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Protektorat Afghanistan

In der Logik des Neoimperialismus muß ein Pazifizierungskrieg zügig zum Umbau der überfallenen Nation führen. Das Land am Hindukusch ist nun wirtschaftlich und politisch abhängig von USA und EU

Von Norman Paech *

In der Logik des Neoimperialismus muß ein Pazifizierungskrieg zügig zum Umbau der überfallenen Nation führen. Das Land am Hindukusch ist nun wirtschaftlich und politisch abhängig von USA und EU

Die Mehrheit der Zeitgenossen ist davon überzeugt, daß wir uns in einer geschichtlichen Phase des Übergangs in ein neues System der Weltordnung befinden. Dessen zukünftige Gestalt ist allerdings ziemlich unklar. Nur eines wird immer wieder mit auffälliger Gewißheit betont: Es liegt eine Ära der Unordnung, der Auflösung und des Chaos vor uns, von der ebenfalls unklar ist, worin sie enden wird. Die Sicherheit dieser Prognose beruht auf der Erfahrung der Aggressivität, mit der der Kapitalismus seine Globalisierung bis in die letzten Rohstofflager, Märkte und Dörfer vorantreibt. In dieser Dynamik der imperialen Okkupation aller Ressourcen der Erde finden wir sämtliche Mittel der Politik, von der Verhandlung und Diplomatie, der Drohung über die Erpressung, Täuschung und Bestechung bis hin zur gezielten militärischen Intervention und zum klassischen Krieg.

Aus der Perspektive der Länder, die eher zum Schlachtfeld als zur Kommandozentrale der zukünftigen Kriege gehören werden, ist die Wahrnehmung dieses Schicksals besonders nüchtern und klar. So bei dem indischen Schriftsteller Amitav Gosh in Die Zeit (18/2005), der die »Verbindung von Kapitalismus und Imperium« knapp zusammenfaßt: »Es ist merkwürdig, daß der Fall der Berliner Mauer weithin noch immer als Bestätigung des 'Kapitalismus' verstanden wird. Denn in Wahrheit deuten die weltweiten Erfahrungen der vergangenen 15 Jahre viel eher darauf hin, daß ungebremster Kapitalismus unweigerlich imperiale Kriege und die Expansion von Imperien auslöst. Müßte nicht vielmehr die nahezu unbestrittene Herrschaft eines einzigen Systems in der Tat eine Epoche universellen Friedens herbeiführen? Oder doch zumindest eine Ära, in der große Übereinstimmung über die geeigneten Mittel zur Gewährleistung von Frieden herrscht? Was wir erleben, ist das genaue Gegenteil. Wir befinden uns in einer Periode außergewöhnlicher Instabilität und Angst, konfrontiert mit der Aussicht auf eine ständige Ausbreitung nur notdürftig getarnter Kolonialkriege. (...) Mit anderen Worten: Die Verbindung von Kapitalismus und Imperium bedeutet ein Programm des permanenten Krieges, jener Vorstellung, an der sich erst die Trotzkisten berauschten und die sich nun jene Neokonservativen aufs neue zu eigen machen, die das 'Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert' ersonnen haben.«

Militarisierung der Außenpolitik

Was die Beobachter im Norden wie im Süden eint, ist die Überzeugung von der Kriegsträchtigkeit dessen, was allgemein als Globalisierung bezeichnet wird. Dieser Begriff steht allmählich nicht nur für die Verheißungen der ökonomischen und sozialen Entwicklung weltweit, sondern auch für die Erwartung, ja Unvermeidlichkeit kommender Kriege. Die Erwartung wird nicht nur durch die Empirie täglicher Kriegsberichterstattung aus vier Kontinenten untermauert, sondern wird auch durch die ausdrückliche Programmatik der neuesten Militärstrategien der NATO vom April 1999 und der USA vom September 2002 bestätigt. Selbst die EU, ursprünglich eine ausschließliche Wirtschaftsgemeinschaft und erst in den letzten Jahren zu einer politischen Union gereift, hat sich einen mächtigen militärischen Arm zugelegt, der laut »Europäischer Sicherheitsstrategie« von 2003 in Zukunft weltweite militärische »Verteidigungs«-Aufgaben übernehmen soll.

