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Trauerfeier im ISAF-Hauptquartier

Generalinspekteur warnt vor Debatte zum Krieg

Während in Afghanistan am Sonntag (18. April) eine Trauerfeier für die vier getöteten Bundeswehrsoldaten stattfand, wird in Deutschland der Ruf nach einem schnellen Abzug der deutschen Truppen lauter.

Bei der Trauerfeier im ISAF-Hauptquartier in Masar-i-Scharif haben 1500 Soldaten aus 19 Ländern den vier getöteten Bundeswehrsoldaten »die letzte Ehre« erwiesen. »Von ihnen nehmen wir nun Abschied als wäre es ein Stück von uns«, sagte Bundeswehrgeneralinspekteur Volker Wieker. Er warnte vor einer Debatte in Deutschland über den Sinn und die Dauer des Afghanistan-Einsatzes. Die Taliban betrachteten es als »strategisches Spiel«, den Rückhalt der Bundeswehrsoldaten in der Heimat und die politische Entschlossenheit von Regierung und Parlament zu beeinträchtigen. Am Donnerstag waren bei Kämpfen in der nordafghanischen Provinz Baghlan vier Bundeswehrsoldaten durch Aufständische getötet worden.

Angesichts der jüngsten Kämpfe gibt es jetzt auch aus der SPD Forderungen nach einem schnellen Rückzug. »Aus meiner Sicht sollten wir aus Afghanistan so schnell wie möglich raus«, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering dem Sender NDR Info. »Ich möchte mich nicht daran gewöhnen, ich möchte nicht, dass wir Deutsche uns daran gewöhnen müssen, Nachrichten von im Kriege gefallenen Soldaten zu hören«, sagte Sellering. »Ich möchte diesen Krieg nicht, und ich nehme wahr, dass die Mehrheit der Deutschen ihn auch nicht will«, fügte er hinzu. »Wir müssen so schnell wie möglich raus«, sagte auch Schleswig-Holsteins SPD-Landeschef Ralf Stegner. Allerdings wäre ein sofortiger Rückzug »unverantwortlich«.

Das Vorstandsmitglied der LINKEN, Christine Buchholz, begrüßte den Vorstoß Sellerings. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast forderte im »Tagesspiegel« eine Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Lage in Afghanistan. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sowie Politiker der CDU warnten vor überstürzten Konsequenzen aus der aktuellen Entwicklung. »Trotz dieses abscheulichen Anschlages müssen wir besonnen und verantwortlich reagieren«, sagte Steinmeier. Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) betonte, trotz entsprechender Forderungen aus der Bevölkerung »kann ich einen kopflosen Abzug aus Afghanistan nicht gutheißen«.

Weitere Verluste bei ISAF

Unterdessen wurden in Afghanistan erneut Angehörige der Internationalen Schutztruppe ISAF getötet. Wie das Verteidigungsministerium in Den Haag mitteilte, starben am Sonnabend zwei Soldaten aus den Niederlanden, als deren Fahrzeug in der südlichen Provinz Urusgan mit einem Sprengsatz angegriffen wurde. Ein dritter ausländischer Soldat kam im Süden des Landes ums Leben.

* Aus: Neues Deutschland, 19. April 2010


Erklärung des "Darmstädter Signals":

Berlin, 18. April 2010

Tod der Kameraden

Der Tod deutscher Soldaten im Kampfeinsatz in Afghanistan ist uns nicht gleichgültig!

Betroffen reagiert der Arbeitskreis DARMSTÄDTER SIGNAL - das kritische Forum für Staatsbürger in Uniform (Ak DS) - auf den Tod der in Afghanistan eingesetzten Kameraden.

Die Veränderung der Einsatztaktik mit mehr Patrouillen, Aufstockung des Personals und Einführung schwerer Waffen führt zu einer weiteren Eskalation der militärischen Gewalt, zu weiteren Menschenrechtsverletzungen und zu einem erhöhten Risiko für unsere Soldaten.

Die Ereignisse der letzten Tage unterstreichen: Der Einsatz von Streitkräften ist nicht die Lösung des Problems, sondern das Problem selbst. Die Bundeswehr trägt in Afghanistan nicht zur vernetzten Sicherheit, sondern zur vernetzten Unsicherheit bei. Die Inkaufnahme des Todes unserer Soldaten ist für die betroffenen Angehörigen und für uns unbegreiflich und sinnlos, zumal vorgebliche Ziele nicht erreicht werden.

Nahezu zehnjährige militärische Intervention in Afghanistan brachte:
  • keinen Wirtschaftsaufbau, sondern sinkendes Einkommen und Elend;
  • keinen Zivilaufbau, sondern Zerstörung traditioneller Zivilstrukturen;
  • keine Frauenbefreiung, sondern Gefährdungszunahme für Frauen;
  • keine Demokratie, sondern Korruption, Rechtsbruch und Gewalteskalation.
Das Handeln der Bundesregierung muss ausschließlich auf eine politische und diplomatische Konfliktlösung gerichtet sein.

