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Bisher keine Erfolgsgeschichte - deutsche Polizeiausbildung in Afghanistan

Ein Beitrag von Anja Günther aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien"

Andreas Flocken (Moderation):
In der kommenden Woche findet in Kabul die seit längerem anberaumte Afghanistan-Konferenz statt. Hauptziel ist, die Umsetzung der Anfang des Jahres in London verabschiedeten Beschlüsse zu überprüfen. Angekündigt war damals u.a., den Aufbau der afghanischen Polizei zu beschleunigen. Vor einigen Jahren hatte Deutschland die Federführung hierfür übernommen. Den Worten folgten damals nur wenig Taten - sehr zur Enttäuschung der internationalen Staatengemeinschaft und der Afghanen. Hat sich das in den vergangenen Monaten geändert? Dieser Frage ist Anja Günther nachgegangen.

Manuskript Anja Günther

Kabul, Ende März. Ein warmer Frühlingstag. Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist gerade in der afghanischen Hauptstadt gelandet. Es ist sein erster Besuch am Hindukusch überhaupt. Seit acht Jahren beteiligt sich Deutschland am Aufbau einer funktionierenden Polizei in Afghanistan. De Maizière will sich nun informieren, wie es läuft vor Ort. Die mitgereisten Journalisten überrascht der CDU-Politiker kurz nach seiner Ankunft mit dieser Aussage:

O-Ton de Maizière:
"Das ist keine Erfolgsgeschichte. Aber die Dinge werden besser. Wir dürfen die Maßstäbe nicht so hoch setzen. Deutschland hat auch lange gebraucht, um ein Rechtsstaat zu werden mit Polizei und Justiz. Hier haben wir ganz andere Strukturen. Deswegen muss man Geduld haben und die Erwartungen nicht zu hoch setzen."

Es ist kein Geheimnis, dass bei der Ausbildung afghanischer Polizisten nicht alles rund läuft. Dass das ein deutscher Politiker so offen zugibt, ist allerdings schon ungewöhnlich. Der Aufbau funktionierender Streitkräfte in Afghanistan gilt als der Schlüssel zum Erfolg. Deutschland hat die Strategie für den Aus-landseinsatz verändert - nach der internationalen Afghanistan-Konferenz in London im Januar. Es wird mehr investiert in den Polizeiaufbau - mehr Personal, mehr Geld. Bundeskanzlerin Angela Merkel:

O-Ton Merkel:
"Es geht darum, dass die afghanischen Sicherheitskräfte, sowohl die Polizei, als auch die Armee, Schritt für Schritt in die Lage versetzt werden, die Verant-wortung für ihr Land alleine zu übernehmen. Dazu sind noch erhebliche Ausbildungsanstrengungen notwendig."

Möglichst 2014 sollen die Afghanen selbst die Verantwortung in ihrem Land übernehmen. Bis dahin ist es ein weiter Weg, bis dahin soll eine funktionierende Polizei aufgebaut sein. Doch es hakt an vielen Stellen. Das Hauptproblem: Die Korruption. Hohe Offiziersposten sind käuflich, die Posten werden nicht immer nach Ausbildung und Leistung besetzt. Der einfache afghanische Polizist bessert sein eher karges Gehalt auf, indem er beispielsweise bei Checkpoint-Kontrollen Geld erpresst. Als Konsequenz sind die Gehälter für einfache Polizisten erhöht worden, so Innenminister de Maizière:

O-Ton de Maizière:
"Sie sind jetzt ungefähr auf der Höhe wie für einen afghanischen Soldaten, sie sind höher als für einen afghanischen Lehrer. Aber das ist immer noch nicht so attraktiv wie für manchen Warlord zu arbeiten und für manchen Taliban. Da bekommt man 100 Dollar mehr."

