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Afghanistan: Armeen gehen, Nachbarn bleiben

Von Dmitri Kossyrew *

Vor rund 30 Jahren hatte das Politbüro den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan beschlossen.

In Windeseile wurde eine Operativgruppe des Generalstabs mit General Achromejew an der Spitze gebildet und begann sogleich, sich auf eine Reise nach Kabul vorzubereiten.

Doch vor 30 Jahren war es die Sowjetunion, die Truppen in Afghanistan einmarschieren ließ - ein Staat, der mit Afghanistan eine gemeinsame Grenze hatte. Jetzt verlaufen die Grenzen völlig anders, zwischen Turkmenistan und Afghanistan oder Usbekistan und Afghanistan. Das unterscheidet die Situation komplett zu damals.

Vor 30 Jahren wurde nicht nur die letzte Phase der Existenz der Sowjetunion eingeleitet. Damals wurden auch die Wurzeln eines völlig anderen Modells des politischen Aufbaus Zentralasiens gepflanzt. Dieses Modell ist auch jetzt mitten in seiner Entwicklung begriffen. Selbst wenn es jemandem erscheinen mag, dass es dort nur US- und NATO-Truppen gibt und nichts anderes.

Eine unerwartete Tatsache, die von einem hochrangigen Sprecher der indischen Regierung publik gemacht wurde, macht aufmerksam: Die Investitionen der indischen Regierung und der indischen Unternehmer in die afghanische Wirtschaft belaufen sich momentan auf 1,3 Milliarden Dollar.

Hinzu kommt China, das in nur ein Projekt, den Abbau von Kupfererzvorkommen in Ainak, bis zu drei Milliarden Dollar investieren soll. Auch der Iran ist von Interesse, über dessen Verbindungen mit Afghanistan sehr wenig zu hören ist, doch diese Kontakte gibt es.

Ein Ende des Krieges ist in Afghanistan nicht in Sicht, doch die Nachbarländer verfolgen dort eine Politik, als ob dort kein einziger Schuss fällt.

Der Botschafter von Usbekistan in Russland, Ilchomschon Nematow, wies in einem Gespräch darauf hin, dass die schwerste Bedrohung für die Sicherheit Zentralasiens, darunter seines Landes, von Afghanistan ausgehe. Dort werde seit mehr als 30 Jahren ein heftiger Krieg geführt und mehr als 90 Prozent der weltweiten Menge an Heroin erzeugt.

In diesem Zusammenhang hat Usbekistan ein lebenswichtiges Interesse am Ausbau des Friedens und der Stabilität in seinem Nachbarland und der baldmöglichsten Regelung der afghanischen Krise.

Usbekistan unternimmt auf bilateraler Grundlage viel für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Afghanistans. Usbekische Baufirmen haben dort elf Brücken errichtet, die nördlichen Provinzen werden durch Lieferungen aus Usbekistan mit Energie versorgt. Das Land liefert auch Mineraldüngemittel und Baumaterialien wie Zement, Bewehrung, Ziegelsteine und viele andere Sachen nach Afghanistan.

Gegenwärtig arbeitet Usbekistan gemeinsam mit der Asiatischen Entwicklungsbank am Bau einer Bahnstrecke zwischen Hairaton, Masari Sharif und Herat. Sie soll ein wichtiger Teil der Verkehrsinfrastruktur für die Entwicklung von ganz Zentralasien werden.

Gemäß diesen Informationen drängt sich einfach die Frage an den usbekischen Botschafter auf: Wie korrelieren die Bemühungen seines Landes mit den Bemühungen der USA? Und was kann sein Land dabei gutheißen?

Ilchomschon Nematow antwortet: Viele Hilfsgüter, die die UNO und andere Staaten liefern, werden durch Usbekistan nach Afghanistan gebracht. Genauso wie die anderen Länder in der Region und auch Russland arbeitet sein Land beim Transit von nichtmilitärischen Gütern nach Afghanistan mit den USA zusammen.

Usbekistan habe den Amerikanern immer gesagt, fährt der Botschafter fort, dass es zum Ausbau der Zusammenarbeit bei gemeinsamen Fragen auf der Grundlage von Gleichberechtigung, gegenseitigem Respekt und gegenseitigem Vorteil bereit sei. Dazu gehören beispielsweise der Kampf gegen den internationalen Terrorismus, Drogenhandel und Extremismus. Die Heroinproduktion nimmt katastrophale Ausmaße an. Die Situation ist paradox. Nach Angaben der UNO wurden am Hindukusch 2001 etwa 300 Tonnen Heroin hergestellt, doch 2008 erreichte diese Menge bereits 8300 Tonnen.

In diesem Zusammenhang begrüße Usbekistan die Entscheidung der US-Administration über die Entsendung von zusätzlichen Truppen nach Afghanistan, sagt Nematow.

Dabei weist er auf die Initiative des usbekischen Präsidenten Islam Karimow hin, eine Kontaktgruppe im „6+3"-Format zu schaffen. Dadurch könnten die nächsten Nachbarländer von Usbekistan an der Lösung dieses Problems mitarbeiten.

Diese Gruppe ist ohnehin erwähnenswert. Präsident Karimow hatte die Wiederaufnahme ihrer Arbeit beim NATO-Gipfel in Bukarest am 3. April 2008 vorgeschlagen. Die Gruppe war vor dem Afghanistan-Krieg der USA, also vor 2001, in der UNO aktiv. Karimow schlug vor, sie im einstigen Format zu belassen, nämlich die sechs Anrainerstaaten von Afghanistan (Iran, China, Pakistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan) sowie Russland, die USA und die NATO.

Einige könnten sich darüber aufregen, dass Karimow zur einstigen 6+2-Kontaktgruppe noch die NATO hinzufügen möchte. Einige könnten sogar eifersüchtig auf die Initiative an sich sein und Fragen wie „warum nicht gemeinsam mit Russland", „nicht im Rahmen der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit", „wo Indien abgeblieben sei" und so fort stellen.

Doch es wäre viel nützlicher, den Sinn der Initiative ins Visier zu nehmen: Die Nachbarländer Afghanistans versuchen sich bereits jetzt als Schlüsselfiguren für die Lösung der Probleme in der Region.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der der RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 15. Dezember 2009



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