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Neue Niederlage für Präsident Karsai

Afghanisches Parlament lehnte in der zweiten Runde 10 von 17 Ministerkandidaten ab

Nach einer weiteren Schlappe des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai bei der Regierungsbildung wird sein Kabinett bei der internationalen Afghanistan-Konferenz in London in zwei Wochen noch immer nicht vollständig sein.

Das Parlament in Kabul ließ am Sonnabend 10 der 17 Ministerkandidaten von Karsai bei der Vertrauensabstimmung durchfallen. Immerhin brachte der Präsident seinen bisherigen Sicherheitsberater Salmai Rasul als neuen Außenminister durch. Bereits bei seinem ersten Anlauf vor zwei Wochen hatte Karsai eine Niederlage erlebt, als das Parlament gar 17 seiner 24 Kandidaten das Vertrauen verweigerte.

Beachten Sie auch die Meldungen vom 15. bis 19. Januar in unserer tagesaktuellen Afghanistan-Chronik



Präsidentensprecher Wahid Omar sagte am Sonntag (17. Jan.), an diesem Montag (18. Jan.) würden die vom Parlament bestätigten Minister vereidigt. Die offenen Posten sollen von Übergangsministern besetzt werden. Nach dem Ende der am Montag beginnenden Parlamentsferien werde Karsai im Februar eine neue Kandidatenliste vorlegen. Damit wird das Kabinett bis zur Konferenz in London am 28. Januar unvollständig bleiben.

In einer Mitteilung von Präsident Karsai hieß es, er respektiere die Entscheidung des Parlaments. Er habe bei der Auswahl aller Kandidaten auf deren Eignung und auf »nationale Beteiligung« geachtet und bedauere, dass das »erwünschte Resultat« nicht erreicht worden sei.

Nur eine von drei vorgeschlagenen Frauen wurde bei dem Votum im Parlament bestätigt: Amena Afsali, die das Sozialministerium führen soll. Beobachter werteten das Ergebnis als weitere politische Niederlage für den Präsidenten, der die neue Regierung noch vor der Londoner Konferenz bilden wollte. Aber auch gegen mehrere der nach der ersten Niederlage aufgestellten neuen Kandidaten wurden bereits in den Anhörungen starke Bedenken der Abgeordneten laut. Einige seien noch unfähiger als die in der Vorrunde präsentierten Bewerber, hieß es. Sie verdankten ihre Nominierung allein politischen Verbindungen.

Karsai war drei Monate nach der von Betrug überschatteten Präsidentenwahl im November im Amt bestätigt worden. Er steht unter wachsendem Druck des Westens, gegen die weitverbreitete Korruption vorzugehen und sein vom Krieg zerrissenes Land acht Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes zu befrieden. Trotz der schwierigen Kabinettsbildung hat Karsai nun immerhin 14 Minister seiner geplanten 24-köpfigen Mannschaft bestätigt, darunter auch den Chef des Schlüsselressorts Verteidigung.

Ein Abgeordneter, der namentlich nicht genannt werden wollte, warf Karsai und seinen Unterstützern derweil vor, die Ablehnung bestimmter Kandidaten selber beeinflusst zu haben. Vor der Wahl habe der Präsident einigen Unterstützern Regierungsposten versprochen, die er eigentlich gar nicht im Kabinett haben wollte.

Der britische Außenminister David Miliband, der am Sonnabend (16. Jan.) in Kabul zu Besuch war, wandte sich gegen den Eindruck, die Lage in Afghanistan habe sich verschlechtert und die Ziele für die Londoner Konferenz seien zurückgesteckt worden.

»Das ist ein Land, wo die Mädchen zur Schule gehen können, wo die Kranken Hilfe erhalten können und wo Wahlen stattfinden können«, sagte Miliband. Die Lage sei »ohne jeden Zweifel« besser als vor sieben oder acht Jahren. Statt Staats- und Regierungschefs kommen zur Londoner Afghanistan-Konferenz in zwei Wochen nur die Außenminister, teilte Miliband mit. Man wolle über mehr Sicherheit, weniger Korruption und die Beziehungen zu Nachbarländern wie Pakistan sprechen.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Januar 2010


Union und SPD feilschen um Soldaten

Debatte über neues Afghanistan-Mandat / Bundeswehr erschießt Zivilisten in Kundus **

Die Bundesregierung strebt im Ringen um eine Truppenverstärkung für Afghanistan einen Konsens mit der SPD-Opposition für das neue Mandat an. Unterdessen hält die von Bischöfin Margot Käßmann angestoßene Debatte über den Bundeswehreinsatz an.

Im Vorfeld der Londoner Afghanistan-Konferenz Ende Januar habe Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Gespräch mit SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier Bedingungen für eine Zustimmung der Sozialdemokraten sondiert, berichteten »Süddeutsche Zeitung« und »Rheinische Post« unter Berufung auf Regierungskreise. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) unterstützte die Bemühungen um ein auch von der SPD getragenes neues Afghanistan-Mandat. Es sind aber noch Fragen wie die Aufstockung des Bundeswehrkontingents, die Einstufung der Mission und ein konkreter Abzugstermin offen.

Im Gegensatz zur SPD spricht sich Guttenberg gegen ein festes Abzugsdatum aus und vermeidet auch eine Festlegung auf die mögliche Ausweitung des Kontingents. Die in den Medien als US-Bitte genannte Zahl von 2500 zusätzlichen Bundeswehrsoldaten bezeichnete er als unrealistisch. Im Parlament ist von plus 1000 bis 1500 Soldaten die Rede.

Mitten in der Debatte über das künftige Mandat erschossen Bundeswehr-Soldaten am Sonntag in der nordafghanischen Stadt Kundus einen Zivilisten. Der Polizeichef der Provinz Kundus, Mohammad Rasak Jakubi, sagte der Deutschen Presse-Agentur dpa, ein weiterer Zivilist sei verletzt worden. Der Wagen mit den Männern sei an einem Kontrollpunkt in hoher Geschwindigkeit auf Bundeswehr-Fahrzeuge zugefahren und habe trotz aller Warnsignale der Soldaten nicht angehalten. Die Soldaten hätten daraufhin das Feuer eröffnet. Die Bundeswehr bestätigte den Vorfall. Die afghanische Polizei ermittele, ob es sich bei den Männern um Aufständische gehandelt habe.

Nach der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, verlangt nun auch der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, eine neue Perspektive für das deutsche Engagement am Hindukusch. Es sei »höchste Zeit« für eine grundlegende Debatte über die deutsche Sicherheitspolitik. »Wir haben uns allzu lange nur mit Einzelfragen befasst.«

»Wer einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan will, muss jetzt damit beginnen, statt eine Truppenaufstockung zu planen«, forderte der außenpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE Wolfgang Gehrcke. Der Versuch, eine Zustimmung im Bundestag zu einer Truppenaufstockung »durch eine imaginäre Abzugsdebatte zu erkaufen, ist so durchsichtig wie verantwortungslos«. Einen gerechten Frieden für Afghanistan, wie ihn die evangelische und die katholische Kirche forderten, gebe es nicht mit mehr, sondern nur ohne ausländische Soldaten, sagte Gehrcke weiter.

** Aus: Neues Deutschland, 18. Januar 2010


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