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Obamas Vietnam am Hindukusch?

Der neue USA-Präsident hat sich den von Bush begonnenen Krieg zu eigen gemacht

Von Reiner Oschmann *

Afghanistan wird Barack Obama auch in seinem Urlaub in Martha's Vineyard, der Atlantikinsel vor der Küste Neuenglands, nicht verlassen.

Barack Obama trägt eine schwere Erblast: Afghanistan und der bald achtjährige, von George W. Bush begonnene Krieg überschatten die wichtigsten Projekte (Kampf gegen die Wirtschafts- und Finanzkrise, Reform des Gesundheitswesens) des neuen Präsidenten an der Heimatfront. Und es wächst die Sorge, dass der Afghanistan-Krieg zu Obamas Vietnam werden könnte. Trotz erklärter anderer Absicht ist er in punkto Afghanistan nah bei Bush geblieben: Der 44. Präsident setzt am Hindukusch einen Kurs fort, der die Situation nicht besser, sondern gefährlicher macht. Nach dem Tod weiterer US-Soldaten in der Vorwoche in Afghanistan erhöhte sich die Zahl gefallener NATO-Soldaten in Afghanistan für dieses Jahr auf 302. Sie liegt damit bereits über der Gesamtbilanz 2008 und macht 2009 schon im August zum tödlichsten Jahr für die NATO-Truppen.

Admiral Mike Mullen, Vorsitzender der Vereinten Stabschefs in Afghanistan, erklärte im »State of the Union«-Programm bei CNN, die Lage für den Westen »ist ernst und verschlechtert sich weiter«, und dies trotz der jüngsten Aufstockung der US-amerikanischen Truppen um weitere 17 000 Soldaten. »Der Aufstand der Taliban ist taktisch besser und raffinierter geworden«, sagte Mullen und verwies auf die im Gang befindliche Überprüfung der bisherigen Kriegsstrategie durch den neuen US-amerikanischen Kommandeur der so genannten ISAF-Schutztruppe, General Stanley McChrystal. Es wird damit gerechnet, dass er im Zuge der Überprüfung nach weiteren Truppenverstärkungen ruft - und Obama sie bewilligt.

Diese Entwicklung weckt in den USA immer öfter Erinnerungen an den verhängnisvollsten Fehler Washingtoner Außenpolitik: das Versagen und Verbrechen des Vietnamkrieges im vorigen Jahrhundert. Die »New York Times«, die jetzt einen ganzen Beitrag unter die Überschrift stellte: »Könnte Afghanistan Obamas Vietnam werden?«, schrieb, während der neue Präsident mit Abraham Lincoln oder Franklin D. Roosevelt verglichen wurde, stelle sich die Frage, ob er »stattdessen nicht zu einem zweiten Lyndon B. Johnson verurteilt sein« könne - »einem Präsidenten, der zu Hause Amerika neu gestalten wollte, während er einen zum Scheitern verurteilten Krieg in der Fremde bestritt«. Die Parallele verfolge »das Weiße Haus unter Obama wie ein Spuk«. Der Präsident stehe »vor der Aussicht auf eine ungewisse Zukunft für seine gesetzgeberischen Pläne und für einen Krieg, der inzwischen unbestreitbar zu seinem Krieg geworden ist«.

Das erinnere sehr an Präsident Johnsons (1963-1969) Bemühen, in den USA »eine Große Gesellschaft (mit vollen Bürgerrechten für die afroamerikanische Bevölkerung, mit besserer Gesundheitsversorgung für Alte und Kranke - R.O.) zur selben Zeit zu errichten, da er in Vietnam Krieg führte«. Auch David M. Kennedy von der Stanford University, der unlängst an einer vertraulichen Runde des neuen Präsidenten mit neun der bedeutendsten Historiker der USA teilgenommen hat, meint: »Die Analogie zu Lyndon Johnson drängt sich stark auf.« Auch wenn es natürlich Unterschiede in der Dimension gibt. Auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges hatten die USA rund eine halbe Million Soldaten im Einsatz - demnächst werden es in Afghanistan 68 000 sein. Die meisten US-Amerikaner in Vietnam waren Wehrpflichtige, während die USA heute eine Freiwilligen-Armee unterhalten. Trotzdem müsse Obama, der großen Sinn für Geschichte besitze, unbedingt verhindern, dass der Krieg in Afghanistan seine Präsidentschaft so befleckt wie einst der Vietnamkrieg die Johnsons, betont der Historiker.

