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Feuer unterm Dach

Irak/Afghanistan: Eine strategische Truppenverschiebung und die "Koalition der Willigen" am Hindukusch

Von Jürgen Rose *

Nachdem der Blitzkrieg der deutschen Wehrmacht vor den Toren Moskaus in sibirischer Kälte zusammengebrochen war, befahl der "Größte Feldherr aller Zeiten" für den darauffolgenden Sommer einen strategischen Schwerpunktwechsel. Nicht mehr die sowjetische Kapitale, sondern die für eine fortgesetzte megalomane Welteroberung dringend gebrauchten Ölvorkommen im Kaukasus und Kaspischen Meer sollte Hitlers schwer angeschlagene und zugleich hoffnungslos überdehnte Kriegsmaschinerie nun erobern. Und dabei quasi im Vorbeigehen auch noch Stalins Metropole an der Wolga nehmen. Wie katastrophal der militärische Größenwahn endete, ist allgemein bekannt - außer im Oval Office zu Washington, so scheint es.

Daselbst beharrt der Präsident aus Texas starrsinnig auf seinen abstrusen Plänen zur gewaltsamen Neuordnung des "Greater Middle East". Dass imperiale Hybris gepaart mit militärstrategischem Dilettantismus prompt in den Abgrund führten, scheint George Bush und seine neokonservativen Ratgeber kalt zu lassen - "après moi le déluge" lautet wohl ihre Devise. Insofern nur konsequent werden die von der "einzig verbliebenen Supermacht" angestifteten Kolonialkriege im Nahen und Mittleren Osten fortgeführt.

Nachdem nun freilich die US-Streitkräfte, wie die NATO-Besatzungsmacht in Afghanistan überhaupt, in eine von Tag zu Tag prekärere Lage geraten, wie nicht zuletzt der Anschlag auf den Stützpunkt Bagram zu Wochenanfang erkennen lässt, sind Truppenverstärkungen erwünscht. Widrigenfalls muss das ISAF-Korps befürchten, durch die angekündigte Frühjahrsoffensive des afghanischen Widerstands ernsthaft in Bedrängnis zu geraten. Nach Angaben von Mullah Dadullah, dem militärischen Führer der Taliban, will man bereits 6.000 Kämpfer zusammengezogen haben, um gegen die ausländischen Militärverbände und ihre afghanischen Helfer in Gestalt der ANA, der Afghan National Army, vorzugehen. Die Zahl der Mujaheddin könne noch bis auf 10.000 gesteigert werden, verkündet Dadullah. Zudem verfüge man über neue Waffen, die sich bestens dafür eigneten, anfliegende Hubschrauber zu bekämpfen. Die Drohung eines Taliban-Sprechers, der den ausländischen Militäreinheiten prophezeit, 2007 werde ihr bisher "blutigstes Jahr", muss wohl ernst genommen werden.

Eilfertig reagiert Premierminister Tony Blair auf diese Herausforderung, indem er die Verlegung eines erheblichen Teils seiner Streitkräfte aus dem Irak auf den afghanischen Kriegsschauplatz angeordnet hat. Bis zu 1.000 Mann will Bushs zuverlässigster Alliierter in die Provinz Helmand entsenden und dafür rund eine halbe Milliarde Euro verpulvern. Nahtlos in dieses Bild fügt sich der Umstand, dass US-Sicherheitsberater Stephen Hadley im NATO-Rat einen radikalen Strategiewechsel in Afghanistan gefordert hat. Demzufolge sollte die Aufteilung der ISAF-Kräfte in fünf Regionalkommandos aufgegeben werden, um stattdessen sämtliche Militärkontingente dem jeweiligen Oberbefehlshaber in Kabul direkt unterstellen zu können. Denn der benötige unbedingt mehr "Flexibilität, um die Truppen durch das Land zu bewegen - je nachdem, wo sie gebraucht werden und wie sie gebraucht werden". Das sei - so Hadley weiter - "auch eine Frage der Solidarität". Schließlich hat soeben erst der US-amerikanische Vier-Sterne-General Dan McNeill das Oberkommando im Kabuler ISAF-Hauptquartier übernommen.

Angesichts des Feuers unter dem Dach der westlichen Allianz will auch Kanzlerin Angela Merkel den verlangten Solidaritätsbeweis für das mutmaßlich unverzichtbare transatlantische Bündnis nicht schuldig bleiben, indem sie der US-Vormacht Aufklärungsflugzeuge der Bundesluftwaffe avisiert. Anstatt endlich einen irgendwann ohnehin unvermeidlichen Rückzug aus dem militärischen Abenteuer am Hindukusch einzuleiten, verstrickt die Bundesregierung das Land immer tiefer in einen aussichtslosen Kampf, der mehr und mehr zu einem unverhüllten Kolonialkrieg gegen das Selbstbestimmungsrecht und Freiheitsstreben der Paschtunen mutiert. Dass langjährige Landeskenner unisono mit der überwältigenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr vehement ablehnen, vermag die Möchtegern-Strategen am sprichwörtlichen "Grünen Tisch" nicht zu beirren.

Dabei birgt entgegen landläufiger Beschwichtigungsrhetorik gerade die Stationierung der deutschen Recce-Tornados im nordafghanischen Mazar-e-Sharif nicht weit von der Grenze zum Iran unkalkulierbare Risiken. Sollten nämlich - die Anzeichen dafür mehren sich - die Vereinigten Staaten im Verein mit Israel tatsächlich dem verhassten Teheraner Regime nebst dessen nuklearen Ambitionen durch einen wie auch immer gearteten Militärschlag ein abruptes Ende bereiten wollen, so könnte sich Berlin urplötzlich mit der Forderung konfrontiert sehen, die Flugrichtung seiner Aufklärungsflugzeuge von Südost auf West zu ändern: Mitten hinein in den iranischen Luftraum, um beispielsweise mobile iranische Boden-Boden-Raketen großer Reichweite aufzuklären, die als Bedrohung empfunden werden. Wenn dann die Kanzlerin lauthals deklamiert, der Fortbestand der NATO und - horribile dictu - die Existenz des Staates Israel stünden auf dem Spiel und dazu noch, Gerhard Schröders Vorbild vom Dezember 2001 folgend, die Vertrauensfrage stellt - der Bundestag müsste erst noch gewählt werden, der es wagte, sich solch politischer Erpressung zu widersetzen.

* Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen

Aus: Freitag 09, 2. März 2007



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