Heimkehr in die Ungewissheit
Neue Welle der Abschiebung afghanischer Flüchtlinge aus Pakistan und Iran
Von Thomas Berger *
Notfalls auch gegen ihren Willen sollen hunderttausende afghanische Flüchtlinge dieses Jahr aus
Iran und Pakistan in die Heimat zurückgeschickt werden.
In den vergangenen sechs Jahren haben Schätzungen zufolge etwa 4,7 Millionen Afghanen mehr
oder minder freiwillig den Heimweg angetreten. Selbst das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten
Nationen (UNHCR) kennt keine genauen Zahlen. Denn jene Familien, die in den Lagern in
Grenznähe leben und dort registriert sind, stellen nur einen Teil der Masse dar. Weitere Flüchtlinge
schlagen sich als Illegale in Irans und Pakistans Städten durch. Auf rund eine Million wird ihre Zahl
allein in Iran geschätzt, und alle könnten im Verlauf dieses Jahres offiziell ausgewiesen werden.
Regierungsvertreter in Teheran bestätigten, dass man eine Ausweisung derer vorbereite, die nicht
ordnungsgemäß als Bürgerkriegsflüchtlinge registriert sind.
Bei den Betroffenen macht sich Angst breit. Erst voriges Jahr hatte es eine umfangreiche
Zwangsrepatriierung gegeben. Wer den Behörden in die Fänge geriet und sich nicht ausweisen
konnte, wurde rigoros abgeschoben, ganz gleich, welche Bedingungen in der Heimat warteten. Vom
Beginn der neuen Ausweisungswelle schon zu Jahresanfang konnten UN-Vertreter und
Hilfsorganisationen die iranische Regierung mit Verweis auf humanitäre Gesichtspunkte zunächst
abbringen. Die Heimkehrer wären aussichtslos im harten afghanischen Winter gelandet.
Die Regierungen in Teheran und Islamabad machen Druck. Jahrelang hatten beide Staaten in
großer Zahl Afghanen aufgenommen, die vor den Taliban oder wegen des Bürgerkriegs geflohen
waren. In den ersten Jahren nach der politischen Neuordnung in Kabul ließ man Milde walten. Doch
spätestens seit 2005 ist es damit vorbei. 900 000 Menschen aus dem Nachbarland leben mit
Flüchtlingsstatus legal in Iran; in Pakistan gibt es noch etwa zwei Millionen Afghanen, von denen
etwa die Hälfte in Lagern lebt. Knapp ein Fünftel der einst rund 100 Lager, die sich in der Nordwest-
Grenzprovinz konzentrieren, wurde inzwischen geschlossen. Jetzt sollen die nächsten folgen. Doch
als vor wenigen Tagen in Jalozai die Polizei aufmarschierte, um die Schließung durchzusetzen,
widersetzten sich Hunderte der Insassen.
Jalozai, provisorisches Zuhause für etwa 70 000 Menschen, ist eines der ältesten Flüchtlingscamps
Pakistans. Schon seit den frühen 80er Jahren leben dort Afghanen, die Zuflucht vor dem Bürgerkrieg
suchten. Kinder und Jugendliche haben keinerlei Beziehung zur Heimat ihrer Eltern mehr. Obwohl
das UNHCR gemeinsam mit afghanischer und pakistanischer Seite der Schließung Jalozais zum 15.
April zustimmte, sieht es das rigorose Vorgehen der Sicherheitskräfte kritisch.
Solidarität erfuhren
die rund 400 Bewohner, die sich gepanzerten Fahrzeugen entgegenstellten, auch durch Studenten
aus dem benachbarten Peschawar. Die Witterung in Afghanistan sei für eine ordentliche Heimkehr
der Flüchtlinge noch immer unangemessen, betonten sie und forderten wenigstens eine Schonfrist
bis zum Frühsommer.
Allerdings haben nach UN-Angaben über 3000 Afghanen das Lager bereits freiwillig verlassen, und
Pakistan will die Schließung diesmal gegen alle Widerstände durchsetzen. Viele Läden im Lager
sind bereits geräumt, viele Strom- und Wasserverbindungen gekappt.
Von einer »Heimkehr in Würde« hatte der zuständige pakistanische Staatssekretär noch Ende 2007
gesprochen, als Islamabad die Umsetzung der Beschlüsse auf UN-Drängen zunächst aussetzte.
Davon ist jetzt keine Rede mehr, es soll zügig abgeschoben werden. Zu Hause erwartet die
Rückkehrer zumeist nackte Armut. Die Verantwortlichen in Kabul sind mit der Aufgabe hoffnungslos
überfordert, ihnen beim Start ins neue Leben zu helfen.
Aus: Neues Deutschland, 28. April 2008
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