Diese modernen Strategiepapiere der USA, der NATO und der EU, aber auch die Weißbücher der Bundeswehr seit 1992 enthalten deutliche Hinweise auf militärische Interventionen in jenen Regionen, in denen die Staaten ihre zentralen ökonomischen und politischen Interessen gefährdet sehen. Zudem verlangt die neuartige Aufgabe der Krisenintervention einen anderen zeitlichen Rahmen, als es die klassische Verteidigung im Rahmen von Artikel 51 UN-Charta vorgibt, die an den unmittelbaren territorialen Angriff gekoppelt ist. Da die Krise sich nicht notwendig in militärischer Aggression äußert, sondern eher - wie es auch in der NATO-Strategie von 1999 heißt - in dem Zusammenbruch von Staaten, Religionsauseinandersetzungen oder der Blockierung lebensnotwendiger Ressourcen, muß auch die Reaktion darauf eher vorbeugend als schlicht abwehrend sein.

So steht z.B. in dem sogenannten Solana-Papier, vom Europäischen Rat im Dezember 2003 als »Europäische Sicherheitsstrategie« verabschiedet, geschrieben: »Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen. Die neuen Bedrohungen sind dynamischer Art. (...) Daher müssen wir bereit sein, vor Ausbruch einer Krise zu handeln. Konflikten und Bedrohungen kann nicht früh genug vorgebeugt werden. (...) Wir müssen eine Strategiekultur entwickeln, die ein frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustes Eingreifen fördert (...). Als eine Union von 25 Mitgliedstaaten, die mehr als 160 Milliarden Euro für Verteidigung aufwenden, sollten wir mehrere Operationen gleichzeitig durchführen können.«

Diese »Strategiekultur« ist nicht allzuweit von dem Präventivkonzept der National Security Strategy der USA entfernt. Mit den Worten zweier akademischer Apologeten, dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler und dem Friedensforscher Dieter Senghaas, handelt es sich dabei um die »Herstellung von imperialer Ordnung zwecks Absicherung von Wohlstandszonen an den Rändern« (Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 5/2004). Entsprechend der militärischen Prägung jeder imperialen Ordnung wird der Krieg von beiden als unvermeidbares Mittel der Absicherung eingeplant: »Der Zwang (!) zu einer zunehmenden Politik der Interven­tion ist auch die Reaktion auf die Konsequenzen der Globalisierung an der Peripherie. Es bleibt die Frage, ob es gelingt, die zentralen Bereiche in die Wohlstandszonen zu inkludieren, also in der Fläche Ordnung herzustellen, und den Rest zu exkludieren. Es steht aber außer Frage, daß an diesen neuen 'imperialen Barbarengrenzen' der Krieg endemisch wird, nämlich in Form von Pazifizierungskrieg aus dem Zentrum in die Peripherie hinein und in die Form von Verwüstungskrieg aus der Peripherie ins Zentrum.«

Als Proben dieses »Pazifizierungskrieges« sind die Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und den Irak zu begreifen, die nur notdürftig mit der Anrufung der Menschenrechte und dem Kampf gegen Terror und Massenvernichtungsmitteln legitimiert werden konnten. Der »Verwüstungskrieg aus der Peripherie« meint die verschiedenen Terroranschläge seit dem 11.September 2001, wobei der Begriff absichtsvoll über das jeweilige Ausmaß der Verwüstungen beider Kriegsarten hinwegtäuscht. Ja, die Leserinnen und Leser von Münklers Buch »Die neuen Kriege« werden aufgefordert, »die Kategorie des Imperiums in Zukunft (...) als eine alternative Ordnungskategorie des Politischen, nämlich als Alternative zur Form des Territorialstaates« zu akzeptieren. Das derart installierte imperiale Gewaltverhältnis muß deshalb als »Friedensgarant«, als »Aufseher über politische, kulturelle Werte und Absicherer großräumiger Handelsbeziehungen und Wirtschaftsstrukturen« gepriesen werden.

