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Vereinbarung über Spezialoperationen in Afghanistan – Bleibt in der Praxis trotzdem alles beim Alten?

Ein Beitrag aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"

Von Andreas Flocken *

Der Abzug der internationalen Truppen rückt näher. Ende 2014 soll die ISAF-Mission beendet sein. Spätestens dann müssen die Afghanen selbst für Sicherheit im Land sorgen.

In diesem Monat hat die afghanische Regierung mit der US-Militärführung eine Vereinbarung über Spezialoperationen abgeschlossen. Der Hintergrund: Vor allem die sogenannten Night Raids sorgen immer wieder für Kritik in Kabul. Jetzt sind die Afghanen für diese Operationen offiziell selbst verantwortlich.

Bei den Night Raids dringen Spezialkräfte in afghanische Häuser ein und versuchen, mutmaßliche Aufständische festzunehmen oder zu töten. Die Kommando-Aktionen erfolgen in der Nacht, weil aus Sicht der Militärs das Überraschungsmoment genutzt werden kann und kein Widerstand zu erwarten ist.

In der Bevölkerung ist diese Art der Aufstandsbekämpfung allerdings verhasst – nicht zuletzt, weil immer wieder auch Unschuldige Opfer dieser Einsätze werden. Für den afghanischen Verteidigungsminister Wardak hat die jetzt unterzeichnete Vereinbarung daher eine ganz besondere Bedeutung:

O-Ton Wardak (overvoice)
„Die Übergabe der Kontrolle über die Nachtoperationen an die afghanischen Streitkräfte ist ein Wendepunkt. Unsere Souveränität wird wiederhergestellt. Die Übergabe belegt auch die Fähigkeiten der afghanischen Sicherheitskräfte. Es ist eine Ehre für unsere Regierung. Von nun an dürfen Häuser und private Einrichtungen nur von afghanischen Sicherheitskräften durchsucht werden.“

Und auch ISAF-Befehlshaber John Allen, der als Kommandeur der US-Truppen das Abkommen unterschrieben hat, war voll des Lobes.

Lob, das aber in erster Linie dem Primat der Politik geschuldet ist. Denn bei den Militärs selbst stößt diese Vereinbarung nicht überall auf Begeisterung. Schließlich sind aus Sicht der ISAF-Militärführung diese Kommandoeinsätze ein äußerst effektives und erfolgreiches Instrument im Kampf gegen die Aufständischen. Künftig muss aber ein afghanischer Richter diesen Spezialoperationen zustimmen. Dadurch – so die Befürchtung – könnte es zu Verzögerungen und Problemen kommen.

Solche Bedenken versucht das Pentagon zu entkräften. Denn US-Streitkräfte können laut Vereinbarung Kommando-Operationen weiterhin unterstützen. Die Führung der Einsätze liegt zwar offiziell bei den Afghanen – aber in der Praxis geht ohne die Special Forces der USA gar nichts. Denn die Spezialkräfte der Afghanen befinden sich erst im Aufbau. Kommando-Aktionen werden bereits seit einiger Zeit gemeinsam durchgeführt. Seit Dezember habe es 350 Night Raids gegeben, sagte ein US-Militärsprecher. Alle unter afghanischer Führung. Praktisch habe sich mit der Unterzeichnung kaum etwas geändert, so ist zu hören. Der afghanische Militärexperte und ehemalige General Javed Kohistani:

O-Ton Kohistani (overvoice)
„Ich denke, die US-Einsätze werden weiterlaufen wie bisher. Hier ist ein riesiges Medienspektakel veranstaltet worden, um Präsident Karsai zu entlasten. Diese Einigung soll vor allem dafür sorgen, dass dem strategischen Partnerschaftsabkommen mit den USA nichts im Weg steht.“

Viele Einsätze werden wie bisher verlaufen. Denn bei „Gefahr im Verzug“ wird eine vorherige richterliche Erlaubnis nicht benötigt. Hinzu kommt, dass CIA-Operationen und der Einsatz bewaffneter Drohnen nicht unter die neue Vereinbarung fallen. Es wird also in Afghanistan weiter US-Kommando-Einsätze geben – auch wenn offiziell jetzt die Afghanen das Sagen haben.

* Aus: NDR Info Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 21. März 2012; www.ndr.de


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