Bis vor einem halben Jahr hat ein einfacher Polizist 80 Dollar pro Monat ver-dient, inzwischen sind es 200 Dollar. Damit das Geld auch tatsächlich an-kommt, erhalten die Beamten eine SMS mit einer Geheimnummer und können ihr Gehalt dann in einem Telefonladen abholen. Trotzdem ist es oft schwer, die afghanischen Polizisten bei der Stange zu halten, erzählt Kriminalhauptkommissar Ingo Althoff aus Hessen:

O-Ton Althoff:
"Die Polizei hier scheint nicht den besten Stand zu haben. Durch die ganzen Probleme, die man ja auch so mitbekommt. Also, Korruption ist ein sehr großes Thema."

Althoff ist einer von 250 deutschen Polizisten, die als Ausbilder in Nordafgha-nistan im Einsatz sind. 50 Ausbilder arbeiten im Rahmen der europäischen Polizeimission EUPOL, die anderen 200 in den deutschen Polizeitrainingszentren, in einem GPPT, das ist die Abkürzung für German Police Project Team. Markus Ritter ist hauptverantwortlicher Leiter der GPPTs und vom Erfolg der Mission überzeugt:

O-Ton Ritter:
"Es kommt immer noch zu oft rüber, dass wir hier eigentlich sinnlose Arbeit machen. Dass das ein Fass ohne Boden ist. Wenn wir hier hunderte, tausende ausbilden, irgendwas bleibt da auch übrig, was Positives. Da bin ich mir ganz sicher."

Die deutschen Polizeitrainingszentren befinden sich in Mazar-i-Sharif, Kundus, Feizabad und in Kabul. Am Rande der afghanischen Hauptstadt, am Fuße der Berge, liegt das Prestigeprojekt schlechthin: Die Nationale Polizeiakademie. Wer dort hinkommt, wird in sechs Monaten zum Polizeioffizier ausgebildet und darf dann selbst ausbilden. Die Absolventen lernen, wie Häuser gestürmt und Verdächtige festgenommen werden, wie man gewaltbereite Demonstranten auf der Straße auseinandertreibt und wie man Meldung macht:

Die jungen Afghanen, die an der Nationalen Polizeiakademie ausgebildet werden, sind hochmotiviert. Eine Offizierslaufbahn ist ihr großer Traum. Hohe Beamte werden auch bei EUPOL ausgebildet, der viel kritisierten europäischen Polizeimission, für die Deutschland lange Zeit federführend war, und immer wieder Personal erbitten musste bei anderen EU-Staaten. Jetzt beteiligen sich fast 25 Nationen an dem Projekt. Mario Scheidhauer, Kriminalpolizist aus Hamburg, arbeitet für EUPOL und findet, dass die europäische Mission inzwischen besser ist als ihr Ruf:

O-Ton Scheidhauer:
"Ich bin Berater des Polizeichefs und des kriminalpolizeilichen Führers. Meine Aufgabe ist es, [sowohl] Strukturen zu verbessern als auch Ausbildungs- oder Wissenslücken zu entdecken. Dafür dann Lehrgänge zu schreiben, diese dann auch selber zu halten. Primär aber mit der Blickrichtung "Train the trainer", das heißt, Ausbilder selber heraus zu picken und diese dann methodisch-didaktisch vorzubilden."

Ganz anders läuft die Ausbildung der einfachen afghanischen Polizisten. Egal, ob nun im deutschen Trainingszentrum in Mazar-i-Sharif, in Feizabad oder in Kundus - die Probleme sind fast immer dieselben. Fast keiner der Neulinge kann sich lange konzentrieren, kleine motorische Übungen wie Schattenboxen oder geradeaus marschieren bereiten den jungen Männern Probleme, die meisten von ihnen können nicht lesen und schreiben. Man muss improvisieren können, erzählt Polizeiausbilder Andreas Ladwig aus Schleswig-Holstein:

O-Ton Ladwig:
"Im Unterricht, wenn es dann gar nicht anders geht, weil wir sie nicht anders erreichen können, dann müssen im Einzelfall auch mal Playmobil-Figuren her halten oder dann wird so ein bisschen durch kleinen Schauspielunterricht gezeigt, wie es laufen sollte."