Installation korrupter Regierungen

In diesem großflächigen Szenario haben wir auch die neuen Kriege des 21. Jahrhunderts gegen bzw. in Irak und Afghanistan sowie die akute Kriegsdrohung gegen Iran zu sehen: Genauer betrachtet handelt es sich hier um die Neuordnung einer ganzen Region. Sie umfaßt ein Areal mit über 500 Millionen Menschen und reicht vom kurdischen Südosten der Türkei bis an die russisch-kasachische Grenze, die Provinz Xinjiang im Westen Chinas, Kaschmir im Norden Indiens; dazu gehört selbstverständlich auch die ganze arabische Halbinsel im Süden. Ihre strategische Bedeutung erhält sie nicht wegen der Vielzahl und Heterogenität der Staaten oder der enormen Bevölkerungszahl. Sie liegt in dem immer noch gigantischen Vorrat an Erdöl und Erdgas, der für die atlantischen Industriestaaten auf absehbare Zeit lebenswichtig sein wird.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieses großräumige Projekt der Umgestaltung des Nahen und Mittleren Ostens nicht erst mit dem Terrorangriff vom 11. September 2001 angestoßen worden ist. Es war schon lange zuvor angesichts des immer explosiver werdenden Palästina-Konfliktes, des gescheiterten Angriffs (1980--1988) auf das »Mullah-Regime« im Iran mittels des Iraks und des gefährlichen Abdriftens Afghanistans durch die unberechenbaren Taliban nach dem Rückzug der Sowjetunion geplant. Die ganze Region war instabil und entzog sich zunehmend dem Zugriff der westlichen Interessen, wobei der Iran als der Angelpunkt für Instabilität und Gefährdung der US-Interessen angesehen wird. Deshalb war 9/11 nur der Auslöser für die Entfaltung einer minutiös vorbereiteten Interventionsmaschinerie, die sich allerdings ausschließlich auf den militärischen Apparat stützte. Dieser war zwar hervorragend auf die Anforderungen der Intervention und Überwältigung des Gegners, aber nur unzureichend auf die nachfolgenden Aufgaben der Besatzung und des sogenannten Wiederaufbaus abgestimmt. Dabei geht es doch im wesentlichen um die zweite Phase, die man etwas grob, aber zutreffend mit »regime change«, etwas milder mit »nation building« und »good governance« umschreibt.

Zwei US-amerikanische Autoren, Ronald D. Asmus und Kenneth M. Pollack, haben dieses Ziel 2002 in ihrer Veröffentlichung »The New Transatlantic Project« folgendermaßen umschrieben: »Der Westen kann und sollte nicht versuchen, sein eigenes Modell der Regierung (governance) der Region zu verpassen. Die Transformation des Greater Middle East wird unausweichlich Elemente der Demokratisierung, der freien Marktwirtschaft, der rule of law und einer fortschrittlichen Erziehung, wie wir sie verstehen, enthalten. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, die letztendliche Gestalt der Region zu diktieren, die sie anzunehmen hat. Statt dessen sollte es unser Ziel sein, dabei zu helfen, daß die Stimmen für den Fortschritt in der Region gehört werden, und dabei zu helfen, eine neue Gesellschaft zu formen. Wir wissen nicht, wie arabische oder islamische Modernität aussehen wird. Wir können den Völkern der Region helfen, die Grundlagen für ein solches Unterfangen zu legen. Aber es wird ihre Sache sein, sie zu definieren.«

