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Besatzer in Defensive

Von Rainer Rupp *

Mehr als ein Drittel Afghanistans gilt als unsicher, in den entsprechenden Gebieten muß jederzeit mit einem Angriff der Taliban oder anderer aufständischen Gruppen gerechnet werden. Einige Regionen sind sogar »fest in der Hand des Feindes«. Das geht aus einer geheimen Karte der afghanischen Regierung hervor, die in Kabul der britischen Nachrichtenagentur Reuters zugespielt wurde. Auf der Karte ist die jeweilige Bedrohungslage der einzelnen Gegenden farblich abgestuft wiedergegeben. Das Dokument zeigt, daß 133 der 356 afghanischen Distrikte als Hochrisikogebiete eingestuft werden, wovon mindestens 13 »unter Kontrolle des Feindes« stehen. Faktisch gelten demnach der gesamte Süden des Landes, aber auch weite Teile im Westen und Osten für die Soldaten der westlichen Besatzer und der Marionettenregierung in Kabul als extrem gefährlich. Die Karte trägt sowohl das Logo des Innenministeriums und der Armee Afghanistans als auch das der Abteilung der Vereinten Nationen, die für die Sicherheit verantwortlich ist. Sie datiert vom April 2009, also aus der Zeit vor der dramatischen Eskalation der Kämpfe durch die US- und NATO-Truppen. Die Attacken gegen Aufständische hatten im Juli von ihnen den bisher höchsten Blutzoll (75 Tote, davon 43 Amerikaner) in dem fast achtjährigen Krieg gefordert.

Geradezu symbolisch für die Lage der westlichen Truppen ist ein Gerichtsverfahren, das am letzten Montag in Großbritannien gegen den 27 Jahre alten britischen Lance Corporal Joe Glenton unter großer Medienaufmerksamkeit begann. Glenton steht vor dem Kriegsgericht, weil er sich geweigert hatte, mit seiner Einheit in das Feuer nach Afghanistan zurückzugehen. »Ich glaube nicht mehr daran, daß wir in Afghanistan für eine gerechte Sache kämpfen. Vielmehr hat der Krieg schwere Folgen, sowohl für das afghanische Volk als auch für die britische Armee und ihre Familienangehörigen«, rechtfertigte sich der Desillusionierte. Für ihn sei die westliche Militärintervention »nicht Teil der Lösung, sondern selbst zum Problem geworden«.

Der jüngste US-Luftangriff am Mittwoch auf das Dörfchen Kohat in der Provinz Kandahar ist ein weiterer Beleg, daß die massenhafte Anwesenheit schießwütiger ausländischer Krieger das Hauptproblem für eine Beilegung des Konfliktes in Afghanistan geworden ist. Eine aufgebrachte Menge marschierte mit den Leichen von vier Zivilisten, darunter drei Kinder, in die Provinzhauptstadt, um gegen die mörderischen Überfälle zu protestieren, mit denen die US-Kriegsherren seit Jahren die Bevölkerung terrorisieren. Wie so oft in der Vergangenheit erklärte auch diesmal das US-Oberkommando die Opfer kurzum zu »Aufständischen«. Für die NATO ist der Vorfall diesmal jedoch äußerst unangenehm, da er mit dem Besuch ihres neuen Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen zusammenfällt. Vertreter des Militärpakts versprechen daher, den Vorfall zu untersuchen. Das läuft in solchen Fällen in der Regel darauf hinaus, daß den Überlebenden pro toten Familienangehörigen hundert Dollar gezahlt werden.

Wie schwierig die militärische Lage geworden ist, zeigt auch die Verschiebung einer seit langem und von den Medien zunehmend ungeduldig erwarteten Einschätzung des Pentagon zur Situation in Afghanistan. Sie sollte in der nächsten Woche vorgestellt werden. Der Termin wurde aber auf unbestimmte Zeit verschoben. Das deutet darauf hin, daß man sich auch im US-Kriegsministerium nach wie vor nicht über die richtige Strategie einig ist. So muß mit einem »Weiter wie bisher« gerechnet werden.

