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"Die westliche Hilfe ist gar keine Hilfe"

Afghanischer Oppositioneller zur Lage im Land *


Said Mahmoud Pahiz ist Sprecher der afghanischen »Solidarit Said Mahmoud Pahiz ist Sprecher der afghanischen »Solidaritäts-Partei«. Er hat französische Literatur studiert, ist neben seiner Parteiarbeit als Dolmetscher tätig und lebt in Kabul. Vor wenigen Tagen informierte er auf einer Reise durch Deutschland über die Situation in seinem Heimatland. Für das "Neue Deutschland" (ND) sprach Rudolf Stumberger mit ihm über die Bedingungen politischer Arbeit in Afghanistan.

ND: Seit wann gibt es die »Solidaritäts-Partei« und wie viele Mitglieder hat sie?

Pahiz: Die offizielle Gründung erfolgte 2004, aber die politischen Pläne zur Parteigründung reichen weiter zurück, bis zur Zeit der sowjetischen Besatzung. Derzeit unterstützen uns 30 000 Menschen, darunter sind vor allem Bauern, aber ebenso Intellektuelle. Sie sind es auch, die die Partei mit einem Teil ihres Einkommens am Leben erhalten. Spenden oder sonstige finanzielle Unterstützung haben wir kaum. Unser »Hauptquartier« in Kabul besteht gerade einmal aus zwei Räumen, in denen auch unsere Leibwächter übernachten.

Wie ist die soziale Situation in Afghanistan?

Einigen wenigen, kaum mehr als fünf Prozent der Bevölkerung, geht es sehr gut. Das sind die Warlords und Kriegsgewinnler, an deren Händen Blut klebt. Der Mehrheit der Menschen, der einfachen Bevölkerung, geht es hingegen sehr schlecht. Sie müssen versuchen, mit einem Einkommen von einem Dollar pro Tag zu überleben. Es gibt nicht wenige, die sich umbringen. Um die Familien zu entlasten, werden schon junge Mädchen an ältere Männer verheiratet, um die Mitgift zu bekommen und so die anderen Kinder durchzubringen. Wenn man Schulen baut, ist das sicher gut. Aber das bringt der einfachen Bevölkerung nichts, wenn sie nicht genug zu essen hat. Dass allein auf den Feldern 70 000 Kinder arbeiten müssen, ist ein weiterer Fakt, der die soziale Situation widerspiegelt.

Unter welchen Bedingungen kann man in Afghanistan politisch arbeiten?

Früher gab es bei uns 105 Parteien, mittlerweile sind es noch 14. Das liegt an einem Gesetz, das für eine Parteigründung 10 000 Mitglieder vorschreibt. Das ist schwierig. Ansonsten ist es nicht problematisch, eine Partei zu gründen. Die meisten unterstützen die Warlords oder die Taliban. Wer eine andere Meinung vertritt, die Lügen der Politiker aufzeigt und die Korruptheit des Regimes darstellt, lebt gefährlich. Wir werden oft bedroht, auch ich selbst.

Ihre Partei hat nicht an den Parlamentswahlen teilgenommen.

Wir haben versucht, unsere Mitglieder in die Gemeinderäte zu schicken, dort wurden sie aber niedergeschrien oder ihnen wurde das Wort entzogen. Im Parlament selbst läuft es nicht demokratisch und fair, deshalb haben wir diese Wahlen boykottiert.

Wie wollen Sie dann politisch wirken?

Es geht uns darum, das korrupte Regime von Präsident Karsai bloßzustellen und den Menschen zu sagen, welche Verbrechen begangen wurden. Wir führen Kurse für Analphabeten durch und setzen vor allem auf Bildung, soweit das unsere Mittel erlauben. Ein Ziel ist auch, eine Zeitung herauszugeben, um die Bevölkerung aufzuklären. Und wir organisieren Kundgebungen.

Welche Erinnerungen haben sie selbst an die Taliban-Herrschaft?

Vor allem, dass unserer Partei beziehungsweise der Vorläufergruppe, damals der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Wir standen sehr unter Druck, weil wir auch Bildung für die Frauen fordern. Manche Unterstützer wurden sogar geköpft.

Was halten Sie von westlicher Präsenz in Afghanistan?

Die westliche Hilfe ist in Wirklichkeit gar keine Hilfe. Sie machen alles nur schlimmer. Die fremden Truppen sollten Afghanistan verlassen, sie helfen nicht, eher das Gegenteil ist der Fall. Die Taliban stellen insofern keine Gefahr dar, weil sie letztlich nur als Begründung für die Anwesenheit der NATO herhalten müssen. Das sagt sogar Karsai. Dessen Regierung ist absolut korrupt und dem Westen sklavisch ergeben. Das Regime besteht selbst aus Taliban, aus Warlords und aus Technokraten aus dem Westen.

Natürlich gibt es humanitäre Hilfe des Westens vor Ort. Doch ebenso viele einheimische Organisationen und Parteien, die sich dort engagieren und einen Bezug zur Bevölkerung haben. Diese werden vom Westen aber nicht unterstützt. Die größte Hilfe für Afghanistan wäre, wenn die fremden Truppen verschwänden, damit die ansässigen Organisationen selbst die Hilfe in die Hand nehmen könnten.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Februar 2011


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