Sympathische Sätze, die jedoch so fern der Realität sind wie Washington von Kabul. Das liegt jedoch nicht daran, daß die schlechte Realität der Bush-Administration den idealistischen Vorstellungen der beiden Autoren einen Strich durch die Rechnung macht, sondern an ihrem Projekt selbst. Denn ihr erstes Testfeld ist Afghanistan, wo sie den Erfolg der neuen Regierung ebenso wie die Niederlage der Taliban und die Aufgabe des »nation building« als zentrale Elemente der Transformation hervorheben. Ihnen ist offensichtlich entgangen, daß im Petersberg-Abkommen vom 5. Dezember 2001 den falschen Repräsentanten einer neuen Gesellschaft an die Schalthebel der Macht in Kabul geholfen wurde. Heute erweist sich jedoch auf jeden Fall, daß diese Geburtshilfe am Rhein fern vom Hindukusch eine durch und durch korrupte politische Elite in die neuen demokratischen Institutionen Parlament, Regierung und Justiz gebracht hat. Dies war kein Unglücksfall, sondern war in der Konstruktion der Petersberger Kür angelegt und entsprach den Intentionen derer, die ihre Interessen in dem neuen Afghanistan gesichert sehen wollten. Asmus und Pollack haben sich darüber hinaus auch für die militärische Intervention zur Transformation eines Landes entschieden und -- ein Jahr vor dem Angriff auf Irak -- die Operation »Enduring Freedom« als nachahmenswertes Vorbild für die Beseitigung Saddam Husseins im Irak empfohlen. Ob sie heute noch davon überzeugt sind, auf diesem Weg ihr Konzept des »nation building« verwirklichen zu können, ist nicht bekannt. Es gibt jedoch genügend Studien, die diesem Konzept grundsätzlich ein Scheitern bescheinigen, da es zumeist auf weitgehender Unkenntnis der kulturellen, historischen und politischen Voraussetzungen dieser Gesellschaften basiert und die Durchsetzung fremder, historisch unter vollkommen anderen Voraussetzungen entstandener und entwickelter Institutionen vertritt.

Festlegung des Wirtschaftssystems

Es spricht einiges dafür, daß die mittlerweile von allen Seiten beklagte schwere Korruption in Regierung, Parlament und Justiz in Kabul die spezifisch afghanische Form der Aneignung und Verarbeitung dieser fremden Institutionen und ihres Personals ist. Diese mögen zwar dem formalen Anspruch der Demokratie entsprechen, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie ihre Existenz und ihr Überleben der Anwesenheit fremder Truppen zu verdanken haben. Afghanistan ist ein Protektorat der NATO unter eindeutiger Führung der USA, genauso wie diese sich bereits den Irak als Protektorat eingerichtet haben. In der US-Administration gibt es an diesem Konzept keinen Zweifel wie Stephen Krasner vom US-Außenministerium ganz offen bestätigt: »Das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten«, schreibt er 2005 in der Zeitschrift Internationale Politik, »funktioniert nicht mehr. (...) Mächtige Staaten können das Phänomen prekärer Staaten nicht ignorieren, denn deren Sicherheits- und wirtschaftliche Interessen sind durch diese Staaten gefährdet. (Weshalb -- N. P.) die beste Lösung in der Einrichtung einer De-facto-Treuhandschaft oder eines Protektorats besteht.«

Und auch in der NATO findet man breite Zustimmung zur Protektoratslösung, wie Carlo Masala vom NATO Defense College 2007 bestätigt: »Protektorate sind in. Von Bosnien über Kosovo nach Afghanistan bis in den Irak, das Muster westlicher Interventionspolitik ist immer dasselbe. Nach erfolgreicher militärischer Intervention werden die 'eroberten' Gebiete in Protektorate umgewandelt und die westliche Staatengemeinschaft ist darum bemüht, liberale politische Systeme, Rechtsstaatlichkeit und freie Marktwirtschaft in diesen Gebieten einzuführen.«