Vor einem schmucklosen hellen Gebäude im Trainingszentrum in Mazar-i-Sharif schwitzen afghanische Polizeianwärter in ihren viel zu großen, viel zu dicken braunen Uniformen. Stolz zeigen sie, was sie können. Das sind tolle Schüler, sagt Anke Guberac, auf deren Kommando die Männer hören:

O-Ton Guberac:
"Ich habe dann mehrfach darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, dass die Kollegen zusammenbleiben, dass sie sich nicht trennen lassen. Dass sie schnell rein gehen in die Gruppe und schnell wieder raus kommen."

Sechs Wochen Basis-Ausbildung, taktisches Training, Schießübungen und Sport. Drei vollwertige Mahlzeiten am Tag, ein festes Dach über dem Kopf, saubere Wäsche - für viele junge Afghanen sind das nahezu paradiesische Zustände. Sie wirken zufrieden wie dieser junge Polizeianwärter:

OT Afghane (overvoice):
"Ich danke dem deutschen Staat. Ich habe nichts gelernt. Ich kam hierher, und erhalte nun eine Ausbildung. Ich mache das, weil ich möchte, dass unser Land friedlich wird. So, wie es in Deutschland ist."

Die deutsche Polizei will künftig pro Jahr 5.000 afghanische Polizisten ausbil-den. Damit das Projekt tatsächlich ein Erfolgsprojekt wird, gehen die deutschen Ausbilder auch neue Wege. Das Stichwort heißt FDD - Focused district development. Afghanische Polizisten werden nach Abschluss ihrer Grundausbildung bei ihrer Arbeit in den Distrikten begleitet - von kleinen Teams bestehend aus vier deutschen Polizisten und vier Bundeswehr-Feldjägern wie Alexander Becker:

O-Ton Becker:
"Also, das Gute daran ist, dass man direkt bei der Bevölkerung mit vor Ort ist, dass man direkt vor Ort helfen kann, die Polizei da dementsprechend unter-stützt und die Akzeptanz der Bevölkerung für die Polizei dadurch auch wesentlich stärker geweckt wird."

Die Gewerkschaft der Polizei, GdP, hält vom FDD-Konzept nicht besonders viel. Wenn deutsche Polizisten die Ausbildungszentren verlassen und in die einzelnen Distrikte gehen, erhöht sich das Risiko, kritisiert GdP-Chef Konrad Freiberg:

O-Ton Freiberg:
"Wir haben in Bürgerkriegsgebieten nichts zu suchen. Das sage ich ausdrücklich. Wir sind keine paramilitärische Einheit und wir wollen es auch nicht sein, ganz ausdrücklich. Dann möge [das] das Militär machen, dann mögen das andere paramilitärische Einheiten machen, aber wir als deutsche Polizei nicht."

Bundesinnenminister de Maizière versteht die Sorgen der deutschen Polizei, hält es aber für unabdingbar, dass die afghanischen Polizisten nach der Grundausbildung nicht allein gelassen werden. Und er verspricht:

O-Ton de Maizière:
"Die Projekte in den Distrikten finden nur in gesicherten Gebieten statt. Und auf die Frage, was ist ein gesichertes Gebiet, wird hier gesagt: Wenn in den letzten drei, vier Monaten kein sicherheitsrelevanter Vorfall war. Nein, wir können uns darauf verlassen, soweit man sich überhaupt auf etwas verlassen kann, dass der Einsatz sicher ist für die deutschen Polizisten."

Die Realität stimmt wenig hoffnungsfroh: Afghanische Polizisten im Gefecht mit radikal-islamischen Taliban - das ist Alltag. Inzwischen sterben bei Angriffen mehr afghanische Polizisten als afghanische Soldaten. Das liegt vor allem daran, erklärt de Maizière, dass es der afghanischen Polizei an vielem mangelt: An geschützten Fahrzeugen, ausreichend Munition, geeigneten Waffen:

O-Ton de Maizière:
"Die afghanischen Polizisten sind nicht so gesichert wie die afghanischen Soldaten, sie haben Waffen nur zur Selbstverteidigung. Für deutsche Polizisten muss ich unterstreichen, dass sie nur in gesicherte Gebiete gehen. Für afghanische Polizisten gilt das leider nicht in dem Maße."

