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Gezieltes Töten ganz "nüchtern" betrachtet

Bundeswehr-General spricht Klartext über Aufgaben des KSK – Politik macht weiter Sommerpause

Von René Heilig *

In den vergangenen Jahren sind die deutschen Spezialkräfte in Afghanistan verstärkt worden, »um Talibannetzwerke effektiv ausschalten zu können«. Der deutsche General und ISAF-Sprecher Blotz bestätigte indirekt ein Verfahren, das man »gezielte Tötungen« nennt. Die aber sind laut Verteidigungsministerium »definitiv ausgeschlossen«.

Jeder, der sich mit dem Krieg in Afghanistan nur ein wenig auskennt, weiß, dass es wahr ist: Deutsche Spezialeinheiten bringen – zumeist im Verbund mit Verbündeten – zielgerichtet Taliban und andere Aufständische um. Die Beteiligung an gezielten Tötungen und die Zuarbeit zu »Joint Priority Effects Lists«, sogenannten Todeslisten, sind bisher immer dementiert worden. Das Verteidigungsministerium hat sogar behauptet, dass so etwas dem Kommando Spezialkräfte (KSK) verboten ist.

Nun aber hat Brigadegeneral Josef Dieter Blotz im »Tagesspiegel«-Interview dafür plädiert, das »etwas reißerisch dargestellte Thema nüchterner (zu) betrachten« und er redete (fast) Klartext. »Es ist völlig klar und völlig verständlich, dass Extremisten, deren Hauptbeschäftigung darin besteht, unsere Soldaten zu erschießen und in die Luft zu sprengen, verfolgt und bekämpft werden müssen. Wenn man über Informationen verfügt, wo solche Extremisten zu finden sind, muss versucht werden, diese auszuschalten ...«

Das, so sagt der General, der auch schon Chef des deutschen ISAF-Kontingents war und Mitglied in der Gemeinschaft katholischer Soldaten ist, sei »im Wesentlichen die Aufgabe von Kräften, die speziell dafür ausgebildet, ausgerüstet und trainiert sind«. Man habe sie in den vergangenen Jahren dafür extra verstärkt. Dass bei 80 Prozent »unserer Spezialkräfteeinsätze kein Schuss fällt«, besagt angesichts der Ausbildung dieser Truppen gar nichts.

Für Blotz aber zeigt es, »wie gut es gelingt, Extremistenführer aus dem Verkehr zu ziehen und diese dann zu verhören. Über den Verbleib der Gefangenen sagt er nichts. Nach deutschem Rechtsverständnis ist es unmöglich, Menschen an Folterregimes auszuliefern. Dass afghanische und US-Behörden foltern, steht fest.

Auch außerhalb der ISAF-Strukturen sei die Zusammenarbeit mit US-Kräften, die direkt dem Pentagon unterstehen und die – wie selbstverständlich – im deutschen Verantwortungsbereich operieren, gut. Was heißt, dass auch die Bundeswehr über die Vorhaben der US-Greifertrupps informiert ist.

Die FDP hatte bereits Wochen vor Erscheinen des Interviews gefordert, den General abzulösen. Grund: Blotz hatte den Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus (FDP) kritisiert, weil der die Ausrüstung der Bundeswehr in Afghanistan ein »Drama« genannt hatte.

Die von Blotz nun dargestellte Einsatzpraxis der Spezialkräfte wurde gestern nur von der LINKEN kritisiert. Die forderte abermals den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Die übrige Politik befindet sich weiter in der Sommerpause – auch während Deutschland Krieg führt.

* Aus: Neues Deutschland, 18. August 2010


Dokumentiert:

Auszug aus dem Tagesspiegel-Interview mit Brigadegeneral Josef Dieter Blotz **

Frage: In Deutschland gibt es gerade eine Debatte über gezielte Tötungen im Gefolge von US-Spezialeinheiten. Können Sie ausschließen, dass an solchen Tötungsaktionen deutsche Soldaten teilnehmen?

