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NATO-Rückzug aus Afghanistan gefordert

Proteste in London und Warschau / Taliban drohen mit Anschlägen zur Stichwahl

Tausende Menschen haben am Wochenende (24./25. Okt.) in London und in Warschau gegen den NATO-Krieg am Hindukusch protestiert. Die Taliban drohten unterdessen, die Stichwahl in Afghanistan zu verhindern oder zumindest massiv zu stören.

Nach Angaben der Veranstalter demonstrierten am Samstag (24. Okt.) in London rund 10 000 Menschen gegen den britischen Kriegseinsatz in Afghanistan. Großbritannien hat derzeit rund 9000 Soldaten am Hindukusch stationiert, die meisten davon in der südlichen Provinz Helmand. Bei dem Einsatz gegen die Taliban kamen seit 2001 insgesamt 222 britische Soldaten ums Leben. Premierminister Gordon Brown hatte Anfang des Monats die Entsendung von 500 zusätzlichen Soldaten angekündigt. Nach einer am Samstag veröffentlichten Umfrage glauben 48 Prozent der Briten, dass der Kampf gegen die Taliban nicht zu gewinnen sei. Im August 2007 waren es nur 36 Prozent. 62 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, die Truppen abzuziehen.

Auch in Warschau demonstrierten mehrere Hundert Menschen gegen den Afghanistan-Einsatz. Sie forderten den Rückzug der polnischen Truppen. Vor dem Parlament stellten sie als Symbol einen Sarg ab. Warschau beteiligt sich mit 2000 Soldaten an der NATO-geführten Internationalen Schutztruppe (ISAF). Bislang starben 15 polnische Soldaten. Laut einer Umfrage vom September sind 81 Prozent der Bevölkerung für einen Rückzug ihrer Soldaten aus Afghanistan.

Beachten Sie auch die Meldungen vom 23. bis 26. Oktober in unserer tagesaktuellen Afghanistan-Chronik



Bei einem Bombenanschlag in der südlichen Unruheregion kam laut ISAF-Angaben am Wochenende ein USA-Soldat ums Leben. Nach Angaben des Internetdienstes icasualties.org sind seit Jahresbeginn insgesamt über 420 ausländische Soldaten in Afghanistan ums Leben gekommen, die meisten davon US-Amerikaner. Bereits jetzt ist 2009 damit das verlustreichste Jahr für die internationalen Truppen seit Kriegsbeginn.

Nach dem Tod von afghanischen Zivilisten an einem Kontrollpunkt des Militärs im Süden des Landes hat die ISAF am Sonntag eine Untersuchung des Vorfalls angeordnet. Nach ersten Erkenntnissen hätten NATO-Soldaten aus Angst vor einem Anschlag am Vortag in der Provinz Kandahar auf ein Auto geschossen. Dabei seien vier Menschen getötet worden, darunter zwei Kinder und eine Frau. Die ISAF bedauerte den Vorfall.

In Kabul räumte derweil Staatschef Hamid Karsai in einem Gespräch mit dem US-Sender CNN ein, von der internationalen Gemeinschaft dazu gedrängt worden zu sein, eine zweite Runde der Präsidentschaftswahl zu akzeptieren. Es habe »freundliche Bemühungen einiger Regierungen« gegeben, sich einer Stichwahl mit seinem Herausforderer Abdullah Abdullah zu stellen. Das sei jedoch nicht der Grund gewesen, warum er dem für den 7. November angesetzten Votum letztlich zugestimmt habe. Ihm sei es um die »Sicherheit des afghanischen Volks« und die »demokratischen Traditionen in Afghanistan« gegangen. Nach der wegen flächendeckenden Wahlbetrugs umstrittenen ersten Runde der Präsidentenwahl hat am Samstag die Kampagne für die Stichwahl begonnen. Der frühere Außenminister Abdullah schloss gegenüber CNN eine Regierungsbeteiligung nach einem möglichen Sieg von Karsai aus.

Derweil drohten die Taliban, die Stichwahl zu verhindern oder zumindest massiv zu stören. In einer am Wochenende veröffentlichten Erklärung riefen die radikalen Islamisten wie vor dem ersten Durchgang zu einem Boykott der Abstimmung auf und forderten die Bevölkerung darin auf, am Wahltag Anschläge gegen »feindliche Stützpunkte« zu verüben, Menschen von der Wahl abzuhalten und sämtliche Straßen zu blockieren. Wer dennoch an dem Urnengang teilnehme und verletzt werde, sei für »seine Verluste« selbst verantwortlich. Die Stammesführer der 34 afghanischen Provinzen beschlossen bei einem Treffen am Samstag in Kabul, ihre Mitglieder trotz der Gefahrenlage zur Teilnahme an der Wahl aufzurufen. In der ersten Runde hatte die Wahlbeteiligung noch nicht einmal bei 40 Prozent gelegen.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Oktober 2009


