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Große Mobilmachung

Von Wera Richter *

Bei einem Gefecht in Afghanistan nahe Kundus, bei dem am Dienstag (23. Juni) drei deutsche Soldaten ums Leben gekommen sind, wurden auch drei Einheimische getötet. Zu Recht, meint der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Thomas Raabe. »Wenn wir angegriffen werden, muß der Gegner damit rechnen, verfolgt und gegebenenfalls getötet zu werden«, erklärte er am Mittwoch in Berlin. Sein Chef Franz Josef Jung (CDU) sieht das auch so: »Wer uns angreift, der wird bekämpft, und die Bundeswehr hat dafür die notwendigen Antworten«.

Die deutschen Soldaten waren laut Ministerium mit einem Transportpanzer vom Typ »Fuchs« unterwegs, als sie unter Beschuß gerieten. Nach einem Ausweichmannöver sei das Fahrzeug in einem Graben gelandet und »so unglücklich ins Wasser« gekippt, daß drei der sieben Soldaten nicht geholfen werden konnte. Seine Männer seien noch während der Rettungsaktion beschossen worden, empörte sich der eben noch so harte Raabe. Der Gegner nehme »überhaupt keine Rücksicht mehr«.

Das ist Krieg. Ein Begriff, den das Verteidigungsministerium vermeiden möchte. »Wenn Al-Qaida von 'Heiligem Krieg' spricht, wäre es nicht klug, diese Diktion zu übernehmen«, so Raabe. Die Bezeichnung hätte auch rechtliche Folgen und würde »Kriminelle, Verbrecher und Terroristen auf eine Stufe heben mit den Soldaten der Bundeswehr«. Das könnte vor allem Irritationen an der Heimatfront auslösen. Um die sorgt sich auch der Wehrbeauftragte der Bundesregierung. »Wo bleibt das klare Wort der Kirchen, der Gewerkschaften, der Wirtschaft?« fragte Reinhold Robbe (SPD) am Mittwoch im Interview mit Bild. Ein klares Bekenntnis zu »unserer Truppe«, »das wäre ein Zeichen menschlicher Zuwendung«, übte er sich in der Mobilmachung.

Der deutsche Bundeswehrverband nannte es am gleichen Tag eine »Schande, daß sich zurückkehrende Soldaten in ihren Familien, vor Freunden und am Stammtisch rechtfertigen müssen«. Um den Sinn des Krieges noch einmal für alle nachvollziehbar zu machen, ergänzte dessen Sprecher Wilfried Stolze im Tagesspiegel: Die Freiheit am Hindukusch zu verteidigen heiße, »die Terrorzellen dort zu bekämpfen, wo sie entstehen, damit es im KaDeWe oder der Berliner U-Bahn nicht zu Anschlägen wie in Madrid und London kommt«.

Peter Strutynski, Sprecher des Kasseler Friedensratschlages nannte die Durchhalteparolen von Verteidigungsminister Franz Josef Jung am Mittwoch (24. Juni) geschmacklos. Wer im Angesicht des Todes von drei Bundeswehrsoldaten davon rede, man sei es den Toten »schuldig«, den Einsatz fortzusetzen, habe den Ernst der Lage nicht verstanden. Strutynski wies darauf hin, daß sich die Situation am Hindukusch mit jeder Truppenaufstockung zugespitzt habe. Ende Mai/Anfang Juni 2007 habe es pro Woche 130 Anschläge und Gefechte gegeben. »Ein Jahr später waren es 200 und in diesem Jahr stieg die Zahl auf 313 (Ende Mai) bzw. 400 (Anfang Juni)«. Die Expertise aller Afghanistan-Kenner laute: »Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen, die Besatzungskräfte werden über kurz oder lang das Land verlassen müssen«. Die Friedensbewegung appelliere aus diesen Gründen an die Bundestagsabgeordneten, in der kommenden Woche auf keinen Fall für den beantragten Einsatz von AWACS-Flugzeugen zu stimmen, so Strutynski. Die Aufklärer könnten nur zur Eskalation des Luftkrieges führen und noch mehr Gegenattacken auf dem Boden provozieren.