Das stimmt mit dem »Neuen Transatlantischen Projekt« von Asmus und Pollack vollkommen überein, die ebenfalls von »Elementen der Demokratiesierung, der freien Marktwirtschaft und rule of law« sprechen. Diese Elemente erschöpfen sich für die neuen Protektorate allerdings nicht in den Institutionen der Gewaltenteilung, sondern strukturieren vor allem jene Bereiche der Gesellschaft vollkommen neu, die neuen Herren von zentralem Interesse sind: die Bereiche der Produktion, Investition, des Handels und der Erziehung. Dies ist besonders plastisch in dem ersten Protektorat der EU, dem Kosovo, zu erkennen, wo Brüssel faktisch die Letztentscheidung über das Wirtschaftssystem an sich gezogen hat. In Afghanistan eröffnet sich einem das ganze Ausmaß der Fremdbestimmung, wenn in den Veröffentlichungen der deutschen Bundesagentur für Außenhandel (Wirtschaftsentwicklung 2006, 27.11.2006) über die Erfolge der Liberalisierung der Wirtschaftsverfassung zu lesen ist: »Ein Erfolg ist die mit Hilfe der Bundesregierung geschaffene 'Afghan Investment Support Agency - AISA', die Investoren innerhalb von nur einer Woche sämtliche Formalitäten abnimmt, deren Registrierung vornimmt und eine Steuernummer vergibt. (...) Die marktwirtschaftliche Ausrichtung der Wirtschaft und der Schutz der Investoren wurden in die neue afghanische Verfassung aufgenommen. Afghanistan kann als eine der offensten Volkswirtschaften überhaupt, auf jeden Fall aber als die offenste Volkswirtschaft der Region bezeichnet werden. Handelsbeschränkungen und Subventionen sind praktisch nicht existent, und die afghanische Regierung zeigt sich sehr aufgeschlossen für Investitionen im Land.«

Wer mit dem schlagwortartigen Vorwurf des Neoliberalismus nichts anfangen kann, sollte die Wirtschaftsverfassungen dieser neuen Kolonien studieren und die Methoden ihrer Durchsetzung durch die neuen Herren und deren autochthonen Vasallen verfolgen. In Afghanistan hat das neue System dazu geführt, daß 90 Prozent aller produzierten Güter aus dem Ausland kommen. Eine einheimische Industrie besteht faktisch nicht mehr, da ihr Aufbau gegenüber der ausländischen Konkurrenz weder unterstützt noch geschützt werden kann. Die einzige Industrie, die ein gigantisches Wachstum zu verzeichnen hat, ist die Drogenindustrie, deren Gewinne jedoch nur dem geringsten Teil der afghanischen Bevölkerung zugute kommen und am Staat vorbei in die Taschen der Drogenmafia fließen. Das Steueraufkommen ist dementsprechend äußerst gering, so daß 70 Prozent des Staatshauhalts von ausländischen Gebern finanziert werden muß. Diese wiederum möchten natürlich auch darüber mitbestimmen, was mit diesen Geldern gemacht wird.

Legitimation der US-Hegemonie

Kehre ich zum Beginn meiner Ausführungen zurück, so sprach ich von der Ära der Unordnung, der Auflösung und des Chaos, die als einzige Sicherheit in der Unsicherheit der Prognose für eine zukünftige Weltordnung übriggeblieben ist. Afghanistan ist dafür nur ein Beispiel, die Reaktion der USA und ihrer Verbündeten jedoch das Muster für den Versuch, dieses Chaos zu stabilisieren.

Im Sprachrohr des Foreign Office, der Zeitschrift Foreign Affairs, kam der Kolumnist der Washington Post Sebastian Mallaby im Frühjahr 2002 unter dem Titel »Der zögernde Imperialist: Terrorismus, zusammengebrochene Staaten und die Sorge für das amerikanische Imperium« zu dem Schluß: »Vom Sudan über Afghanistan nach Sierra Leone und Somalia. Wenn solche Machtvakuas in der Vergangenheit Großmächte gefährdeten, hatten diese eine schnelle Lösung bereit: Imperialismus. (...) Die Logik des Neoimperialismus ist für die Bush-Administration zu überzeugend, um ihr zu widerstehen. Das Chaos in der Welt ist zu gefährlich, um ignoriert zu werden.«

