Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Blitzsiege in Kabul

Von Werner Pirker *

Von Werner Pirker *

Daß sich in einem vom Krieg beherrschten Land mit traditionell schwach entwickelter Staatlichkeit kaum Voraussetzungen für allgemeine, freie und auch faire Wahlen existieren, war schon klar, bevor die Farce in Afghanistan ihren Lauf nahm. Damit, daß die beiden wichtigsten Bewerber für das Präsidentenamt, Titelverteidiger Hamid Karsai und sein chancenreichster Herausforderer Abdullah Abdullah den irregulären Charakter der Abstimmung mit verfrühten Siegesmeldungen unterstreichen sollten, konnte indes nicht gerechnet werden. Obwohl die ersten inoffiziellen Resultate erst am Wochenende erwartet wurden – die offizielle Bekanntgabe der Ergebnisse der Präsidentenwahlen und der Wahlen zu den Regionalräten ist erst für den 17. September vorgesehen – verkündete Karsais Sprecher Hadschi Din Mohammed bereits am Freitag (21. Aug.), daß der amtierende Präsident genügend Stimmen erhalten habe, um sich einem zweiten Wahlgang nicht mehr stellen zu müssen. Das gehe aus Daten hervor, die das Wahlkampfteam von den eigenen Beobachtern bei der Stimmauszählung erhalten habe. Kurz danach hieß es aus dem Lager des ehemaligen Außenministers, daß Abdullah Abdullah 62 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, während auf Karsai nur 32 Prozent entfallen seien.

Was das Tempo der Auszählung, bzw. der Erstellung einer Hochrechnung betrifft, hat der zu seiner Wiederwahl angetretene Präsident einen klaren Sieg über seinen Hauptkonkurrenten erzielt. Dessen Wahlbehörde konnte freilich mit wesentlich präziseren Angaben über das Stimmenverhältnis aufwarten. Die offiziell für die Auszählung der Stimmen zuständige unabhängige Wahlbehörde scheint bei der Entscheidung über den Wahlsieger eine eher untergeordnete Rolle zu spielen.

Wer Wahlergebnisse auf der Grundlage von Beobachtungen der eigenen Leute bekanntgibt, kommt gar nicht darum herum, der jeweils anderen Seite Fälschungen vorzuhalten. Abdullahs Wahlkampfmanager Sayed Fazel Sageharaki sprach von einem »großangelegten und organisierten Wahlbetrug«. Aus vielen südlichen und südöstlichen Provinzen gäbe es keine Ergebnisse, erklärte er. Von Abdullah nominierte Beobachter hätten keinen Zutritt zu den Wahllokalen erhalten. Karsais Wahlkampfleiter Seddik Seddiki wiederum behauptete, daß in vielen Provinzen Wähler von Abdullah-Anhängern an der Stimmabgabe gehindert wurden, vor allem solche, bei denen man Sympathien für Karsai vermutete.

Grobe Unregelmäßigkeiten wurden auch von internationalen Beobachtern festgestellt. Einem Bericht der britischen Zeitung Times zufolge, seien in einem Wahllokal in der Nähe von Kabul in den Morgenstunden 5530 Stimmzettel registriert worden, ohne daß bis dahin auch nur ein einziger Wähler gesichtet worden sei.

Bei von den Taliban verübten Anschlägen während der Wahlen sind nach Behördenangaben insgesamt 26 Menschen getötet worden. Die Wahlbeteiligung habe 40 bis 50 Prozent betragen, behauptete die Wahlbehörde am Freitag – bei der Abstimmung 2004 waren es noch 70 Prozent gewesen.

Der Weltsicherheitsrat hat angesichts der widersprüchlichen Angaben über den Ausgang dem ganzen afghanischen Volk zu den Wahlen gratuliert. Auch der Staatsminister im Auswärtigen Amt in Berlin, Gernot Erler, ließ sich vom Machtkampf um die Ergebnisse und Berichten über Berge von widerrechtlich organisierten Stimmen nicht beeindrucken und sprach von einem »wichtigen Sieg über die Taliban«. Die EU-Kommission in Brüssel rief die Präsidentschaftsbewerber zur Zurückhaltung auf. »Wir ermuntern alle Kandidaten, den Wahlprozeß zu respektieren und von der vorschnellen Ankündigung möglicher Ergebnisse abzusehen«, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Freitag –Stunden nach Verkündung der Blitzsiege in Kabul.

* Aus: junge Welt, 22. August 2009


Kandidatenschelte

Massive Betrugsvorwürfe nach Afghanistan-Wahl. EU spricht von "Sieg für die Demokratie" **

Der Kampf um die afghanische Präsidentschaft unter US-Kontrolle geht auch nach der Wahl unter Kriegsbedingungen am vergangenen Donnerstag (20.Aug.) weiter. Am Wochenende, an dem der islamische Fastenmonat Ramadan begann, stritten die wichtigsten Bewerber um das Amt über die Rechtmäßigkeit der Abstimmung. Der schärfste Herausforderer von Präsident Hamid Karsai, Exaußenminister Abdullah Abdullah, sprach von Betrug und warf der Regierung vor, dafür verantwortlich zu sein.

In den südlichen Provinzen Kandahar und Ghasni hätten Regierungsvertreter nachträglich Stimmzettel für Karsai in die Wahlurnen geschmuggelt, sagte Abdullah. »Das alles ist unter seinen Augen und seiner Führung geschehen«, erklärte der Politiker mit Blick auf Karsai. Auch der Kandidat Mirawis Jassini sprach von Betrug und präsentierte am Samstag (22. Aug.) zerrissene Stimmzettel. Seine Anhänger hätten die für ihn abgegebenen Stimmen nahe der Stadt Spin Boldak in Kandahar gefunden. Sie seien von Wahlhelfern, die Amtsinhaber Hamid Karsai unterstützten, weggeworfen worden, sagte Jassini. Die Zettel trugen den Stempel der unabhängigen Wahlkommission, der erst nach erfolgter Abstimmung aufgebracht wird. »Tausende von ihnen wurden verbrannt«, fügte der Abgeordnete hinzu. Karsais Wahlkampfsprecher Wahid Omar wies die Vorwürfe zurück.

Die EU würdigte die Abstimmung als »Sieg für die Demokratie in Afghanistan«. Nun müsse die Auszählung der Stimmen mit größter Transparenz erfolgen, forderte die außenpolitische EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner am Samstag (22. Aug.) in Brüssel. Schon daß die Wahl überhaupt stattgefunden habe, sei beachtlich, erklärte eine EU-Delegation. Die Abstimmung könne zwar nicht in allen Landesteilen als frei betrachtet werden, sie sei aber anscheinend »gut und fair« verlaufen.

Das vorläufige Ergebnis soll am Dienstag (1. Sept.) bekanntgegeben werden. Falls kein Kandidat eine absolute Mehrheit erreicht, kommt es zur Stichwahl. (AFP/AP/jW)

** Aus: junge Welt, 24. August 2009


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur NATO-Seite

Zurück zur Homepage