Wir erwarten von der Bundesregierung sichtbares Engagement für eine Bereitschaftserklärung zum Abzug aller NATO-Streitkräfte aus Afghanistan und die kurzfristige Erarbeitung eines gemeinsamen Rückzugsplans.

Deutschland und seine Bündnispartner müssen dem Beispiel des Abzuges der Kanadier und der Niederländer folgen.

Die Bundesrepublik darf sich nicht an grundgesetzwidrigen Säuberungs- und Tötungs- Aktionen (CLEAR and TARGETING) sowie ähnlichen Einsätzen beteiligen.

Deutschland muss sich einsetzen für die nachhaltige Wahrnehmung der Verantwortung durch Afghanen selbst unter Einbeziehung aller ethnischen Gruppen.

Wir fordern den deutschen Bundestag auf, ein neues Mandat zu verabschieden, das die Wirklichkeit der unterschiedlichen Verhältnisse und Bedürfnisse der afghanischen Provinzen abdeckt.

Das sind wir unseren toten und verwundeten Kameraden schuldig.

Für den AK DS-Vorstand: Jörg Wiebach, Kapitänleutnant




SPD wird fahnenflüchtig

Von Rüdiger Göbel **

Wieder Tote am Hindukusch. Am Wochenende sind im Afghanistan-Krieg mindestens zwei Besatzungssoldaten gestorben. Ihr Tod erregte hierzulande kein größeres Aufsehen, weil es sich um niederländische Soldaten handelt. Der 29jährige Unteroffizier und der 23jährige Gefreite sind laut niederländischem Verteidigungsministerium am Samstag in der Provinz Uruzgan mit ihrem gepanzerten Fahrzeug auf eine Sprengfalle gefahren und getötet worden. Ein dritter, 21 Jahre junger Soldat wurde schwer verletzt. Zur Zeit sind rund 1950 Soldaten der Niederlande im Einsatz, 23 sind in dessen Verlauf getötet worden. Im Februar war die Regierungskoalition in Den Haag im Streit um eine Verlängerung des Afghanistan-Mandates zerbrochen. Im August werden alle niederländischen Soldaten vom Hindukusch abgezogen.

Nach den jüngsten Angriffen auf die deutschen Besatzungstruppen ist hierzulande die Abzugsdebatte wieder entfacht. Am Wochenende forderten endlich auch führende Sozialdemokraten ein Ende der deutschen Kriegsbeteiligung. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering sprach sich für einen raschen Abzug der 4500 Bundeswehrsoldaten aus. »Aus meiner Sicht sollten wir aus Afghanistan so schnell wie nur irgend möglich raus.« Der Einsatz dort habe sich gewandelt, sagte der SPD-Politiker dem Radiosender NDR info. »Man mag das völkerrechtlich anders einordnen, aber es ist Krieg.« Sellering weiter: »Ich möchte mich nicht daran gewöhnen, ich möchte nicht, daß wir Deutsche uns daran gewöhnen müssen, Nachrichten von im Kriege gefallenen Soldaten zu hören. Ich möchte diesen Krieg nicht, und ich nehme wahr, daß die Mehrheit der Deutschen ihn auch nicht will.«

Zum Rückzug blies zudem der Chef der schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten, Ralf Stegner. »Wir müssen so schnell wie möglich raus«, sagte das SPD-Präsidiumsmitglied Spiegel online am Samstag. Stegner fügte hinzu: »Je früher, desto besser. Die militärische Logik geht nicht auf.«

Die Linke begrüßte die ersten prominenten sozialdemokratischen Fahnenflüchtigen. »Sellering hat recht. Auch ich möchte mich nicht daran gewöhnen, daß wir Deutsche uns daran gewöhnen müssen, Nachrichten von im Kriege gefallenen Soldaten zu hören«, erklärte Christine Buchholz vom Linke-Parteivorstand.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier dagegen mahnte an, »besonnen und verantwortlich« zu reagieren. Deutschland dürfe seine Verbündeten jetzt nicht im Stich lassen und Afghanistan nicht dem Terror überlassen, betete der frühere Außenminister in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sein allzeit verwendbares Mantra herunter. »Wir müssen jetzt Festigkeit beweisen«, sekundierte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU), in der Süddeutschen Zeitung. »Es darf nicht der Eindruck entstehen, daß wir nach den nächsten fünf Anschlägen tatsächlich abziehen könnten.« Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff (CDU) erklärte in der Welt am Sonntag, »was wir jetzt brauchen, ist der vorbehaltlose Rückhalt für unsere Soldaten.« Die SPD-Deserteure forderte er auf, der Truppe in Afghanistan gefälligst »volle Rückendeckung zu geben«.

Bei NATO-Luftangriffen in der nord­afghanischen Provinz Baghlan sind innerhalb von vier Tagen mindestens 29 Aufständische getötet worden. 52 weitere wurden verletzt, wie ein Sprecher des afghanischen Innenministeriums am Sonntag (18. April) mitteilte. Angaben über Ziviltote wurden nicht gemacht.

** Aus: junge Welt, 19. April 2010


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