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Verdammt in alle Ewigkeit

Vertrag soll NATO-"Militärpräsenz" in Afghanistan bis mindestens 2024 erlauben

Von Knut Mellenthin *

Die US-Regierung steht kurz vor dem Abschluß eines Abkommens mit Afghanistan, das die zeitlich unbegrenzte Stationierung einer nicht festgelegten Zahl von NATO-Soldaten im Land erlaubt. Am Donnerstag hat in Kabul eine mehrtägige »Dschirga« begonnen, die den Vertrag sanktionieren soll. Es handelt sich dabei um eine nicht demokratisch legitimierte Versammlung von ungefähr 2500 »Volksvertretern«, deren Zusammensetzung ungeschriebenen, nicht transparenten Regeln und Traditionen folgt.

Falls die »Dschirga« dem Entwurf zustimmt, was als nahezu sicher gilt, muß das Abkommen auch noch das afghanische Parlament passieren. Zu Beginn der vermutlich mindestens dreitägigen Beratungen rief Präsident Hamid Karsai die Versammelten auf, den Vertrag abzusegnen, auch wenn zwischen ihm und den Amerikanern kein Vertrauen herrsche. Zugleich plädierte er aber dafür, mit der förmlichen Unterzeichnung des Abkommens bis nach der Wahl seines Nachfolgers zu warten, die am 5. April nächsten Jahres stattfinden soll. Der Entwurf des Vertrages, den die US-Regierung anscheinend geheimhalten wollte, wurde am Mittwoch auf der Website des Kabuler Außenministeriums veröffentlicht. Daraus ergibt sich, daß das Abkommen am 1. Januar 2015 in Kraft treten soll, nachdem der Abzug der meisten gegenwärtig noch in Afghanistan befindlichen ausländischen Truppen – mit ungefähr 75000 Soldaten – abgeschlossen ist. Die Laufzeit des Vertrags geht bis mindestens Ende 2024 und verlängert sich darüber hinaus unendlich lange, sofern das Abkommen nicht gekündigt wird.

Zahlen für die nach Ende 2014 im Land bleibenden US-Truppen sind im Vertragsentwurf, entgegen manchen anderslautenden Meldungen, nicht genannt. Es wird damit gerechnet, daß allein Washington zwischen 10000 und 15000 Mann dauerhaft in Afghanistan stationieren will. Hinzu kommen wahrscheinlich mehrere tausend Mann aus anderen Staaten, darunter 600 bis 800 Soldaten der deutschen Bundeswehr. Vermutlich werden diese Länder mit Kabul noch eigene Verträge abschließen. In einem Anhang des Abkommens sind neun Städte aufgezählt, in denen die USA über 2014 hinaus exklusive Nutzungsrechte für Stützpunkte, Gebäude und Grundstücke behalten sollen. Diese Liste kann »im Einvernehmen« jederzeit sogar noch erweitert werden. Ein zweiter Anhang nennt Stützpunkte, Flugplätze, Häfen und Grenzübergänge, die für den Transport von Truppen und Nachschub benutzt werden dürfen.

Der Vertrag wird den USA zudem die verlangte »Immunität« für ihre in Afghanistan bleibenden Soldaten zusichern. Das heißt, daß diese für Straftaten, wenn überhaupt, dann höchstens von US-amerikanischen Gerichten verurteilt werden dürfen. Die US-Streitkräfte behalten außerdem die weitgehende Freiheit, unter Berufung auf den »Kampf gegen den Terrorismus« eigene, mit Kabul nicht koordinierte Kriegshandlungen durchzuführen. Dazu gehört auch das Recht, die ebenso gefürchteten wie verhaßten »Nachtrazzien« in afghanischen Dörfern fortzusetzen und gewaltsam in Häuser einzudringen. Das war einer der Punkte, gegen die sich Karsai noch fast bis zuletzt gesträubt hatte.

Im Abkommen wird zwar darauf hingewiesen, daß die USA versprochen hätten, afghanisches Territorium nicht als »Ausgangspunkt für Angriffe gegen andere Länder« zu nutzen. Das wird aber durch mehrere Vertragspunkte erheblich relativiert, die grundsätzlich – wenn auch unter der Voraussetzung einer Zustimmung Kabuls – »militärische Reaktionen« gegen »Aggressionen von außen oder die Gefahr äußerer Aggressionen« zulassen. Allgemein wird angenommen, daß die USA auf dieser Basis zumindest ihre Drohnenangriffe gegen Ziele in Pakistan auch nach Ende 2014 fortsetzen können.

