ist
unabdingbar dafür, dass der militärische
Einsatz nicht alleine stehenbleibt,
sondern dass er wirklich
Erfolg hat.«
Den sehen immer mehr Militärs
nicht. Im Gegenteil, man hatte
bei der NATO insgeheim gehofft,
dass die Taliban und andere Aufständische
beim »Kofferpacken«
der ISAF-Besatzer ruhig zuschauen
und abwarten, bis nach dem
Abzug der meisten fremden Soldaten
Ende 2014 die neue alte Zeit
beginnen kann. Diese Hoffnung
aber zerstob am vergangenen Wochenende.
Der 4. Mai war für die ISAFTruppe
der bisher verlustreichste
des Jahres. Sieben
US-Soldaten kamen
um, fünf bei einem
Sprengstoffanschlag,
zwei wurden
von einem
»verbündeten«
Soldaten der Afghan
National Army
erschossen.
Zwei Tage zuvor
wurde ein Bundeswehrfahrzeug
bei Kundus durch eine Mine beschädigt.
Ein Vorgeschmack auf die alljährliche
Frühjahrsoffensive der
Taliban, die am Sonntag angekündigt
worden ist. Schwerpunkt
der Angriffe seien neben den ISAFSoldaten
ausländische Diplomaten,
hieß es.
Der bislang letzte deutsche
Verwundete war im Februar
ebenfalls bei Kundus registriert
worden. Hier hat sich Merkel, die
sich »freute, mal wieder da sein zu
können«, auch über die Vorbereitungen
zum Rückzug informiert.
Sie stellte gestern aber auch fest,
dass »der Dienst in der verbleibenden
Zeit genauso gefährlich
bleibt, wie er in all den Jahren zuvor
gewesen ist«.
Da hat sie nicht übertrieben.
Obwohl die Sicherheitsverantwortung
in vielen Bereichen des als
vergleichsweise relativ
befriedet geltenden
Nordbereiches
an afghanische
Kräfte übergeben
worden ist, werden
Bundeswehrsoldaten
immer wieder in
schwere Kämpfe
verwickelt.
Im Herbst 2013 sollen der
Stützpunkt Kundus und das OP
North aufgelöst werden. Wer das
aufgerissene Sicherheitsloch dann
wie füllt, ist ungewiss. Im November
2013 wird es dann eine Truppensteller-
Konferenz für die ISAFNachfolgemission
geben. »Resolute
Support« soll sie
heißen.
Die aktuellen Zeichen lassen Böses
erahnen für die Zeit nach dem Abzug
der ISAF. Die Bundeswehr will
dann mit einem neuen Mandat und
in verringerter Stärke weitermachen.
Die Rede ist von 600 bis 800
Soldaten, die bis 2017 bleiben sollen,
um die afghanischen Sicherheitskräfte
weiter zu trainieren.
So wie die deutschen Soldaten
werden auch deutsche Polizisten
noch deutlicher Ziel von Angriffen
werden. Ob Merkel (oder wie immer
der deutsche Regierungschef
dann heißt) und Gefolge sich dann
noch immer nach Afghanistan
trauen können, ist also höchst ungewiss.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 11. Mai 2013
Muttitag bei der Truppe
Kurzbesuch in Afghanistan: Bundeskanzlerin Merkel sagt deutschen Soldaten danke. Das mitreisende Pressekorps sorgt für mitfühlende Front-PR
Von Rüdiger Göbel **
Pünktlich zum Temperatursturz rund um die »Eisheiligen« hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein Plätzchen an der Sonne gesucht. Am Freitag flog die Regierungschefin mit ihrem Verteidigungsminister und Parteifreund Thomas de Maizière zum Truppenbesuch nach Afghanistan. Mit dabei ausgewählte Journalisten für gefühlige Front-PR 19 Wochen vor den Bundestagswahlen. Und so traf Merkel nicht einfach nur Soldaten in Kundus und Masar-i-Scharif, sondern »verunsichterte Bundeswehr-Kämpfer« (Spiegel online). Denen sagte sie »danke« (bild.de) und »durchhalten« (Spiegel online).
