Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wasserwanzen im Weißen Haus

Der Präsident verliert den Krieg in Afghanistan auch gegen seine Generäle

Von Olaf Standke *

Heute erscheint in den USA ein Buch, das schon vorher für Schlagzeilen sorgte: »Obamas Kriege«. Starreporter Bob Woodward enthüllt darin das tiefe Zerwürfnis im Weißen Haus über die Afghanistan-Politik des Präsidenten und dessen Schlacht mit den eigenen Generälen.

»Obama's Wars«, erschienen bei Simon and Schuster in New York, für 24,99 Euro über amazon.com zu bestellen, vorläufig allerdings nur auf Englisch. Doch die deutsche Ausgabe dürfte schon bald folgen. Denn das neueste Buch von Bob Woodward - dem »Mann mit dem Schlüssel zum Oval Office«, wie der Londoner »Observer« am Sonntag titelte - verspricht ein Verkaufsschlager zu werden, bietet es doch auf 464 Seiten tiefe Einblicke in die internen Machtkämpfe jener Leute in Washington, die letztlich über Krieg und Frieden entscheiden.

Dank einer gewaltigen PR-Maschinerie - schließlich will der Verlag eine Startauflage von über 600 000 Exemplaren verkaufen - wurde die Welt in den vergangenen Tagen schon mit Vorabmeldungen über die saftigsten Entgleisungen in Obamas »War Room« bombardiert. Woodward, der einst mit Carl Bernstein in der »Washington Post« den Watergate-Skandal aufdeckte, der zum Rücktritt von Präsident Richard Nixon führte, entwirft das Bild eines tief zerstrittenen Kriegsrats. Hochdekorierte Generäle im Widerstand gegen ihren Präsidenten, ein Sicherheitsberater James Jones, der Obamas »Küchenkabinett« um Strategieberater David Axelrodt und Stabschef Rahm Emanuel wahlweise als »Wasserwanzen«, »Mafia« oder »Politbüro« beschimpft, und ein Vizepräsident, für den der Afghanistan-Sonderbeauftragte »der egozentrischste Bastard ist, den ich je getroffen habe«. Allerdings musste die »New York Times«, die dieses Zitat in die Welt gesetzt hatte, inzwischen nachreichen, dass Richard Holbrooke laut Joe Biden wohl auch »der richtige Mann für diesen Job« sei.

Hamid Karsai griff gleich zum richtigen Dementi. »Der Präsident ist gesund. Er wird nicht medizinisch behandelt, auch nicht wegen einer Depression«, sagte sein Sprecher Wahid Omar. Woodward berichtet in seinem Buch über viel Ärger zwischen Washington und Kabul und listet unter Berufung auf USA-Botschafter Karl Eikenberry Medikamente auf, die der afghanische Staatschef angeblich nimmt. Die Erkenntnisse über seinen manisch-depressiven Zustand sollen von der CIA stammen. Karsais Sprecher nennt sie »hetzerische« Angriffe auf die »persönliche Integrität« des Präsidenten.

Woodwards Buch zeigt, dass Obama von Anfang an möglichst schnell aus Afghanistan raus wollte und im Grunde nicht mehr daran glaubt, dass dieser Krieg zu gewinnen ist. »Keine zehn Jahre« Truppenpräsenz, »kein langfristiger Staatsaufbau«, »keine Billionen Dollar« Ausgaben - für den Präsidenten waren das nicht zuletzt auch Prämissen mit Blick auf innenpolitische Zwänge. »Es darf keinen endlosen Krieg geben«, sonst verliere er den Rückhalt »der ganzen Demokratischen Partei«, soll Obama dem republikanischen Senator Lindsey Graham gesagt haben.

Immer wieder habe er Ende 2009 von seinen Generälen eine »Exit Strategy« gefordert, eine Ausstiegsstrategie. Doch hätten die Militärs nur mit ständig neuen Forderungen nach noch mehr Soldaten geantwortet. Wobei sich auch die Generäle nicht grün sind, wenn etwa der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs, Admiral Michael Mullen, sauer auf seinen Vize James E. Cartwright ist, weil der verbreitet, sein Chef sei einfach kein richtiger Krieger (»war fighter«).

Obama versuchte es dann mit einer Doppelstrategie, um es irgendwie allen recht zu machen: Einerseits 30 000 frische Soldaten an die Front, andererseits Beginn des Abzugs im Sommer 2011. Das könne gar nicht funktionieren, meinte nicht nur Holbrooke. Statt in Kabul eine ungeliebte Regierung zu stützen, sollte man sich lieber darauf konzentrieren, Al Qaida im pakistanischen Grenzgebiet auszuschalten, forderte wiederum Biden. Und so ganz nebenbei erfährt man »explosive Tatsachen« (»ABC News«), wenn Woodward berichtet, dass die CIA am Hindukusch eine 3000 Mann starke Schattenarmee unterhält, verdeckt agierende paramilitärische Einheiten mit dem Namen Counterterrorism Pursuit Teams und der Aufgabe, in Afghanistan und Pakistan Taliban aufzuspüren und zu töten.

Regierungssprecher Robert Gibbs hat die USA-Bürger jetzt zum Lesen des Woodward-Buches aufgerufen. Das Weiße Haus hofft auf Wähler-Wohlwollen, da es Barack Obama als »analytisch, strategisch und entscheidungsstark« zeige und »einen umfassenden und klaren Blick auf unsere nationale Sicherheit und seine Rolle als Präsident hat«, wie man verbreiten ließ. Das sehen nicht alle so. Wie es in der Sonntagsausgabe (26. Sep.) der »Washington Post« heißt, sei es schon ein Problem, wenn »der Präsident von den Generälen herumgeschubst« werde und nicht wirklich der »Commander in Chief«, der Oberbefehlshaber, sei.

David Sirota, Kolumnist und Bestseller-Autor, ging in der Onlinezeitung »The Huffington Post« noch weiter und nennt es »einen großen Skandal«, dass Generäle versuchten, die Politik zu bestimmen. Schließlich sei ihre zivile Kontrolle ein Grundpfeiler der Verfassung. Diese Militärs müssten angesichts ihrer Insubordination eigentlich gefeuert werden. Doch bisher hat es Präsident Obama nicht gewagt, sich wirklich mit dem militärisch-industriellen Komplex in den USA anzulegen. General David Petraeus stellt vom ersten Tag in seinem neuen Amt als Afghanistan-Oberbefehlshaber den vorgegebenen Abzugstermin der Truppen in Frage.

* Aus: Neues Deutschland, 27. September 2010


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur USA-Seite

Zurück zur Homepage