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Geheime Feldpost aus Afghanistan: Zum in die Luft Gehen!

Nicht kriegsfähig – Militärs klagen seit Jahren über den Zustand der Ausrüstungen, doch das Thema ist wahlkampfuntauglich

Von René Heilig *

Es gibt – nicht nur, weil Afghanistan zum Wahlkampfthema wurde – zahlreiche und triftige Gründe, weshalb die Bundeswehr sich aus dem Afghanistan-Krieg zurückziehen sollte. Selbst wer den Einsatz am Hindukusch begrüßt, muss inzwischen eingestehen, dass die Truppe – auch aus eigener Unzulänglichkeit heraus – nicht Krieg führen kann.

Oberst Georg Klein – das ist jener Befehlshaber des PRT in Kundus, der Jagdbomber der US-Air-Force rief, um zwei bewegungsunfähige Tanklaster zu bombardieren und bei der Gelegenheit ein paar Taliban-Kämpfer samt zahlreicher Zivilisten umbringen ließ – ist unfreiwillig zum Vorreiter für einen möglichst raschen deutschen Abzug aus Afghanistan geworden. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die deutschen Soldaten keine Entwicklungshelfer im Bundeswehr-Fleckentarn sind – Klein hat ihn geliefert.

Kameraden von Klein können seine Handlung – wenn auch nicht verstehen – so doch nachvollziehen. Wer mangels eigener Fähigkeit US-Luftunterstützung anfordert, kann die über dem anvisierten Ziel kreisenden Jagdbomber, nicht einfach wieder abdrehen lassen. Die grausame Eskalation liege so in der Logik des Geschehens, sagen Offizierskameraden. Alles oder nichts – ein bisschen Krieg führen geht eben nicht.

Beachten Sie auch die Meldungen vom 20. bis 22. September in unserer tagesaktuellen Afghanistan-Chronik



Die Bundesregierung hat – »entwicklungshelfend, wie sie sich gern darstellt – bewusst darauf verzichtet, eigene Bomber nach Afghanistan zu schicken. Man versuchte, sich gegenüber den Verbündeten mit Tornado-Aufklärern herauszureden. Über deren Einsätze keiner mehr spricht, weil sie keiner braucht. Doch je härter die Gefechte zwischen der Bundeswehr und Aufständischen werden, umso dringender wird die Fähigkeit der raschen und wirkungsvollen Luftnahunterstützung. Andere, auch kleinere NATO-Staaten haben Jets vor Ort – die Bundeswehr nicht einmal Hubschrauber. Während die französischen Verbündeten unlängst Tiger-Kampfhubschrauber – eine deutsch-französische Gemeinschaftsentwicklung – nach Afghanistan verlegten, müssen vergleichbare deutsche Helikopter daheim bleiben. Sie sind nicht »combat ready«. Also nicht kampftauglich, weil deutscher Größenwahn Ausrüstungen vom Hersteller EADS fordert, die einfach nicht funktionieren.

Doch nicht nur in der Luft bewegt sich nichts. Auch auf dem Boden häufen sich Ausfälle. Auch weil sich die Regierung vor den Wahlen nicht erwischen lassen will, schwere Waffen nach Afghanistan zu schicken. Anweisung an das Jung-Ministerium: Nichts riskieren, was den Krieg wie einen Krieg ausschauen lässt!

Entsprechend verzweifelt sind die Berichte aus Afghanistan. Gerade hat Brigadegeneral Jörg Vollmer den geheimen »19. Erfahrungsbericht Einsatz« an seine Berliner Chefs geschickt, in dem er in gewohnter Routine »Einzelerkenntnisse und Feststellungen« vermerkt. Im Vergleich zum 18. Bericht ist der aktuelle, der den Zeitraum vom 15. März bis zum 14. Juli umreißt, 18 Seiten kürzer und um 55 Punkte kürzer gehalten. Doch in der Sache werden gewohnte Klagen nur noch schärfer formuliert. Und das alles vor dem Hintergrund einer »signifikanten Zunahme der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle im Distrikt Ghowrmach sowie in der Provinz Kunduz«.

Viele Mängel werden bereits seit dem 15. Bericht, der schon vor zwei Jahren verfasst wurde, aufgelistet, ohne das sich etwas geändert hat. Unter anderem mangelt es an geschützten Fahrzeugen, doch nur mit denen dürfen sich deutsche Krieger aus ihren Festungen bewegen. Allein zwischen Januar und Juli fielen 38 Fahrzeuge aus – keines davon wurde ersetzt. Der Schrott wird ausgeschlachtet, damit andere Panzer fahren können.

Besonders absurd: Zwar hat die Gefahr durch Sprengfallen zugenommen, doch jene Bundeswehr-Spezialisten, die sie entdecken und unschädlich machen können, haben nicht genug gepanzerte Fahrzeuge, um ihren Job zu tun. Ganz am Boden scheint die HUMINT (Human Intelligence) zu liegen, also die Aufklärung durch menschliche Kontakte.

Neben gewichtigen politischen Gründen, die einen Abzug aus Afghanistan geraten erscheinen lassen, und neben der Angst vor Terroranschlägen vor Ort wie in Deutschland gibt es also sehr militärisch-materielle Gründe, um aus dem Krieg, der weder zu mehr Demokratie noch zum Frieden führt, auszusteigen.