* Aus: Neues Deutschland, 31. August 2009


Nach Wahl: mehr Krieg

Von Arnold Schölzel **

Nicht nur die Hartz-IV- und Afghanistan-Kriegsparteien bemühen sich, beide Themen im Bundestagswahlkampf nicht vorkommen zu lassen. Auch die westliche Führungsmacht hat offenbar kein Interesse, die Bundestagswahlen am 27. September zu einer Abstimmung über die deutsche Teilnahme an Washingtons »Krieg gegen den Terror« am Hindukusch werden zu lassen. Der soll erneut ausgeweitet werden. Darauf deuten Äußerungen des britischen Premierministers Gordon Brown am Wochenende in Afghanistan und Medienberichte über Forderungen der Obama-Administration nach einem größeren deutschen Truppenkontingent. US-Präsident Barack Obama hat seit seinem Amtsantritt im Januar bereits 20000 zusätzliche Soldaten in das Land beordert.

Die Zeitschrift Der Spiegel berichtet in ihrer neuen Ausgabe: »US-Diplomaten haben führenden CDU-Politikern bereits angekündigt, Obama warte mit Rücksicht auf Angela Merkel nur noch die Wahl am 27. September ab. Dann werde er fordern, daß auch die Deutschen mehr Kampftruppen an die Front schicken.« Das Blatt verwies zugleich darauf, Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) »hätte die Truppenstärke im Mandat schon im vergangenen Jahr am liebsten von 3500 auf 6000 Soldaten erhöht«. Nur wegen der CSU und der Landtagswahl in Bayern habe er es bei der damaligen Obergrenze von 4500 Soldaten belassen.

Der Vorsitzende der Partei Die Linke Oskar Lafontaine kommentierte am Sonntag in einer Pressemitteilung den Bericht mit den Worten: »Es wäre unverantwortlich, weitere Soldaten in einen Krieg zu schicken, von dem US-Präsident Obama selber sagt, er sei nicht zu gewinnen. Ich fordere die Bundesregierung auf, die Bundeswehr sofort aus Afghanistan abzuziehen bevor es zu spät ist. Die Bundeswehr wird in unverantwortlicher Weise immer tiefer in einen Krieg verstrickt, in dem immer mehr unschuldige Zivilisten getötet werden.« Die Folge des Krieges sei zudem eine Erhöhung der Terrorgefahr in Deutschland.

Offensichtlich sind aber die Entscheidungen längst gefallen. So erklärte Brown sich bereit, das britische Kontingent von 9000 Soldaten zu erhöhen und weitere gepanzerte Fahrzeuge zu schicken. Bislang sind in Afghanistan 207 britische Soldaten ums Leben gekommen.

In der Bundesrepublik wird die Eskalation behutsam vorbereitet. So erklärte Angela Merkel am Sonntag auf einer Veranstaltung in Hamburg steinmeierkompatibel, eine Präsenz der Bundeswehr sei solange nötig, bis Afghanistan aus eigener Kraft Sicherheit in dem Land gewähren könne. Auf die Frage nach Fristen kam die Antwort, sie wolle sich nicht auf eine Jahreszahl festlegen. Bundespräsident Horst Köhler hatte bereits am Freitag nach einem Besuch des Jägerregiments 1, das sich derzeit im Gefechtsübungszentrum des Heeres in Letzlingen in Sachsen-Anhalt auf den Fronteinsatz vorbereitet, eine breite öffentliche Diskussion über die Stellung der Bundeswehr in der Gesellschaft und den Afghanistan-Einsatz verlangt. Aufgabe der Politik sei es, den Einsatz der Bevölkerung noch besser zu vermitteln und zu erklären.

In Afghanistan kam es am Wochenende zu zahlreichen Anschlägen und Gefechten. Auch deutsche Soldaten wurden in der Nähe ihres Feldlagers in Kundus mit Handfeuer- und Panzerabwehrwaffen beschossen, blieben aber unverletzt.

** Aus: junge Welt, 31. August 2009


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