Die »Blitzvisite« (dpa) ins Kriegsgebiet erfolgte »wie immer unter strengster Geheimhaltung, in Berlin abgeflogen im Schutz der Dunkelheit« (bild.de). Auch die afghanische Regierung war »aus Sicherheitsgründen« erst kurz vor der Landung Merkels von der deutschen Botschaft in Kenntnis gesetzt worden. Weiterer Affront: Ein Treffen mit Präsident Hamid Karsai war nicht vorgesehen. Es sei »ein reiner Truppenbesuch«, kein Staatsbesuch, ließ die deutsche Regierungschefin per Twitter verlauten. Dem Präsidialamt in Kabul blieb das Grummeln, unangemeldete Besuche entsprächen nicht der »diplomatischen Norm«. Es sei »ziemlich respektlos«, wenn ausländische Regierungsvertreter das Land besuchten, ohne vorher die afghanische Regierung darüber zu informieren.
Ihre Agenda für die Führung in Kabul diktierte die Bundeskanzlerin in die Mikrofone der mitgereisten Medienvertreter. Die afghanischen Präsidentschaftswahlen 2014 müßten vorbereitet und die Wirtschaft im Land müsse aufgebaut werden. »Wir werden ein Auge darauf haben, daß der politische Prozeß hier vorangeht«, sagte Merkel laut dpa vor deutschen Soldaten in Kundus – »dieser Ort steht symbolisch für das blutigste Kapitel in der Geschichte der Bundeswehr. In den schwersten Gefechten seit dem zweiten Weltkrieg fielen hier am Karfreitag 2010 drei deutsche Soldaten. Hier befahl ein deutscher Oberst im September, zwei Tanklaster zu bombardieren. Bis zu 142 Menschen kamen in einem Feuerball um, darunter viele Zivilisten.« (bild.de) Und: »Kundus steht für den ersten wirklichen Krieg der Bundeswehr, in dem in über zehn Jahren 53 deutsche Soldaten ihr Leben verloren.«
Für die Regierungschefin ist klar, die Bundeswehr wird sich auch nach dem angekündigten Abzug der NATO-Kampftruppen »militärisch in Afghanistan engagieren« (dpa), oder wie Merkel es sagte: »Wenn die anderen Nationen mitmachen, dann ist Deutschland bereit, auch nach 2014 in ganz anderer Form weiter Verantwortung zu übernehmen.«
Spiegel online erklärte die nunmehr fünfte Merkel-Reise an die Front am Hindukusch am Freitag so: »Mit ihrem Kurztrip will die Kanzlerin den deutschen Soldaten in einer schwierigen Zeit Mut zusprechen.« Am vergangenen Wochenende war ein Hauptfeldwebel der Elitetruppe Kommando Spezialkräfte (KSK) getötet worden. »Plötzlich scheint alles wieder in Frage zu stehen – die Aussichten auf Erfolg des mittlerweile elf Jahre dauernden Kampfeinsatzes der NATO, die Hoffnung auf einen reibungslosen Abzug der Bundeswehr, der gute Glaube, das Schlimmste sei überstanden.« Die Stimmung an den Tagen vor Merkels Besuch sei »gedrückt« gewesen. »Bereits am Mittwoch haben die Soldaten im Bundeswehrlager in Masar-i-Sharif Abschied genommen, Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt hielt eine Ansprache vor den Soldaten. Im Camp Marmal herrschte eine geisterhafte Atmosphäre. Nach einem heißen Tag mit fast 40 Grad Hitze schlug just vor Beginn der Zeremonie am Vorabend das Wetter um. Aus Sonnenschein wurde ein Sandsturm, die auf Halbmast gesetzten Fahnen am Ehrenhain pfiffen im Wind.«
Dazu paßt: Unter dem Stichwort »Fallen Hero« (Gefallener Held) rufen Bild und der Schauspieler Til Schweiger zu Spenden für die Angehörigen des getöteten KSK-Soldaten auf.
** Aus: junge Welt, Samstag, 11. Mai 2013
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