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Friedensratschlag: Bundeswehrverband hat Recht

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Bundeswehrverband: "Wir befinden uns im Krieg" - Also wird auch "für Deutschland" gestorben

Friedensratschlag: Den Krieg beenden - damit das Sterben überhaupt aufhört

Kassel, 3. September 2008 - Am 2. September stattet Bundesverteidigungsminister Jung der Truppe in Afghanistan einen Besuch ab - einen Tag später kritisiert der Bundeswehrverband die Bundesregierung, weil sie das wahre Ausmaß des Krieges in Afghanistan verschweige. Der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag sieht das auch so, behauptet aber in einer Stellungnahme, dass Bundesregierung und Bundeswehrverband dennoch dasselbe wollen. Und genau das prangere die Friedensbewegung an.

Der überraschende Trip des Bundesverteidigungsministers Franz Josef Jung nach Afghanistan ist eine Reaktion auf jüngste "Vorfälle", die nicht ins Konzept der Krieg führenden Allianz passt. Da werden binnen weniger Tage zahlreiche Zivilpersonen bei einem NATO-Angriff massakriert, da eröffnen Bundeswehrsoldaten das Feuer auf ein Fahrzeug und töten eine Frau und zwei Kinder, da wiederholt sich ähnliches bei einem Angriff der NATO auf ein Wohnhaus. Ergebnis: drei Kinder werden getötet und sieben weitere Zivilisten verletzt. Minister Jung versicherte nun im nordafghanischen Kundus, "die Bundeswehr werde alles daran setzen, zivile Opfer zu vermeiden".

Das musste Jung auch sagen, weil er aufgrund der geschilderten "Vorfälle" mit dem Afghanistan-Einsatz großen Ärger im eigenen Land bekommt. Er mag die Kritik aus der Friedensbewegung, die derzeit eine bundesweite Demonstration am 20. September in Berlin und Stuttgart vorbereitet und am 1. September, dem Antikriegstag, überall im Land für die Beendigung des Krieges geworben hat, nicht besonders ernst nehmen. Gravierend ist aber aus seiner Sicht, was der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Oberst Bernhard Gertz, der "Neuen Osnabrücker Zeitung" gegenüber geäußert hat. Der vor wenigen Tagen bei Kundus getötete Bundeswehrsoldat aus Zweibrücken sei nicht "ums Leben gekommen", wie bei seiner Beisetzung erklärt worden sei, sondern er sei "für die Bundesrepublik Deutschland gefallen", sagte Gertz. Daher wäre die Regierung gut beraten, dies auch in aller Klarheit zu sagen. Sonst dürfe man sich nicht wundern, "dass unsere Gesellschaft nicht versteht, was wir in Afghanistan wollen".

Oberst Gertz sagt das allerdings auch nicht. Kein Wort von ihm über die deutschen Interessen in Afghanistan, kein Wort über die Pipelinepläne des Westens, kein Wort über die geostrategische Bedeutung des Landes für "den Westen" in ihrer Einkreisungspolitik Russlands und Chinas, kein Wort auch über das ursprünglich behauptete Ziel, in Afghanistan den Terrorismus zu bekämpfen. Letzteres ist nicht mehr glaubwürdig, nachdem in sieben Jahren Krieg der "Terrorismus" so erfolgreich "bekämpft" wurde, dass er heute stärker als je zuvor dasteht. Und die beiden erstgenannten Interessen werden etwas verschämt verschwiegen (nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch vom Bundeswehrverband), weil das doch zu sehr nach imperialer Raub- und Eroberungspolitik klingt. Dafür ist die Bevölkerung nicht zu haben.

Das Vorpreschen des heimlichen Verteidigungsministers Gertz richtet sich aber auch nach Innen. Nachdem in Deutschland die "Wehrpflicht"-Bereitschaft junger Männer immer weiter zurück geht und nun sogar der Bundeswehr reihenweise auch länger dienende Offiziere davonlaufen, muss wieder etwas für die Moral der Truppe und die "Wehrhaftigkeit" der Gesellschaft getan werden. Die bisherigen Werbekampagnen des Verteidigungsministeriums an Berufsschulen und Arbeitsagenturen reichen offenbar nicht aus. Gertzs Botschaft ist klar: Deutschland befindet sich "in einem Krieg gegen einen zu allem entschlossenen, fanatischen Gegner". Also müssen die Anstrengungen verstärkt werden, diesen Gegner zu bekämpfen. Truppenaufstockung und eine bessere Bewaffnung fordert der Bundeswehrverband schon länger.

Was US-Präsident Bush soeben in seiner christlich-fundamentalistischen Manier zum Ausdruck brachte, als er seinem Land drei "Tage des Gebets und Gedenkens" mit folgenden Worten verordnete: "Während wir unser Land gegen seine Feinde verteidigen, beten wir um Hilfe beim Schutz der Gabe der Freiheit vor denen, die sie zerstören wollen, und wir bitten den Allmächtigen, all jene zu stärken, die die Freiheit in fernen Ländern schützen" - eben das will Gertz ohne religiöse Verbrämung auch in Deutschland erreichen: Die Gesellschaft soll sich bedingungslos hinter die "Armee im Einsatz" stellen.

Die Friedensbewegung stellt sich geschlossen gegen den Krieg in Afghanistan und kritisiert den unverhohlenen Rekurs auf unselige deutsche Traditionen von Heldenverehrung (ein Soldat "stirbt" nicht, er "fällt"). Damit soll einer Militarisierung der Gesellschaft Vorschub geleistet werden. Demgegenüber fordert die Friedensbewegung den Abzug der Truppen aus Afghanistan. Nur so, so heißt es in einem Aufruf der Friedensbewegung zur bundesweiten Demonstration am 20. September, werde Afghanistan eine Chance zu einer friedlichen Entwicklung eröffnet. Das Sterben kann nur aufhören, wenn der Krieg beendet wird.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)


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