Mehr Druck

Von Olaf Standke **

In der NATO macht sich zunehmend Afghanistan-Müdigkeit breit angesichts der desaströsen Lage am Hindukusch. Doch feilscht man wie Ende vergangener Woche beim Herbsttreffen der Verteidigungsminister in Bratislava munter weiter um die Aufstockung der Allianz-Truppen. Der Oberkommandierende, US-General Stanley McChrystal, fordert bis zu 40 000 zusätzliche Soldaten, obwohl auch in den Vereinigten Staaten längst jeder zweite Bürger gegen die Entsendung ist. In London und in Warschau gingen am Wochenende Tausende auf die Straße, um gegen den Kriegseinsatz zu protestieren und den Rückzuck ihrer Truppen zu fordern. Erstmals wurde der Demonstrationszug in der britischen Hauptstadt von einem aktiven Soldaten angeführt. In beiden Ländern verlangt inzwischen eine Mehrheit der Bevölkerung das sofortige Ende des Einsatzes. Und in Deutschland? Da befürworten zwar 55 Prozent einen Rückzug der deutschen Soldaten, aber es waren auch schon mal deutlich mehr. Für weit über die Hälfte der Befragten spielte der Krieg am Hindukusch bei der Bundestagswahl nur eine Nebenrolle. Kein Wunder, dass die Tigerenten-Koalition in Berlin keinen Grund zum radikalen Kurswechsel sieht. Und dringender Anlass für die friedensbewegte Fraktion im Lande, den öffentlichen Druck auf diese Regierung zu erhöhen. Von den Grünen darf sie dabei allerdings kaum Unterstützung erwarten, wie deren Parteitag am Wochenende zeigte.

** Aus: Neues Deutschland, 26. Oktober 2009 (Kommentar)


Stop the War's demonstration on 24 October 2009 brought the centre of London to a standstill. It was a landmark demonstration, led by Lance Corporal Joe Glenton - the first serving soldier in the British army to join an anti-war march.

By Robin Beste

The march brought together at least 10,000 protestors from across Britain, calling for all British troops to be brought home. Joining Joe Glenton at its head were ex-soldiers, a number of military families, -- including Peter Brierley, who earlier this month refused to shake Tony Blair's hand, saying it had "my son's blood on it" -- and 104-year-old peace campaigner Hetty Bower.

The march took place on the day that a new poll showed that almost two-thirds of people in Britain want all British troops withdrawn from Afghanistan and 86 per cent believe the war is being lost.

Joe Glenton is facing court martial for refusing to return to Afghanistan. He defied a direct order by his commanding officer to come on the march, for which he may well face further charges.

On Saturday (24 October), he told the demonstrators : "I expected to go to war but I also expected that the need to defend this country's interests would be legal and justifiable. I don't think this is too much to ask. It's now apparent that the conflict is neither of these and that's why I must make this stand.

"It is distressing to disobey orders, but when Britain follows America in continuing to wage war against one of the world's poorest countries, I feel I have no choice.

"Politicians have abused the trust of the army and the soldiers who serve, that's why I am compelled and proud to march with the Stop The War Coalition today"'

Joe's views were supported by ex-soldier Paul McGurk, who left the army last month, after serving in Afghanistan made him realise the war was unjustied. "I think it's ridiculous that we're there," Paul told ITN News, when interviewed on the march. "I think the government should stop pretending that it's a just war and it's worth the lives of our guys. The government should stop saying it's a winnable war because everyone knows it's not. We should just leave, and that's why I'm here today."

Peter Brierley -- whose son Lance Corporal Shaun Brierley was killed in Iraq and who made the headlines worldwide when he refused to shake Tony Blair's hand -- said, "When you actually look at what's happening, it's exactly the same as in Iraq. Civilians are being killed, British soldiers are being killed and the country is being ruined. They shouldn't be there. The people don't want them there."

Jeremy Corbyn MP, vice-chairman of the Campaign for Nuclear Disarmament, said: 'The war in Afghanistan has no clear war aims, is clearly escalating and spinning out of control and can only impact on Pakistan and the whole of South Asia.

'Nato forces have been in Afghanistan for eight years and the result is increased drug production, high levels of corruption and terrible losses of life on all sides, civilian and military. Now is the time to change policy and bring the troops home to prevent a Vietnam-style quagmire.'

Tariq Ali, another speaker at the rally, challenged the British government or any politician to debate with Stop the War why Britain is fighting a war opposed by most people in Britain and in virtually every country round the world.

The country's oldest anti-war demonstrator, 104-year-old Hetty Bowyer, marched every step from Hyde Park to Trafalgar Square, where she told the crowd: 'I march because I can see no reason for further killing. I have walked on every march against us going to war. At my age there is not very much I can do but while my legs can carry me I am going to march.'

http://stopwar.org.uk


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