* Aus: junge Welt, 7. August 2009


Fette Krieger

Von Norman Paech **

Nur in einem sind sich die Sicherheitsstrategen in Afghanistan einig: Die Lage war noch nie so ernst wie jetzt. Ob das auf die nahenden Wahlen, die blühenden Opiumfelder oder die korrumpierten Afghanen zurückzuführen ist, niemand will sich festlegen - wahrscheinlich von allem etwas.

Jetzt aber beginnt das britische Unterhaus an sich und seinen Soldaten selbst zu zweifeln. Der schlimmste Vorwurf, den man sich machen kann, wird laut: Man sei selber schuld. Man habe keine realistische Strategie, es fehle an einer Vision, die auf der realen Geschichte, Kultur und Politik des Landes beruht. Die 9150 britischen Soldaten liefen offensichtlich ohne klare Orientierung planlos schießend durch das weite Land - die Heimatfront wackelt.

Immerhin ist man jetzt bereit wahrzunehmen, dass das überfallene Land überhaupt Geschichte, Kultur und Politik hat, Taliban inklusive, mit denen man jetzt sprechen müsse. Aber was nützt das, wenn die Zeitungen daheim die letzten Umfragen publizieren, nach denen mehr als die Hälfte der Briten den Krieg als ungewinnbar ansieht und den sofortigen Rückzug der Truppen fordern. 58 Prozent geben den Krieg gegen die Taliban als verloren, 52 Prozent wünschen sich den Rückzug und nur 43 Prozent meinen, dass sie am Hindukusch bleiben sollten.

Schlimmer noch, der Defätismus hat sich bereits tief in die Armee hineingefressen: Sie ist zu dick, die Krieger sind zu fett. Das Verteidigungsministerium, sonst so stolz auf die Kampfmoral seiner army, ist beunruhigt von dem Trend zur Fettleibigkeit seiner Jungs. 3860 Soldaten seien nicht einsatzfähig, weitere 8190 auf dem besten Weg dahin, offensichtlich unablässig kauend und schluckend.

Es sind allerdings nicht so sehr das Fett und der Leibesumfang, die dem Ministerium Sorge bereiten, denn ein Blick ins zivile Leben lehrt die Normalität dieses Trends. Nein, Fett macht faul und friedlich im Kopf, und damit haben sie keine Chance gegen einen Feind wie die mageren Taliban. Die Dicken haben sich ihr notwendiges »Kriegs-Ethos« weggefressen, wobei zweifelhaft bleibt, ob sich dieses mit einer neuen »Fitness-Kultur«, wie sie das Ministerium von den Oberbefehlshabern fordert, wiederherstellen lässt. Denn wir wissen, Diäten führen selten zum Erfolg, und ein Krieger, der permanent im Fitnessstudio schwitzt, ist dafür, was eine Armee nach den Vorstellungen des Ministeriums braucht, verdorben: »Personal mit einem kampfstarken Ansatz, der sie durch Notlagen führt.«

Das Problem liegt tiefer und ist vom Verteidigungsministerium wohl nicht erkannt. Könnte es nicht sein, dass die Fettleibigkeit nur der Ausdruck einer neuen Fress- sprich Friedenskultur ist, der nahrhafte Bruder der Kriegsdienstverweigerung? Nicht Hungerstreik, sondern Fresssucht ist die neue Form des Protestes gegen einen ebenso blutigen wie sinnlosen Krieg. Erinnern wir die britischen Oberbefehlshaber an die Sicherheitsmaxime eines der größten Kriegsherren der Geschichte, Julius Caesar - lasst dicke Männer um mich sein, die nachts gut schlafen - und loben wir den fetten Krieger, der zu dick für einen Kampfeinsatz ist, bei dem ihn nur selten der Koch aber immer der Tod begleiten wird.

** Der Autor ist Außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

Aus: Neues Deutschland, 8. August 2009



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