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Krieg bis zum Sieg

Von Knut Mellenthin *

Von Knut Mellenthin *

Die NATO soll unbegrenzt lange in Afghanistan Krieg führen. Zu diesem vorrangigen Ziel bekannte sich am Montag der neue Generalsekretär der Allianz, Anders Fogh Rasmussen, an seinem ersten Arbeitstag. Er kleidete das Vorhaben in die Worte, die NATO werde das afghanische Volk solange wie nötig unterstützen. Er hoffe jedoch, daß der Militärpakt im Laufe seiner vierjährigen Amtszeit den Afghanen soweit helfen könne, daß sie die Verantwortung für die Sicherheit im Land selbst übernehmen könnten. Dabei handle es sich jedoch nicht um eine »Abzugsstrategie«, betonte Rasmussen: »Die ­NATO bereitet nicht ihren Rückzug vor.« Derzeit sind 65000 NATO-Soldaten, darunter 4000 der Bundeswehr, in Afghanistan stationiert.

Rasmussen war während des Streits um antiislamische Karikaturen 2005 sdänischer Ministerpräsident und hatte sich geweigert, den von Rechtspopulisten inszenierten Affront kritisch zu beurteilen. Die Türkei hatte sich deshalb seiner Ernennung zum NATO-Chef zunächst widersetzt.

Als weitere Priorität für seine Arbeit nannte Rasmussen am Montag die Verbesserung der Zusammenarbeit mit Rußland. Die bestehenden Meinungsverschiedenheiten, die durch den Kaukasuskrieg vor einem Jahr zeitweise verschärft wurden, sollten den »gemeinsamen Sicherheitsinteressen« im »Kampf gegen den Terrorismus« nicht im Weg stehen. Die NATO möchte erreichen, daß künftig auch Waffen und Munition für den Afghanistan-Krieg durch Rußland transportiert werden können. Moskau läßt bisher nur »nicht-tödlichen« Nachschub, wie etwa Treibstoff, zu.

Der Däne hat außerdem eine breite Diskussion über das künftige strategische Konzept der NATO angekündigt. Das derzeit gültige stammt aus dem Jahre 1999 und soll von einer Expertengruppe unter dem Vorsitz der früheren US-Außenministerin Madeleine Albright überarbeitet werden. Um etwas für das Image des Bündnisses zu tun, hat der neue Generalsekretär auf den Internetseiten der NATO ein »Diskussionsforum« eingerichtet, auf dem sich jeder zur künftigen Strategie äußern kann. »Ich will die Meinung der Öffentlichkeit dazu hören, was die ­NATO sein sollte«, erklärte der dänische Politiker. An erster Stelle wäre da zu berücksichtigen, daß die Öffentlichkeit in den meisten NATO-Ländern die Truppen lieber morgen als übermorgen aus Mittelasien zurückholen möchte.

Rasmussen übernimmt das Amt des Generalsekretärs in einer Situation, die durch zunehmende Schwierigkeiten und Verluste der westlichen Truppen in Afghanistan gekennzeichnet ist. Im Juli wurden 74 Soldaten getötet, mehr als in irgendeinem anderen Monat seit dem Beginn der Militärintervention im Oktober 2001. Unter den Toten waren 43 US-Amerikaner und 22 Briten. Der bis dahin verlustreichste Monat für die US-Streitkräfte war der September 2008, als sie 26 Mann verloren.

Bei Kämpfen am Wochenende starben neun NATO-Soldaten. Bis zur Präsidentenwahl am 20. August wird eine weitere Zunahme der Angriffe und Anschläge der Aufständischen erwartet.

Aus dem Einsatzbereich der deutschen Bundeswehr in Nordostafghanistan wird gemeldet, daß nach einer »erfolgreichen« zweiwöchigen Offensive die Aufständischen innerhalb weniger Tage zurückgekehrt sind. Solche Vorgänge, ebenso wie die Verschärfung der militärischen Auseinandersetzungen in allen Landesteilen und die immer höheren Verluste der NATO-Truppen weisen auf einen Faktor hin, den der neue Generalsekretär nicht ansprach und der auch in der Kriegsberichterstattung kaum erwähnt wird: Die Aufständischen werden von erheblichen und wachsenden Teilen der Bevölkerung unterstützt.

* Aus: junge Welt, 4. August 2009


Paris setzt auf Gespräche

Neuer NATO-Chef dagegen für Kriegsforcierung in Afghanistan **

Für einen Frieden in Afghanistan braucht es nach Einschätzung Frankreichs weitere Gespräche mit den Taliban. Dagegen fordert der neue NATO-Generalsekretär »entschlossenen Einsatz«.

»Natürlich müssen wir mit den Taliban verhandeln«, sagte der französische Außenminister Bernard Kouchner der Tageszeitung »Le Figaro« vom Montag. »Jedenfalls mit denjenigen, die bereit sind, ihre Waffen niederzulegen und zu reden.« Bisweilen werde versucht, auf örtlicher Ebene mit den Taliban in Kontakt zu treten, »aus militärischen oder organisatorischen Gründen«. Die westlichen Verbündeten müssten ihre Haltung aber abstimmen, mahnte Kouchner. »Das ist ein Einsatz der Vereinten Nationen, das darf man nicht vergessen.« Nichts wäre schlimmer, als wenn jeder für sich verhandele, warnte der Minister.

Bislang seien mit Unterstützung der afghanischen Regierung nur einmal Verhandlungen versucht worden. Die Gespräche in Saudi-Arabien waren aber nicht erfolgreich. »Es gibt zwei Arten von Taliban«, sagte Kouchner -- »diejenigen, die in eine rechtmäßige Regierung eingebunden werden könnten« und »die Anhänger eines weltweiten heiligen Krieges«, die nicht an Verhandlungen interessiert seien.