Das ist die Logik einer Weltmacht, die Zbig­niew Brzezinski, aktueller außenpolitischer Berater des Präsidentschaftskandidaten Barack Obama, schon 1997 in seinem Buch »Die einzige Weltmacht« beschrieben hat. Unter der Überschrift »Eine Hegemonie neuen Typs« stellt er fest, daß »der Geltungsbereich der heutigen Weltmacht Amerika einzigartig (ist). Nicht nur beherrschen die Vereinigten Staaten sämtliche Ozeane und Meere, sie verfügen mittlerweile auch über die militärischen Mittel, die Küsten mit Amphibienfahrzeugen unter Kontrolle zu halten, mit denen sie bis ins Innere eines Landes vorstoßen und ihrer Macht politisch Geltung verschaffen können. Amerikanische Armeeverbände stehen in den östlichen und westlichen Randgebieten des eurasischen Kontinents und kontrollieren außerdem den Persischen Golf. (860 Militärstützpunkte weltweit, mit 93 Staaten Verträge über Militärstützpunkte - N. P.) Wie die (...) Karte zeigt, ist der gesamte Kontinent von amerikanischen Vasallen und tributpflichtigen Staaten übersät, von denen einige allzu gern noch fester an Washington gebunden wären.«

Um die zweifelsfreie Legitimation dieser Hegemonie und die Berechtigung des Weltherrschaftsanspruchs nachzuweisen, kann Brzezinski sich auf eine breite US-amerikanische Literatur stützen. Eine der prominenteren Stimmen ist die des Beraters des US-Außenministeriums Samuel P. Huntington, der schon 1993, zwei Jahre nach der berühmten Ankündigung von Bush-Vater über die neue Weltordnung, die offizielle Formulierung der US-amerikanische Mission fand, wie sie bis in die Bush-II-Administration immer noch Gültigkeit hat: »Ohne die Vorherrschaft der USA wird es auf der Welt mehr Gewalt und Unordnung und weniger Demokratie und wirtschaftliches Wachstum geben, als dies unter dem überragenden Einfluß der Vereinigten Staaten auf die Gestaltung der internationalen Politik der Fall ist. Die Fortdauer der amerikanischen Vorherrschaft ist sowohl für das Wohlergehen und die Sicherheit der Amerikaner als auch für die Zukunft von Freiheit, Demokratie, freier Marktwirtschaft und internationaler Ordnung in der Welt von zentraler Bedeutung.«

Von den Methoden dieser Vorherrschaft wird hier nicht gesprochen: Nach den Kriegen gegen Jugoslawien, Afghanistan und Irak sowie den permanenten Kriegsdrohungen gegen Iran besteht jedoch kein Zweifel sowohl an der Ernsthaftigkeit des Anspruchs wie an der Entschlossenheit, ihn auch mit Waffengewalt durchzusetzen. Daß die Besatzungsmächte dabei jedoch immer wieder auf hartnäckigen Widerstand stoßen, beruht auf einer sehr einfachen Erkenntnis, die bereits vor über 200 Jahren formuliert wurde und den Großmächten im Laufe ihrer verlustreichen Kolonialkriege wiederholt begegnet sein müßte: »Die wunderlichste Idee, die im Kopf eines Politikers entstehen kann, ist die, es genüge, daß ein Volk mit Waffengewalt ins Territorium eines fremden Volkes einbreche, um dieses zur Übernahme der eigenen Gesetze und der eigenen Verfassung zu zwingen. Niemand liebt die bewaffneten Missionare; der erste Rat, den Natur und Vorsicht geben, ist der, sie als Feinde zurückzuschlagen. (...) Anderen Nationen die Freiheit bringen zu wollen, ehe wir selbst sie errungen haben, bedeutet in einem die sichere Sklaverei für uns wie für die ganze Welt.« Mit diesen Sätzen spottete der französische Revolutionsführer Maximilien Robespierre im Januar 1792 über die Vorstellung der Girondisten, die Freiheit mit Waffengewalt exportieren zu können.

* Norman Paech ist außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke

Aus: junge Welt, 15. Oktober 2008



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