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Kundus: Polizei als deutsches Revier

Bundesinnenminister de Maizière weihte Ausbildungszentrum ein / Kritik von der LINKEN *

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat in Kundus im Norden Afghanistans ein deutsches Polizei-Ausbildungszentrum eingeweiht.

Die Trainingseinrichtung »stellt einen weiteren Baustein zur Qualifizierung afghanischer Polizisten dar und wird auf Dauer dazu beitragen, den zivilen Aufbau Afghanistans voranzubringen und die Sicherheitslage in der Region zu verbessern«, sagte der Minister am Montag (29. März) bei der Einweihung.

De Maizière wies darauf hin, dass im Zuge der deutschen Bemühungen zur Stabilisierung der Provinz zudem 14 neue Kontrollposten für die afghanische Polizei in Kundus und Umgebung errichtet worden seien. Das Trainingszentrum in Nordafghanistan ist das dritte seiner Art und arbeitet bereits seit Anfang März. Es wurde von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) errichtet und mit Mitteln des Auswärtigen Amtes in Höhe von zwei Millionen Euro finanziert.

Die Ausbildungseinrichtung in Kundus biete hundert Polizeianwärtern Platz, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums in Berlin. Damit könnten in Kundus in diesem Jahr noch 400 afghanische Polizisten qualifiziert und ab 2011 jährlich 500 Polizisten aus- und fortgebildet werden.

Derzeit sind nach Angaben des Bundesinnenministeriums 130 deutsche Polizisten in Afghanistan im Einsatz; bis Mitte des Jahres sollen insgesamt 200 deutsche Polizisten und Experten am Hindukusch eingesetzt werden. Zudem soll die Zahl der deutsche Experten bei der EU-Polizeimission in Afghanistan (EUPOL) in diesem Jahr auf 60 erhöht werden. Darüber hinaus beteiligen sich noch bis zu 45 Feldjäger der Bundeswehr an den Ausbildungsmaßnahmen.

Kundus war die zweite Station des Afghanistan-Besuchs de Maizières, der sich seit Sonntag in dem Land am Hindukusch über die maßgeblich von Deutschen organisierte Polizeiausbildung informiert. In Kabul war er am Sonntag mit NATO-Kommandeur Stanley McChrystal zusammengekommen.

Kritik an der deutschen Polizei-Mission in Afghanistan kam von der LINKEN. »Der Polizeiaufbau in Afghanistan ist auf ganzer Linie gescheitert. Die Bundesregierung hat nur nicht den Mut, das Ausmaß des Desasters einzugestehen«, erklärte die innenpolitische Fraktionssprecherin Ulla Jelpke. In den Zeitschriften der Gewerkschaft der Polizei und in denen des Reservistenverbandes lasse sich nachlesen, was die internationalen Polizisten erlebten: Sie würden von ihren afghanischen Kollegen häufig nicht akzeptiert, stießen überall auf Korruption, Amtsmissbrauch und Vetternwirtschaft, erklärte Jelpke. Von ernsthafter Polizeiarbeit könne auch mehr als acht Jahre nach dem US-geführten Einmarsch keine Rede sein.

* Aus: Neues Deutschland, 30. März 2010

Polizeiaufbau in Afghanistan ist ein einziges Desaster

Pressemitteilung von Ulla Jelpke (MdB Die Linke)

"Der Bundesinnenminister sollte die deutschen Polizisten gleich mitnehmen, wenn er aus Afghanistan zurückkehrt", fordert die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, UIla Jelpke. "Der Polizeiaufbau in Afghanistan ist auf ganzer Linie gescheitert. Die Bundesregierung hat nur nicht den Mut, das Ausmaß des Desasters einzugestehen." Jelpke weiter:

"Innenminister Thomas de Maizière sollte seinen Aufenthalt am Hindukusch dazu nutzen, die Einschätzung des britischen Außenministeriums zu überprüfen, über die der ,Independent' am Wochenende berichtete. Von ,Geisterrekruten' war dort die Rede, und davon, dass über die Hälfte des letzten Rekrutenjahrgangs bei der Polizei beim Drogenmissbrauch erwischt wurde.