Gezielte Tötungen durch Spezialkräfte der Bundeswehr hat das Verteidigungsministerium definitiv ausgeschlossen. Das Kommando Spezialkräfte, KSK, der Bundeswehr ist jedoch auch dafür eingesetzt worden, Netzwerke von Extremisten auszuschalten. Abgesehen davon sollte man dieses etwas reißerisch dargestellte Thema nüchterner betrachten. Es ist völlig klar und völlig verständlich, dass Extremisten, deren Hauptbeschäftigung darin besteht, unsere Soldaten zu erschießen und in die Luft zu sprengen, verfolgt und bekämpft werden müssen. Wenn man über Informationen verfügt, wo solche Extremisten zu finden sind, muss versucht werden, diese auszuschalten noch bevor sie unsere Soldaten angreifen können. Genau darum geht es. Das ist im Wesentlichen die Aufgabe von Kräften, die speziell dafür ausgebildet, ausgerüstet und trainiert sind. Die Spezialkräftekapazität ist in Afghanistan in den letzten anderthalb Jahren ganz erheblich erhöht worden. Das ist absolut notwendig. Wir brauchen genau diese Spezialkräfte, um Talibannetzwerke effektiv ausschalten zu können. Es dürfte Ihre Leser auch interessieren, dass bei 80 Prozent unserer Spezialkräfteeinsätze kein einziger Schuss fällt. Und das gibt eine gute Vorstellung davon, wie gut es gelingt, Extremistenführer aus dem Verkehr zu ziehen und diese dann zu verhören.

** Das ganze Interview (Tagesspiegel, 16. August 2010) ist auf der Website des Bundesverteidigungsministeriums veröffentlicht; www.bmvg.de



Deutsche auf Partisanenjagd

Bundeswehr an gezielten Tötungen in Afghanistan beteiligt. Linke spricht von »Kriegslüge«

Von Rüdiger Göbel ***


Die Bundeswehr ist an gezielten Mordkommandos in Afghanistan beteiligt. Auch Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) machen nach Angaben der NATO gezielt Jagd auf Taliban, um sie »auszuschalten«, also umzubringen. Das sagte der deutsche Brigadegeneral Josef Dieter Blotz, Sprecher der NATO-Truppen in Afghanistan, dem Tagesspiegel (Dienstagsausgabe) in Kabul: »Gezielte Tötungen durch Spezialkräfte der Bundeswehr hat das Verteidigungsministerium definitiv ausgeschlossen. Das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr ist jedoch auch dafür eingesetzt worden, Netzwerke von Extremisten auszuschalten«, erklärt Blotz in der Sprache des Militärs. Es sei »völlig klar und verständlich, daß Extremisten, deren Hauptbeschäftigung darin besteht, unsere Soldaten zu erschießen und in die Luft zu sprengen, verfolgt und bekämpft werden« müßten. Und weiter: »Wenn man über Informationen verfügt, wo solche Extremisten zu finden sind, muß versucht werden, diese auszuschalten, noch bevor sie unsere Soldaten angreifen können. Genau darum geht es. Das ist im wesentlichen die Aufgabe von Kräften, die speziell dafür ausgebildet, ausgerüstet und trainiert sind«, so Blotz.

Die Beteiligung der Bundeswehr an gezielten Tötungen von Aufständischen und die Zuarbeit zu »Joint Priority Effects Lists«, sogenannten Todeslisten, sind bisher immer dementiert worden. Die Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der Partei Die Linke, spricht angesichts der Blotz-Ausführungen daher auch von einer »weiteren Kriegslüge« Das KSK sei seit 2001 am Krieg in Afghanistan beteiligt. Selbst Abgeordnete des Bundestages würden über ihre Einsätze aber nicht informiert. »Die Operationen der Spezialkräfte sind nicht wegzudenkender Teil des Krieges in Afghanistan, dessen Ziel die Aufstandsbekämpfung ist«, so Buchholz. »Deshalb muß die Bundeswehr unverzüglich abgezogen werden.«

*** Aus: junge Welt, 18. August 2010


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