* Aus: junge Welt, Freitag, 22. November 2013


Misstrauen und Immunität in Kabul

Loja Dschirga berät über Sicherheitsabkommen mit USA **

Präsident Karsai sagt, er traue den USA nicht, und das beruhe auf Gegenseitigkeit. Doch Afghanistan benötige das Sicherheitsabkommen mit Washington. Nun berät die Loja Dschirga über den Vertrag.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat die Große Ratsversammlung seines Landes zur Verabschiedung des umstrittenen Sicherheitsabkommens mit den USA aufgerufen, obwohl er vor den rund 2500 Delegierten am Donnerstag in Kabul zugleich in scharfer Form sein Misstrauen gegen Washington äußerte. Trotzdem werde das Abkommen für eine bessere Zukunft Afghanistans benötigt. Nach seiner Verabschiedung würden ab 2015 bis zu 15 000 ausländische Soldaten in Afghanistan stationiert sein, so Karsai. »Sie werden noch zehn weitere Jahre hierbleiben, um zu unterstützen und die afghanischen Sicherheitskräfte auszubilden.« In dem Entwurf, der die Präsenz von US-Truppen nach 2014 regeln und als Blaupause für einen künftigen NATO-Einsatz dienen soll, ist keine Truppenzahl genannt. Derzeit sind noch gut 86 000 ausländische Soldaten im Afghanistan-Einsatz, darunter knapp 3500 Deutsche.

US-Außenminister John Kerry und der afghanische Präsident hatten sich erst kurz vor der Loja Dschirga auf den Wortlaut in strittigen Punkten des Abkommens, das Karsai erst seinen Nachfolger nach der Wahl im April unterzeichnen lassen will, geeinigt. Laut Entwurf sind US-Soldaten von afghanischer Strafverfolgung ausgenommen. Präsident Barack Obama habe schriftlich zugesichert, dass US-amerikanische Truppen ab 2015 nur noch »in sehr außergewöhnlichen Fällen« in afghanische Wohnhäuser eindringen und Moscheen gar nicht betreten dürften. »Sofern nichts anderes einvernehmlich vereinbart ist, werden die Streitkräfte der Vereinigten Staaten keine Kampfoperationen in Afghanistan durchführen«, heißt es in dem Papier. Militäroperationen gegen Al-Qaida und seine Terrorverbündeten seien jedoch möglich. Im Anhang des Abkommens werden neun Orte genannt, an denen die USA weiterhin Basen nutzen wollen, darunter der Luftwaffenstützpunkt Bagram, die Hauptstadt Kabul und der derzeitige Bundeswehr-Standort Masar-i-Scharif.

Ohne eine Einigung auf dieses sogenannte Truppenstatut käme es Ende 2014 zum Abzug aller ausländischen Truppen, warnte Karsai die Delegierten der Loja Dschirga. Ihre Diskussionen sollen bis Sonntag dauern. Die Ratsversammlung hat zwar nur beratende Funktion, doch wird erwartet, dass sich der Präsident nicht über die Entscheidungen der Stammesältesten, Geistlichen, Politiker und anderen Würdenträger hinwegsetzt. Anschließend muss das Parlament dem Vertrag zustimmen, bevor ihn der Staatschef unterzeichnet.

Die Versammlung in Kabul findet unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Taliban hatten Angriffe angekündigt. Ihr Chef Mullah Mohammad Omar warnte die Delegierten davor, dem »Dokument der Sklaverei« zuzustimmen.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 22. November 2013


Immun am Hindukusch

Von Olaf Standke ***

Sie brauchen einander bis zum letzten Tag. Da mag der einst von Washington installierte, später scharf kritisierte und im nächsten Jahr scheidende Hamid Karsai auf der Großen Ratsversammlung noch so sehr sein Misstrauen gegenüber den USA betonen, der afghanische Präsident will das umstrittene Sicherheitsabkommen ebenso wie die Obama-Regierung. Ohne gäbe es etwa im Ernstfall keine militärische Unterstützung von geplanten 15 000 ausländischen Soldaten und zudem riesige Finanzlöcher, vor allem bei Polizei und Armee. Kabuls Streitkräfte kosten über vier Milliarden Dollar im Jahr, bis auf 500 Millionen müssen die aus Washington und von den NATO-Alliierten kommen.

Die USA wiederum wollen unbedingt auch nach dem offiziellen ISAF-Abzug 2014 am Hindukusch militärisch präsent bleiben, mit Blick auf Taliban, Al-Qaida und pakistanische Verwerfungen. So hält man wichtige Streitpunkte im Vertragsentwurf vage. Die US-Truppen sollen zwar vor allem ausbilden, könnten aber auch Kampfoperationen gegen Terroristen durchführen. Moscheen sollen für sie tabu bleiben, in Wohnhäuser aber dürften sie in »außergewöhnlichen Fällen« weiter eindringen. Vor allem aber muss die Stammesversammlung die Kröte schlucken, dass US-Militärs auch künftig Immunität vor afghanischer Strafverfolgung genießen.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 22. November 2013 (Kommentar)


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