Friedenspreisträger auf dem Kriegspfad
Obama will Truppenaufstockung in Afghanistan
Von Reiner Oschmann *
Frisch gekürte Friedensnobelpreisträger fallen für gewöhnlich nicht mit massiven
Truppenverstärkungen in laufenden Kriegen auf. USA-Präsident Barack Obama wird sie am Dienstag (1. Dez.) verkünden.
In einer Art Rede an die Nation – mit rund 40 Minuten voraussichtlich doppelt so lang wie jene vor
knapp drei Jahren, als Bush eine nochmalige Kriegseskalation für Irak ankündigte – will der
Präsident seine neue Strategie für Afghanistan vorstellen. Seit August in zehn Treffen seines
Kriegsrats aus ranghohen außenpolitischen und militärischen Beratern entstanden, wird sie den
Afghanistan-Krieg von Amtsvorgänger Bush endgültig zu Obamas Krieg und zum Zeugnis der
Unvereinbarkeit mit dem Friedensnobelpreis machen. Laut Präsidentensprecher Robert Gibbs soll
sie sowohl erklären, wie zusätzliche US-amerikanische und NATO-Truppen nach Afghanistan
kommen, als auch die Strategie plausibel machen, »sie wieder herauszubekommen«. Oder wie
Obama sagte: Er habe die Absicht, »die Sache zu Ende zu bringen«.
Vor dem Truppenabzug die Truppenverstärkung – das schält sich als Kern der neuen Strategie
heraus. General Stanley McChrystal, Befehlshaber der US- und NATO-Truppen in Afghanistan,
fordert seit Wochen die weitere Aufstockung der jetzigen Einheiten (68 000 Soldaten aus den USA)
um mindestens 40 000 Mann. Vieles deutet darauf hin, dass Obama dem in seiner Rede
nachkommen wird, drei Viertel davon bereitstellen will und zugleich darauf hofft, weitere rund 10 000
Soldaten von den NATO-Verbündeten verpflichten zu können.
Auch nach der Entscheidung des Kriegsrats hieß es jedoch, Obamas Position sei noch nicht
endgültig festgelegt. Er zögere angesichts »einflussreicher Skeptiker in seiner Demokratischen
Partei, widerstrebender Alliierter im Ausland und einer afghanischen Öffentlichkeit im Ungewissen,
ob die internationalen Streitkräfte oder die Taliban den Krieg gewinnen werden«, wie die »New York
Times« schrieb.
Obamas Zweifel speist sich aus wachsendem Widerstand auf Seiten der NATO-Partner, von denen
Staaten wie Kanada und die Niederlande bereits die Absicht zum Abzug ihrer Afghanistan-
Kontingente verkündet haben. Er nährt sich aus Positionen wie die von Vizepräsident Joseph Biden
und vielen Kongressabgeordneten der Demokraten, die maximal 10 000 zusätzliche GI’s entsenden
wollen. Und er hängt mit der Tatsache zusammen, dass die Ablehnung weiterer Truppen für einen in
der US-amerikanischen Öffentlichkeit zunehmend unpopulären Krieg bei denen besonders groß ist,
die sich vor Jahresfrist besonders stark für Obamas Wahl eingesetzt haben. Die Vorsitzende des
Abgeordnetenhauses, Nancy Pelosi von den Demokraten, spricht mit Blick auf die erwogene
Truppenaufstockung »von ernsthafter Unruhe in der Partei«.
Hinzu kommt die Sorge, dass die Eskalation des Krieges politisch, moralisch und finanziell
unkalkulierbare Kosten – von grob geschätzt einer Million zusätzlicher Dollar pro zusätzlichem USSoldaten
ist die Rede – nach sich zieht, die die vielen Krisenbaustellen daheim belasten. Schließlich
wächst auch bei Obama die Sorge, dass der Afghanistan-Krieg zu seinem Vietnam wird. Am
Vorabend seiner Rede zitierte die »New York Times« einen Regierungsbeamten, der im Schutz der
Anonymität vorbaute: »Vieles in der neuen Strategie hängt von Faktoren ab, die wir nicht
kontrollieren können – der afghanischen Regierung, den Taliban, der Rolle Pakistans. Wir haben es
hier mit einem jener Probleme zu tun, die die Macht und die Grenzen der Macht des Präsidenten
zeigen.«
* Aus: Neues Deutschland, 30. November 2009
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