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"Soldaten müssen Sicherheit schaffen"

Deutscher Afghanistan-Kommandeur fordert mehr Truppen / Pax Christi: Einsatz gescheitert

Der Kommandeur der internationalen Truppen im Norden Afghanistans, Frank Leidenberger, hat sich für mehr ausländische Soldaten in dem Land am Hindukusch ausgesprochen.

»Der deutsche Ansatz, hier langfristig für Perspektiven zu sorgen, ist entscheidend.« General Leidenberger zu den bisherigen Ergebnissen des zivilen Wiederaufbaus in Afghanistan.

Es zähle jeder Soldat, der in Afghanistan für mehr Sicherheit sorgen könne, sagte Leidenberger im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur in Masar-i-Scharif. Je mehr Sicherheit es gebe, desto schneller könne ein Abzug der internationalen Truppen anvisiert werden. Dem Brigadegeneral unterstehen die ISAF-Soldaten im sogenannten Regionalkommando Nord. Zudem führt er das deutsche Einsatzkontingent mit den Bundeswehrsoldaten in Masar-i-Scharif, Kundus und Faisabad.

Beachten Sie auch die Meldungen vom 18. bis 21. Januar in unserer tagesaktuellen Afghanistan-Chronik



»Die Annahme, man könnte durch Entwicklung des Landes Sicherheit produzieren, funktioniert nicht«, erklärte der deutsche Kommandeur. »Sie werden Entwicklung erst dann erreichen, wenn Sie Sicherheit haben. Sicherheit müssen die Soldaten erst schaffen. Und je mehr Soldaten ich habe und je mehr afghanische Streitkräfte aufgebaut sind, desto schneller können wir auch in der Lage sein, hier abzuziehen.« Auf eine konkrete Zahl zusätzlich notwendiger Bundeswehrsoldaten wollte sich der General nicht festlegen. »Das ist ein komplexer Beurteilungsprozess. Da spielen noch viele andere Faktoren eine Rolle außer meine rein militärische Beurteilung.«

Unterdessen fordert der deutsche Zweig der katholischen Friedensorganisation Pax Christi einen Kurswechsel in der Afghanistanpolitik. »Gerade wer den deutschen Soldaten und Soldatinnen in Afghanistan den Rücken stärken will, muss den Mut zur Wahrheit haben und das Scheitern des bisherigen Afghanistan-Einsatzes offen benennen«, argumentiert Bischof Heinz Josef Algermissen als Pax-Christi-Präsident in einer am Dienstag verbreiteten Erklärung. Massiver Widerstand gegen die internationalen Truppen im Norden des Landes sei nicht mit militärischen Mitteln zu überwinden. »Der Frieden für Afghanistan muss von innen wachsen«, so der Prälat. Der Fuldaer Bischof sprach sich zugleich für eine stärkere Förderung ziviler Projekte aus. Konkret fordert Pax Christi, nach der Afghanistan-Konferenz Ende Januar mit dem schrittweisen Abzug der Bundeswehr zu beginnen. Wenn die Bundesregierung den zivilen Aufbau fördern und den Terror effektiv bekämpfen wolle, müsse sie mit der »Exit-Strategie« ernst machen, heißt es zur Begründung. Ein Festhalten an der militärischen Präsenz oder gar die Aufstockung des Kontingents wäre fatal: »Eine konsequente Politik der Stärkung der Zivilgesellschaft und der staatlichen Strukturen wird durch einen Abzug des Militärs nicht geschwächt, sondern gewinnt dadurch erst an Glaubwürdigkeit.«

Auch der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok hat ein Überdenken der Strategie am Hindukusch gefordert. Der militärische Konflikt in Afghanistan sei »nicht zu gewinnen«, sagte Brok der in Hannover erscheinenden »Neuen Presse«. Die Taliban beherrschten »fast 80 Prozent des Landes« und der NATO-Truppe sei es nicht möglich, »militärische Sicherheit herzustellen«. Zudem fehle es an einer gemeinsamen europäischen Position zum Einsatz in Afghanistan, erklärte Brok. Nur auf der Grundlage einer gemeinsamen Strategie sei es jedoch möglich, mit den USA über das weitere Vorgehen in Afghanistan zu handeln.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Januar 2010

Weitere Meldungen

US-General fordert höhere Risikobereitschaft von Bundeswehr

Der amerikanische ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal hat die Bundeswehr zu höherer Risikobereitschaft in Afghanistan aufgefordert. Darüber hinaus verlangte der Vier-Sterne-General von den ISAF-Mitgliedern eine Aufstockung der Truppen.

Derweil sprach sich SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier dafür aus, den Bundeswehr-Einsatz zwischen den Jahren 2013 und 2015 zu beenden. «Wir müssen jetzt die einigermaßen beruhigten Distrikte vollständig an Afghanen übergeben», sagte der ehemalige Außenminister der Wochenzeitung «Die Zeit».