* Aus: junge Welt, 25. Juni 2009


Minister Jung sinnt auf Rache

Härtere Gangart in Afghanistan angekündigt: "Wer uns angreift, der wird bekämpft" **

Der Tod von drei deutschen Soldaten in Afghanistan hat eine neue Debatte über Strategie und Bewaffnung der Bundeswehr am Hindukusch ausgelöst.

Berlin (ND/dpa). Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) kündigte am Mittwoch eine härtere Gangart der Bundeswehr in Afghanistan an. In der ARD sagte er: »Wer uns angreift, der wird auch bekämpft.« Vor allem in der Umgebung der nordafghanischen Stadt Kundus sei die Lage kritisch. Die Truppe habe aber »die notwendigen Reserven, hier Verstärkung vorzunehmen«, sagte Jung. Der Minister wollte dennoch weiterhin nicht von einem Krieg sprechen. Ziel sei es, neben der Herstellung militärischer Sicherheit den Wiederaufbau und die Entwicklung Afghanistans zu fördern.

Dagegen sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), man könne bei den Gefechten auch von »Krieg« sprechen. Dies lenke aber vom tatsächlichen Auftrag ab, beim Aufbau Afghanistans zu helfen. Erler wies Überlegungen zu einer veränderten Afghanistan-Strategie zurück. »Der Einsatz ist richtig. Und wir sind mit den Amerikanern in engem Dialog, wie er noch wirksamer werden kann«, sagte er, ohne dies näher zu präzisieren.

Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Reinhold Robbe, vermisste ein klares Bekenntnis der Gesellschaft für den Militäreinsatz und warnte vor einer Verharmlosung. Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaft müssten sich hinter die Truppe stellen, forderte er in der »Bild«-Zeitung.

Bei dem Feuergefecht am Dienstag waren laut Verteidigungsministerium auch drei Angreifer ums Leben gekommen. Die zentrale Trauerfeier für die drei toten deutschen Soldaten soll in der kommenden Woche im Bundeswehrstandort Bad Salzungen (Thüringen) stattfinden. Ein 23 Jahre alter Hauptgefreiter komme aus Brandenburg, teilte das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Geltow bei Potsdam mit. Bei den anderen beiden Soldaten handele es sich um einen 23-jährigen Obergefreiten aus Sachsen-Anhalt und einen 21-jährigen Hauptgefreiten aus Thüringen.

Unterdessen fordert der Bundeswehrverband, die deutschen Truppen in Afghanistan mit mehr Gefechtsfahrzeugen auszustatten. »Damit kann der Feind wirksamer, nachhaltiger und aus größerer Distanz bekämpft werden und gleichzeitig wäre ein angemessener Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten gewährleistet«, sagte der Verbandsvorsitzende, Oberstleutnant Ulrich Kirsch. Auch der Einsatz von Kampfpanzern und Artillerie dürfe nicht mehr ausgeschlossen werden. Dagegen sagte Ministeriumssprecher Thomas Raabe, es gebe von der deutschen militärischen Spitze in Afghanistan keine entsprechende Anforderung. »Wenn es diese Forderung gäbe, würde sie in Berlin umgesetzt.«

Friedensorganisationen denken dagegen in eine ganz andere Richtung. Der Bund für Soziale Verteidigung (BSV) kritisierte am Mittwoch, dass für Militäreinsätze 30 mal mehr als für zivile Konfliktbearbeitung ausgegeben werde. Von einem oft behaupteten »Vorrang für Zivil« könne keine Rede sein, so die Vorsitzende der Friedensorganisation, Ute Finckh-Krämer, in einer Stellungnahme. Im Verteidigungsetat seien in diesem Jahr 31 Milliarden Euro eingeplant, aber nur etwa 900 Millionen Euro für zivile Projekte. Diese 900 Millionen basieren auf eigenen Berechnungen des BSV und liegen sogar über der Summe, die die Bundesregierung selbst glaubt, für zivile Konfliktbewältigung auszugeben. Aus Sicht der Friedensorganisation bedeutet dass, die Bundesregierung »weiß nicht, was unter ziviler Konfliktbearbeitung zu verstehen ist«, erklärte Finckh-Krämer.

** Aus: Neues Deutschland, 25. Juni 2009


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