Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Friedenspreisträger auf dem Kriegspfad

Obama will Truppenaufstockung in Afghanistan

Von Reiner Oschmann *

Frisch gekürte Friedensnobelpreisträger fallen für gewöhnlich nicht mit massiven Truppenverstärkungen in laufenden Kriegen auf. USA-Präsident Barack Obama wird sie am Dienstag (1. Dez.) verkünden.

In einer Art Rede an die Nation – mit rund 40 Minuten voraussichtlich doppelt so lang wie jene vor knapp drei Jahren, als Bush eine nochmalige Kriegseskalation für Irak ankündigte – will der Präsident seine neue Strategie für Afghanistan vorstellen. Seit August in zehn Treffen seines Kriegsrats aus ranghohen außenpolitischen und militärischen Beratern entstanden, wird sie den Afghanistan-Krieg von Amtsvorgänger Bush endgültig zu Obamas Krieg und zum Zeugnis der Unvereinbarkeit mit dem Friedensnobelpreis machen. Laut Präsidentensprecher Robert Gibbs soll sie sowohl erklären, wie zusätzliche US-amerikanische und NATO-Truppen nach Afghanistan kommen, als auch die Strategie plausibel machen, »sie wieder herauszubekommen«. Oder wie Obama sagte: Er habe die Absicht, »die Sache zu Ende zu bringen«.

Vor dem Truppenabzug die Truppenverstärkung – das schält sich als Kern der neuen Strategie heraus. General Stanley McChrystal, Befehlshaber der US- und NATO-Truppen in Afghanistan, fordert seit Wochen die weitere Aufstockung der jetzigen Einheiten (68 000 Soldaten aus den USA) um mindestens 40 000 Mann. Vieles deutet darauf hin, dass Obama dem in seiner Rede nachkommen wird, drei Viertel davon bereitstellen will und zugleich darauf hofft, weitere rund 10 000 Soldaten von den NATO-Verbündeten verpflichten zu können.

Auch nach der Entscheidung des Kriegsrats hieß es jedoch, Obamas Position sei noch nicht endgültig festgelegt. Er zögere angesichts »einflussreicher Skeptiker in seiner Demokratischen Partei, widerstrebender Alliierter im Ausland und einer afghanischen Öffentlichkeit im Ungewissen, ob die internationalen Streitkräfte oder die Taliban den Krieg gewinnen werden«, wie die »New York Times« schrieb.

Obamas Zweifel speist sich aus wachsendem Widerstand auf Seiten der NATO-Partner, von denen Staaten wie Kanada und die Niederlande bereits die Absicht zum Abzug ihrer Afghanistan- Kontingente verkündet haben. Er nährt sich aus Positionen wie die von Vizepräsident Joseph Biden und vielen Kongressabgeordneten der Demokraten, die maximal 10 000 zusätzliche GI’s entsenden wollen. Und er hängt mit der Tatsache zusammen, dass die Ablehnung weiterer Truppen für einen in der US-amerikanischen Öffentlichkeit zunehmend unpopulären Krieg bei denen besonders groß ist, die sich vor Jahresfrist besonders stark für Obamas Wahl eingesetzt haben. Die Vorsitzende des Abgeordnetenhauses, Nancy Pelosi von den Demokraten, spricht mit Blick auf die erwogene Truppenaufstockung »von ernsthafter Unruhe in der Partei«.

Hinzu kommt die Sorge, dass die Eskalation des Krieges politisch, moralisch und finanziell unkalkulierbare Kosten – von grob geschätzt einer Million zusätzlicher Dollar pro zusätzlichem USSoldaten ist die Rede – nach sich zieht, die die vielen Krisenbaustellen daheim belasten. Schließlich wächst auch bei Obama die Sorge, dass der Afghanistan-Krieg zu seinem Vietnam wird. Am Vorabend seiner Rede zitierte die »New York Times« einen Regierungsbeamten, der im Schutz der Anonymität vorbaute: »Vieles in der neuen Strategie hängt von Faktoren ab, die wir nicht kontrollieren können – der afghanischen Regierung, den Taliban, der Rolle Pakistans. Wir haben es hier mit einem jener Probleme zu tun, die die Macht und die Grenzen der Macht des Präsidenten zeigen.«

* Aus: Neues Deutschland, 30. November 2009


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zurück zur Homepage