In den Zeitschriften der Gewerkschaft der Polizei, aber auch in denen des Reservistenverbandes lässt sich nachlesen, was die internationalen Polizisten am Hindukusch erleben. Sie werden von ihren afghanischen Kollegen häufig nicht akzeptiert, sie stoßen überall auf Korruption, Amtsmissbrauch und Vetternwirtschaft. Die afghanische Bevölkerung lernt die Polizei vor allem als Truppe von Wegelagerern und Drogenschmugglern kennen. Von ernsthafter Polizeiarbeit kann auch mehr als acht Jahre nach Beginn der Besetzung Afghanistans keine Rede sein.

Jetzt einen auf Zweckoptimismus zu machen, wird der Situation nicht gerecht. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Afghanistan weiten sich aus. Da klingt es wie eine Drohung, wenn der Innenminister verspricht, es werde ,doch noch' eine Erfolgsgeschichte geschrieben. Es wird Zeit, die Notbremse zu ziehen und den Rückzug anzutreten."



Aktuelle Meldung

Deutsche Polizei soll Jahre bleiben

Afghanistan-Einsatz langfristig angelegt **

Bundesinnenminister Thomas de Maizière strebt ein langfristiges Engagement der deutschen Polizei in Afghanistan an. Es gehe um mehrere Jahre.

Auch nach Ende der laufenden Ausbildungsprojekte, die eine Aufstockung der afghanischen Polizei auf 134 000 Kräfte bis 2014 zum Ziel haben, werde es voraussichtlich eine »Zusammenarbeit auf Jahre hinaus« geben, sagte de Maizière am Dienstag zum Abschluss seines dreitägigen Afghanistan-Besuchs in Masar-i-Scharif. »Es macht ja keinen Sinn, etwas abzubrechen, was nachher in neue Unsicherheit umschlägt.« Eine Fortsetzung des Engagements werde aber sicher nicht die aktuelle Dimension haben. Deutschland will die Zahl der Polizeiausbilder bis Mitte des Jahres von derzeit 190 auf 260 aufstocken. Sie sollen pro Jahr 5000 afghanische Polizisten schulen. Deutschland beteiligt sich seit acht Jahren maßgeblich am Aufbau der Polizei in dem Land. Zur Zeit liegt die Zahl der afghanischen Polizisten nach offiziellen Angaben zwischen 96 000 und 98 000.

De Maizière beendete seine Afghanistan-Reise am Dienstag (30. März) mit dem Besuch eines Trainingszentrums in Masar-i-Scharif, gleich neben dem Hauptquartier des von Deutschland geführten Regionalkommandos Nord der internationalen Schutztruppe ISAF. Der Innenminister betonte, dass die deutschen Polizisten nur in sicheren Gebieten eingesetzt werden, wenn sie Ausbildungscamps verlassen. Trotz aller Schwierigkeiten sieht de Maizière den Polizeiaufbau in Afghanistan auf einem guten Weg. Die afghanische Regierung mahnte er aber, die Korruption entschieden zu bekämpfen. »Eine Polizei kann nur Autorität in einem Land gewinnen, wenn sie nicht korrupt ist«, sagte er. Der Innenminister verwies auf die Einrichtung einer unabhängigen Behörde zur Bekämpfung der Korruption durch Präsident Hamid Karsai. »Wir wünschen uns sehr, dass diesen Worten jetzt auch Taten folgen.«

Auch die sieben führenden Industrienationen und Russland (G8) haben von Karsai weitere Fortschritte im Kampf gegen Drogenhandel und Korruption verlangt. Die bereits vereinbarten konkreten Maßnahmen müssten »rasch umgesetzt« werden, heißt es in einer Erklärung, die die G8-Außenminister am Dienstag bei ihrem Treffen im kanadischen Ottawa verabschiedeten.

US-Generalstabschef Michael Mullen hat derweil die südafghanische Stadt Mardscha besucht, in deren Umgebung die internationalen Truppen eine Großoffensive gegen die Taliban führen.

** Aus: Neues Deutschland, 31. März 2010


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