»Wir werden einen Frieden nicht aufzwingen«, sagte der französische Chefdiplomat. »Aber wir können die Bedingungen schaffen, damit es gelingt.« Dazu müsse man aber mit der Bevölkerung »in Berührung« sein. »Wir wollen Frieden mit den Afghanen, ich würde sogar sagen, unter Leitung der Afghanen, schaffen.« Am Wochenende war erneut ein französischer Soldat in Afghanistan ums Leben gekommen.

Der neue NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat die Militärallianz zu einem entschlossenen Vorgehen in Afghanistan aufgefordert. Die NATO werde das afghanische Volk solange wie nötig unterstützen, sagte der frühere dänische Regierungschef am Montag bei seiner ersten Pressekonferenz als NATO-Generalsekretär in Brüssel.

Die Truppen müssten verhindern, dass Afghanistan wieder zu einer Plattform für den internationalen Terrorismus werde. Langfristig müsse die Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan jedoch an die Afghanen übergeben werden, forderte Rasmussen. In großen Teilen des Landes solle dies schon während seiner Amtszeit geschehen.

Der Afghanistan-Einsatz mit rund 65 000 NATO-Soldaten ist die größte Herausforderung für den 56-Jährigen, der am Sonnabend die Nachfolge von Jaap de Hoop Scheffer als Generalsekretär des Militärpakts angetreten hatte. Die Bundeswehr ist mit mehr als 4000 Soldaten drittgrößte Truppenstellerin am Hindukusch.

Bei einem Anschlag in der afghanischen Stadt Herat sind nach Polizeiangaben mindestens zwölf Menschen getötet worden. Weitere 20 Menschen wurden verletzt, als sich am Montag im Zentrum der Stadt im morgendlichen Berufsverkehr eine Explosion ereignete. Nach Angaben des Polizeichefs der Provinz Herat, Esmatullah Alisai, detonierte eine in einem Mülleimer versteckte Bombe am Straßenrand, als ein Polizeikonvoi vorbeifuhr. Zwei der Toten seien Polizisten. Nach Angaben eines Reporters der Nachrichtenagentur AFP waren am Ort des Anschlags mehrere stark beschädigte Polizeifahrzeuge und private Taxis zu sehen. Kinderschuhe und ein Schleier hätten verstreut auf dem Boden gelegen. Nach der heftigen Explosion seien vereinzelt Schüsse der Polizei zu hören gewesen. Bis zum Abend bekannte sich niemand als Urheber der Explosion.

In Afghanistan finden in drei Wochen Präsidentschaftswahlen statt. In Befürchtung verstärkter Anschläge und Angriffe der aufständischen Taliban sind zusätzliche Soldaten in das Land am Hindukusch entsandt worden.

Wegen seiner Flucht vor einem bevorstehenden Einsatz in Afghanistan muss sich ein britischer Soldat vor einem Militärgericht verantworten. Der 27-jährige Joe Glenton erschien am Montag in einer Armeeuniform zu seiner ersten Anhörung in Bulford Camp bei Salisbury im Südwesten Englands. Das Gericht vertagte die Verhandlung. Nach Angaben seines Anwalts will sich der Obergefreite nicht schuldig bekennen.

** Aus: Neues Deutschland, 4. August 2009


Hardliner Rasmussen fordert Verstärkung

Neuer NATO-Generalsekretär für "Solidarität mit den USA und Kanada" im Afghanistan-Krieg ***

Zum Amtsantritt präsentierte sich der neue NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen als Hardliner. Zwar meinte er in einem am Samstag veröffentlichten Interview mit der dänischen Zeitung Politiken zunächst, daß mit den afghanischen Taliban verhandelt werden müsse. Doch schränkte der ehemalige dänische Ministerpräsident seine Anregung umgehend wieder ein: das gelte lediglich für die »gemäßigten Vertreter« der Islamisten. Da gebe es einige. Wie er diese ausmachen will, ließ Rasmussen offen. Auf alle Fälle jedoch gebe keinen Grund für Vereinbarungen mit jenen Taliban, »die unsere Soldaten töten«.

Rasmussen machte sich zugleich stark für eine »Truppenaufstockung« der europäischen Besatzer des Landes am Hindukusch. Die Sicherheitslage im Süden und Osten des Landes sei »absolut nicht zufriedenstellend«, sagte Rasmussen. Deswegen, so der Appell des 56jährigen Dänen, müßten die Europäer »ihre Truppen, Materiallieferungen und finanziellen Hilfen für Afghanistan« aufstocken -- schon allein wegen der »Solidarität mit den USA und Kanada«, die Soldaten in den »unruhigen Süden des Landes« geschickt haben.

Unterdessen zog der Auswärtige Ausschuß im britischen Unterhaus eine düstere Bilanz des Afghanistan-Einsatzes. Durch das »Fehlen einer realistischen Strategie« seien »längst nicht die Ergebnisse erzielt worden, die erhofft wurden«, hieß es in einem am Sonntag veröffentlichten Bericht. Ursprünglich seien die derzeit 9000 britischen Soldaten zum »Kampf gegen den Terrorismus« in das Land geschickt worden. Heute arbeiteten sie jedoch gegen den Drogenanbau und bekämpften Aufstände.

Am Wochenende wurden insgesamt neun NATO-Besatzungssoldaten getötet, darunter sechs US-Bürger und ein Franzose. Die Nationalität der beiden weiteren Toten wurde nicht bekanntgegeben. Zu schweren Kämpfen mit Aufständischen war es in der Provinz Kapisa im Nordosten der Hauptstadt Kabul gekommen. Im südafghanischen Kandahar wurden drei Besatzer durch Sprengsätze getötet. (AFP/AP/jW)

*** Aus: junge Welt, 3. August 2009


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