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Kriegsparteien treffen sich

Berichte über Verhandlungen zwischen afghanischer Regierung und Taliban / US-Luftschläge und Angriff auf NATO-Nachschub

Die Taliban in Afghanistan sollen geheime Friedensgespräche mit der Regierung aufgenommen haben. Erstmals seien auch Vertreter der Quetta Shura, der von Pakistan aus agierenden Talibanbewegung von Mullah Mohammed Omar, beteiligt, heißt es. Bombardiert und getötet wurde am Mittwoch trotzdem.

Vertreter der afghanischen Regierung und der Taliban haben nach einem Bericht der »Washington Post« Geheimverhandlungen begonnen. Es handele sich um hochrangige Gespräche mit dem Ziel, den Krieg auf dem Verhandlungswege zu beenden, berichtete das Blatt unter Berufung auf afghanische und arabische Quellen. Genau vor neun Jahren, am 7. Oktober 2001, hatten die US-Truppen und ihre Alliierten mit der Invasion begonnen.

Im Gegensatz zu früheren Kontakten soll es sich diesmal um einen ernsthaften Anlauf handeln. Sogar der Taliban-Führungsrat der Quetta Shura um Taliban-Chef Mullah Omar habe seinen Segen gegeben. Zwar betonen die anonymen Quellen der »Washington Post« den vorbereitenden Charakter der Gespräche. Dennoch gehe es um ein »umfassendes Abkommen« - einschließlich der Beteiligung von Taliban an der Regierung plus Abzug der US- und NATO-Truppen. Einige Quellen sprechen von einem möglichen Asyl für Mullah Omar in Saudi-Arabien - samt »Schutz und Behandlung wie ein ehemaliger Staatsmann«.

Afghanistans Präsident Hamid Karsai setzt seit längerem auf Gespräche mit den Aufständischen. Im Juni hatten hunderte Delegierte einer »Friedens-Dschirga« die Regierung zu Verhandlungen aufgerufen. Karsai erklärte, auch mit Mullah Omar zu sprechen. Vor einem Jahr gab es erste Kontakte mit den Taliban in Saudi-Arabien.

Zudem setzt Kabul auf ein Aussteigerprogramm für Taliban. Bis 2015 wolle man 36 000 Aufständische in die Gesellschaft reintegrieren - die westlichen Staaten wollen dafür fast 600 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Trotz massiver Aufstockung der US-Truppen waren substanzielle militärische Erfolge zuletzt ausgeblieben.

Kontakte zwischen Kabul und Taliban werden deshalb von Medien als Bestandteil von Präsident Barack Obamas Exit-Strategie bewertet. Laut Umfragen werden die Amerikaner immer kriegsmüder - andere Verbündete wie die Deutschen sind es längst. Nicht zuletzt: 2012 stehen in den USA Präsidentenwahlen an - ein hässlicher Krieg macht sich da nicht gut.

Bei Luftangriffen wurden unterdessen zwei ranghohe Anführer der Taliban getötet. Nachdem Geheimdienstler den »Taliban-Schattengouverneur« der Nordwest-Provinz Farjab, Kari Siauddin, aufgespürt hätten, sei dieser am Dienstag (5. Okt.) bei einem Luftangriff getötet worden, teilte die NATO-Truppe ISAF mit. Auch die Angriffsserie auf Nachschubtransporte für die NATO-Truppen in Afghanistan riss nicht ab. Taliban zündeten am Mittwoch (6. Okt.) im Südwesten Pakistans einen mit Treibstoff beladenen Konvoi an. Mindestens 18 Fahrzeuge seien in Flammen aufgegangen. Daraufhin töteten US-Truppen bei einem Luftangriff im Nordwesten Pakistans fünf mutmaßliche Aufständische.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Oktober 2010


Chance in Kabul

Von Olaf Standke **

Die Geheimgespräche sind nicht mehr geheim. Kabuler Regierungsvertreter und Abgesandte der Shura von Quetta und damit des obersten Kopfs der Taliban, Mullah Mohammed Omar, sollen erstmals gemeinsam am Verhandlungstisch gesessen haben. Das wäre eine neue Qualität, seit Präsident Hamid Karsai Anfang des Jahres die Gotteskrieger zum Dialog aufgerufen hat. In der Vorwoche gab seine Regierung die Zusammensetzung eines Friedensrates bekannt, der künftig direkte Gespräche mit den Taliban aufnehmen soll, die sich jetzt angeblich vom Terrornetzwerk Al Qaida losgesagt haben. Wochenendabo

Sollte das Ziel dieser Verhandlungen eine Friedensvereinbarung samt Abzug der NATO-geführten internationalen Truppen sein, böte sich tatsächlich eine realistische Chance, den neunjährigen Krieg endlich zu beenden. Denn auch die jüngste »Großoffensive« der ISAF zeigt, dass man letztlich nicht in der Lage ist, die Taliban flächendeckend zurückzudrängen. Wobei eine umfassende politische Lösung auch die regional so mächtigen Warlords einbinden und die afghanische Zivilgesellschaft beteiligen müsste. Allen Seiten sollte inzwischen klar sein: Militärisch ist dieser Guerillakrieg nicht mehr zu gewinnen. Doch noch stehen die Verhandlungen ganz am Anfang, und es wäre schon sehr hilfreich, wenn die NATO nicht länger gesprächsbereite Führungskräfte der Taliban liquidieren würde. Und im nächsten Schritt so schnell wie möglich abzieht.

** Aus: Neues Deutschland, 7. Oktober 2010 (Kommentar)


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