Schmuggelpfade aus Afghanistan
Moskau fordert Vorrang für Drogenvernichtung
Von Irina Wolkowa, Moskau *
»Afganski durman« ist in Russland das Unwort des Jahres. Das Verb »durmanitj« heißt in etwa:
jemandem die Sinne vernebeln. Nach offiziellen Angaben hingen im März 2009 über 2,5 Millionen
Russen an der Nadel. Der Stoff dazu kommt zu 90 Prozent aus Afghanistan.
Zwischen acht und achtzehn Tonnen Heroin, die aus Afghanistan nach Russland geschmuggelt
werden, stellen die Fahnder jährlich sicher. Die weltweite Praxis zeigt aber laut Viktor Iwanow, Chef
der russischen Drogenbehörde, dass im Durchschnitt lediglich zehn Prozent der Kontrabande
beschlagnahmt werden.
Afghanistan hat das Goldene Dreieck in Südostasien längst überflügelt und produziert heute mehr
Opium als die ganze Welt vor zehn Jahren. Obwohl der Massenanbau von Schlafmohn am
Hindukusch erst vor 20 Jahren begann: 1989, nach dem Abzug der sowjetischen Truppen. Nur drei
Jahre später standen sich die Mudschaheddin, die ihre Zwistigkeiten wegen der sowjetischen
Invasion vorübergehend zurückgestellt hatten, im Bürgerkrieg gegenüber. Den Waffenkauf
finanzierten die Kriegsfürsten vor allem mit Erlösen aus dem Drogenschmuggel. Und die Dekhan -
die afghanischen Bauern, die ums nackte Überleben kämpften - bekamen schnell mit, dass sie ihre
großen Familien mit Erlösen aus dem Anbau von Schlafmohn schneller satt bekommen als durch
den Verkauf von Weizen.
Zunächst landeten Heroin und andere Opiumprodukte vor allem in Westeuropa, dann entdeckten die
Drogenbarone Russland. Denn Afghanistans Grenze zu Iran - anfangs das wichtigste Transitland -
ist selbst in schwierigen Abschnitten inzwischen stark befestigt. Die Grenzen in Zentralasien
dagegen sind kaum mehr als Demarkationslinien. Kuriere brauchten laut Drogenfahnderchef Iwanow
nur ein tadshikisch-russisch-usbekisches Wörterbuch und ein bisschen Glück. Nicht mal einen Pass.
Denn mit Ausnahme Turkmenistans herrscht visafreier Verkehr zwischen Russland und den
zentralasiatischen Republiken.
Vor allem über die so genannte Nordroute kommen die Opiate daher nach Russland. Ermittler
kennen die Etappen des Weges und der Wertschöpfungskette inzwischen ziemlich genau.
Demzufolge kommt das meiste Opium aus der Südprovinz Helmand. Dort hatte die Zentralregierung
in Kabul schon in den relativ stabilen Zeiten der Monarchie wenig zu sagen. Helmand ist auch für die
NATO ein gefährlicher Standort. Von dort, wo Aufkäufer den Bauern die gesamte Opiumernte für
durchschnittlich 200 Dollar abnehmen, geht das Rohopium in den Norden. Nach Badachschan, dem
zweitgrößten Anbaugebiet, wo es bereits um die 1500 Dollar kostet und auch zu Heroin veredelt
wird.
In Tadshikistan kostet das Kilo daher das Doppelte und in Tscheljabinsk, der ersten russischen
Großstadt nördlich der Grenze zu Kasachstan, schon 10 000 Dollar. In Moskau wiederum
mindestens das Doppelte. Dort gelangt es zu den Endverbrauchern, daher sind hier Preise in
Gramm üblich: 50 Dollar. Der Gesamtwert des über die Nordroute illegal eingeführten Heroins,
sagen russische Fahnder, belaufe sich auf 17 Milliarden Dollar im Jahr.
Moskau kreidet der NATO vor allem an, dass sie zu zaghaft und mit untauglichen Mitteln gegen
Drogenanbau und Schmuggel vorgeht. Die Vernichtung der Saaten, so Drogenfahnder Iwanow,
spiele sich »im mikroskopischen Bereich« ab. 3000 Hektar jährlich. In Kolumbien dagegen würden
im gleichen Zeitraum 230 000 Hektar mit Kokapflanzen vernichtet - mit Tätiger Hilfe der USA. Deren
Zurückhaltung in Afghanistan kann Moskau daher nicht verstehen. Sie ist denn auch einer der
Gründe dafür, dass eine engere Kooperation zwischen Moskau und dem Westen in Afghanistan
bisher nicht zustande kam. Denn für den Westen hat die Terrorismusbekämpfung Vorrang.
Drogen, hält Fahnderchef Iwanow dagegen, hätten für die Menschheit das gleiche
Bedrohungspotenzial. Die UNO müsse das Mandat für die Antiterror-Operation auch auf die
Bekämpfung von Drogenanbau und Schmuggel ausweiten Von über einer Milliarde Euro, die die EU
jährlich nach Afghanistan pumpt, würde weniger als ein Drittel reichen, um das Problem in den Griff
zu bekommen. Die Taliban hätten, obwohl technisch viel primitiver ausgestattet als die Antiterror-
Koalition, die Dealer einst in weniger als einem Jahr zumindest in den Untergrund gedrängt.
Doch im Herbst 2001 begann die Operation »Enduring Freedom«. Von der, so russische Medien,
profitiere vorerst nur die Drogenmafia.
* Aus: Neues Deutschland, 30. Januar 2010
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