* Aus: Neues Deutschland, 22. September 2009


US-General verlangt noch mehr Soldaten

ISAF-Kommandeur McChrystal fürchtet Scheitern des Westens in Afghanistan **

Der US-Oberkommandierende in Afghanistan hat vor einer Niederlage im Kampf gegen die Taliban gewarnt, wenn die Truppen nicht aufgestockt werden. Die afghanische Regierung unterzog er scharfer Kritik.

Der oberste NATO-Kommandeur in Afghanistan, US-General Stanley McChrystal, sieht den Einsatz am Hindukusch vom Scheitern bedroht. Zur Umsetzung der neuen ISAF-Strategie der Aufstandsbekämpfung seien mehr Soldaten nötig, heißt es in einer am Montag (21. Sept.) von der »Washington Post« und der »New York Times« in Teilen veröffentlichten Lageeinschätzung McChrystals für US-Verteidigungsminister Robert Gates.

Sollte in den nächsten zwölf Monaten keine Trendumkehr erreicht werden, riskiere man »ein Ergebnis, bei dem ein Sieg über den Aufstand nicht länger möglich ist«, warnt der Kommandeur der Internationalen Schutztruppe ISAF und der US-Truppen in Afghanistan. »Unzureichende Kräfte werden vermutlich zu einem Scheitern führen.« Für McChrystal ist dies »eine wichtige – und vermutlich entscheidende – Phase dieses Krieges«.

McChrystal kritisiert die afghanische Regierung scharf. Weit verbreitete Korruption, Machtmissbrauch durch Regierungsvertreter, aber auch Fehler der ISAF hätten den Afghanen wenig Grund gegeben, ihre Regierung zu unterstützen. Die ISAF-Truppen müssten verstärkt werden, da die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) noch nicht in der Lage seien, den Kampf anzuführen. »Der Status quo wird zu einer Niederlage führen, wenn wir darauf warten, dass die ANSF wachsen.« McChrystal spricht sich für einen schnelleren und mit insgesamt 400 000 Soldaten und Polizisten deutlich stärkeren Aufbau der ANSF aus, als bisher geplant. Zur ISAF meint der Kommandeur, sie beschäftige sich zu sehr mit dem Schutz der eigenen Soldaten.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour forderte, die Bundesregierung solle »jetzt sofort die Karten auf den Tisch legen und offen sagen, wie die weitere deutsche Beteiligung an der ISAF-Mission aussehen soll«. Kanzlerin Angela Merkel kündigte erneut an, Deutschland werde künftig die Ausbildung von Polizisten und Soldaten stärker vorantreiben. Ziel sei, die Verantwortung der afghanischen Sicherheitsbehörden zu stärken, sagte sie dem Radiosender NDR-Info. »Wichtig ist, dass wir das Ziel erreichen. Wir können nicht (...) kopflos aus Afghanistan abziehen und anschließend Unsicherheit dort hinterlassen.«

Zu der von Betrugsvorwürfen überschatteten Präsidentschaftswahl in Afghanistan sagte Merkel: »Wir müssen davon ausgehen, dass es in bestimmten Teilen Unregelmäßigkeiten gegeben hat. Ich vertraue da voll auf die Bewertung dieser internationalen Wahlbeobachter.«

** Aus: Neues Deutschland, 22. September 2009


CIA an die Front

Von René Heilig ***

Die 16 US-Geheimdienste bekommen pro Jahr rund 75 Milliarden Dollar Steuergeld. Dafür sollten die rund 200 000 Mitarbeiter schon in der Lage sein, einige heiße Kartoffeln aus dem Feuer zu holen – und zwar bevor Politiker sich daran die Finger verbrennen. Daher bekommen derzeit immer mehr Angehörige von CIA, DIA und NSA Marschbefehle nach Afghanistan. Gemeinsam mit zusätzlichen Soldaten und besonders einigen Special-Forces-Einheiten sollen sie die Taliban so schwächen, dass eine politische Lösung möglich wird. Eine, die der US-Administration einen Gesichts- und manchem Konzern einen Kapitalverlust erspart.

Wichtig ist, dass die Agenten – über 700 der CIA sind angeblich schon im Land – ihren Job möglichst geräuschlos machen. Denn Obama spürt, dass sich das Zeitfenster für einen »Erfolg« langsam schließt. Nicht mehr lange wird der Präsident seinem Volk klar machen können, dass er den ererbten Krieg am Hindukusch fortführen muss, um den weltweiten Terrorismus zu schwächen. Im Gegensatz zu Obama haben die Taliban Zeit, offenbar genügend Geld und immer mehr Menschen auf ihrer Seite.

Für die US-Dienste ist das Terrain nicht unbekannt. Mal engagierten sie sich gegen die Sowjets, mal rüsteten sie Pakistan auf, dann wieder kümmerten sie sich um den Opiumvertrieb und kauften nebenbei einen Präsidenten. Nun jedoch scheint mehr Kreativität gefragt. Fragt sich, wie viel Freiraum Obama seinen Rettern lässt und wie blutig die vorgehen.

*** Aus: Neues Deutschland, 22. September 2009 (Kommentar)


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