McChrystal sagte der «Bild»-Zeitung, er werde alle Mitglieder des ISAF-Schutztruppe auffordern, «weitere Ausbilder zu stellen, um die afghanischen Sicherheitskräfte zu trainieren». In Hinblick auf die Afghanistan-Konferenz in London am 28. Januar sollten sich alle Länder überlegen, «was sie leisten können, um genug Soldaten für die Ausbildung der Afghanen bereitzustellen». Er unterstrich die strategische Bedeutung von Nord-Afghanistan und forderte die Deutschen auf, mehr Risiken einzugehen. Die Taliban hätten die dortigen Zustände gezielt genutzt, «um sich auszubreiten. Sie wollen den Eindruck vermitteln, dass ihre Bewegung im ganzen Land aktiv sein kann». Wie alle Truppen in ganz Afghanistan müssten auch die deutschen Truppen mit den höheren Risiken seiner neuen Strategie leben. «Vielleicht müssen sie sogar die Art und Weise ändern, wie sie bisher vorgegangen sind.»
Er bekräftigte, dass er plane, amerikanische Truppen in den Norden des Landes zu schicken. Die US-Soldaten sollten aber dem dortigen deutschen Regionalkommandeur unterstellt werden.

Guttenberg sah McChrystals Äußerungen positiv. «Er hat die Realitäten benannt», sagte der CSU-Politiker. Die deutschen Soldaten seien täglich großen Risiken ausgesetzt. Zu Steinmeiers Forderung, bis 2015 den Einsatz zu beenden, sagte er: «Ich halte nichts von einem Enddatum.» Dies würde nur in die Hände jener spielen, die in Afghanistan wieder das Licht ausknipsen wollten.

Der Sprecher des Auswärtigen Amts, Andreas Peschke, sagte, Außenminister Guido Westerwelle habe bereits deutlich gemacht, mehr beispielsweise für die Ausbildung der Polizei tun zu wollen. Damit befinde man sich in breiter Übereinstimmung mit den Verbündeten.

Regierungssprecher Ulrich Wilhelm kündigte an, der afghanische Präsident Hamid Karsai werde auf seinem Weg zur Londoner Afghanistan-Konferenz am 26. und 27. Januar Berlin besuchen. Karsai werde nicht nur mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammentreffen, sondern auch mit Vertretern des Bundestags.

Der stellvertretende Vorsitzende der Linken, Jan van Aken, kritisierte McChrystal: «Natürlich will ein General mehr Truppen, mehr Waffen und grenzenlose Einsatzbefugnis. Aber es ist völlig inakzeptabel, dass McChrystal jetzt den Deutschen vorschreiben will, noch mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken und noch mehr Leben zu riskieren.»

AP, 20. Januar 2010


Guttenberg will Ausbildung und Sicherheit in Afghanistan verknüpfen

Eine Woche vor der Afghanistan-Konferenz in London hat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eine engere Verknüpfung der Schutz- und Ausbildungsaufgaben der Bundeswehr gefordert. Die Aufgaben der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte und die Schutzfunktion seien "untrennbar verbunden", sagte Guttenberg am 20. Jan. bei der Debatte über den Verteidigungshaushalt im Bundestag. Dies könne «ab und an ein höheres Risiko mit sich bringen». Die Neuerung sei allerdings noch nicht "überall durchgedrungen, und es ist wichtig, dass wir darüber offen diskutieren".

AFP, 20. Januar 2010


Afghanistan will bis zu 400.000 Sicherheitskräfte

Mit einer Personalaufstockung auf 400.000 Mann will Afghanistan die Sicherheitslage deutlich verbessern. Diese Verdoppelung der aktuellen Anzahl ist über die kommenden fünf Jahre hinweg geplant, wenn dies erforderlich sein sollte, wie die Regierung in Kabul und ihre internationalen Partner am 20. Januar vereinbarten.

Binnen zwei Jahren ist in jedem Fall eine Verstärkung auf 300.000 Mann vorgesehen. Nach UN-Angaben soll der Plan der Londoner Afghanistan-Konferenz am 28. Januar zur Beschlussfassung vorgelegt werden.

Demnach sollen mehr als 100.000 zusätzliche Sicherheitskräfte bis Ende kommenden Jahres von den internationalen Partnern Afghanistans ausgebildet werden. Die derzeitige Truppenstärke soll bis dahin von derzeit 97.000 auf 171.600 Soldaten erhöht werden, und statt der bislang 94.000 Polizisten soll es dann 134.000 geben. Danach könnte eine Aufstockung um weitere 100.000 Sicherheitskräfte auf insgesamt 400.000 erfolgen, was der afghanische Verteidigungsminister Rahim Wardak als «notwendiges Minimum» bezeichnete.

AP, 20. Januar 2010




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