Den Innenministern der Länder macht die aktuelle Situation Sorgen. Es sind die Innenminister, die deutsche Polizisten für Nordafghanistan bereit stellen. Die Zahl wurde gerade von 170 auf 250 erhöht. Die Opposition im Bundestag sagt: Das reicht nicht. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier:

O-Ton Steinmeier:
"Wir müssen uns konzentrieren auf das, was notwendig ist. Weitere Kampf-truppen sehe ich nicht für erforderlich an. Intensivieren müssen wir im Bereich der Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Sicherheitskräfte."

Hamburgs Innensenator Christoph Ahlhaus von der CDU kann die Kritik ver-stehen, will aber vorerst keine weiteren Beamten bereit stellen. Nun müsse man erst mal schauen, was die zusätzlichen Ausbilder bringen - und auch, wie die neue Afghanistan-Strategie bei der deutschen Bevölkerung ankommt:

O-Ton Ahlhaus:
"Insgesamt muss man sich natürlich bei einer solchen Mission immer fragen: Wann ist eigentlich der Zeitpunkt gekommen, wo wir sagen, jetzt ist das, was wir erreichen wollen, auch erreicht. Und ich glaube, hier werden wir weitere Diskussionen führen müssen, was ist in einem Land wie Afghanistan überhaupt erreichbar und welchen Beitrag wollen wir dann auch auf Dauer hier leisten."

Die deutschen Ausbilder bleiben mal sechs, mal acht, mal 16 Wochen. Kein deutscher Polizist wird verpflichtet, nach Afghanistan zu gehen, die Beamten melden sich freiwillig. De Maizière:

O-Ton de Maizière:
"Sie machen einen tollen Job und sie mehren das Ansehen Deutschlands in der Welt und hier in Afghanistan."

Manche deutschen Ausbilder kommen immer wieder. Sie glauben an das, was sie tun, an den Erfolg. Thorsten Schwarz ist Polizeiausbilder in Kundus - und findet, dass oft zu negativ über die Polizeiarbeit in Afghanistan berichtet wird:

O-Ton Schwarz:
"Wenn ich eine Polizeieinheit ausbilde, da kommen 20 bis 30 Leute an, die noch nie als Team gearbeitet haben, die überhaupt keinen Hintergrund haben. Und nach fünf oder sechs Wochen Training ist das plötzlich eine funktionierende Polizeieinheit, die sich Gedanken macht über Rechtsgrundlagen ihres Handelns, die taktisch agieren können, die zusammen arbeiten. Die sind dann auch unheimlich dankbar über das, was wir ihnen beigebracht haben. Und das sind für mich sehr, sehr positive Erlebnisse."

Der Aufbau der afghanischen Polizei - eine Mission mit Licht und Schatten. Bis 2014 sollen insgesamt 134.000 afghanische Polizisten ausgebildet sein; dazu kommen gut 170.000 afghanische Soldaten bis Ende 2011. Das alles ist eine Voraussetzung dafür, dass die die NATO-Truppen abziehen und die Af-ghanen in ihrem Land selbst für Sicherheit sorgen können. Für die deutsche Polizei, sagt, Bundesinnenminister Thomas de Maizière, wäre das Hauptengagement dann beendet:

O-Ton de Maizière:
"Deswegen bilden wir ja auch Ausbilder aus, die anschließend die Ausbildung übernehmen werden. Aber ich glaube, dass es darüber hinaus ein Projekt der Zusammenarbeit auf Jahre hinaus geben wird."

Auch finanziell wird Deutschland Afghanistan wohl noch lange unterstützen. Für den Aufbau der afghanischen Polizei stellte die Bundesregierung bis Ende 2009 über 153 Millionen Euro bereit. Eine enorme Summe, die hohe Erwartungen weckt - bei der deutschen Bevölkerung, der afghanischen Regierung, den NATO-Partnern. Die Erwartungen sind bisher nur im Ansatz erfüllt - de Maizière ist allerdings vorsichtig optimistisch:

O-Ton de Maizière:
"Da gibt es Fortschritte. Sie sind klein, sie sind wichtig und weisen in die richtige Richtung."

* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 17. Juli 2010; www.ndrinfo.de


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