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Isaf entschuldigt sich für getötete Kinder *

Die Internationale Schutztruppe Isaf hat sich für den Tod von neun Kindern bei einem Angriff ihrer Kampfhubschrauber in der ostafghanischen Provinz Kunar entschuldigt. Die Nato-geführte Schutztruppe »übernimmt die volle Verantwortung für diese Tragödie«, teilte die Isaf am Mittwoch (2. März) mit. Ihr Kommandeur David Petraeus sagte: »Zu diesen Todesfällen hätte es nie kommen dürfen.« Präsident Hamid Karsai verurteilt den »rücksichtlosen Angriff« vom Dienstag (1. März) bei einem Besuch in London. Bei einer Demonstration am Angriffsort skandierten hunderte Afghanen Parolen gegen ihre Regierung und gegen die USA.

In Kunar waren erst im vergangenen Monat bei Isaf-Beschuss nach Angaben einer afghanischen Regierungskommission 65 Zivilisten getötet worden, darunter 40 Jungen und Mädchen. Die neun nun versehentlich getöteten Kinder waren beim Brennholz-Sammeln angegriffen worden, nach Angaben der Polizei wurde ein zehntes Kind verletzt. Zivile Opfer bei Operationen ausländischer Truppen führen bei der afghanischen Regierung und der Bevölkerung immer wieder zu massivem Unmut. Für die meisten zivilen Opfer in Afghanistan sind allerdings die Aufständischen verantwortlich.

Karsai reagierte auch auf den jüngsten Vorfall aufgebracht. In einer Mitteilung seines Palastes hieß es: »Der Präsident fragte, ob die Bombardierung einer Gegend, in der arme Kinder Brennholz für den Winter sammeln, der Weg sei, um gegen den Terrorismus erfolgreich zu sein und Afghanistan zu sichern.« Petraeus sagte, er werde sich nach Karsais Rückkehr persönlich beim Präsidenten entschuldigen. Nach Abschluss der Untersuchung würden gegebenenfalls Disziplinarmaßnahmen gegen die verantwortlichen Soldaten ergriffen.

Die Isaf teilte mit, zunächst sei ein Außenposten der Truppen von Aufständischen mit Raketen angegriffen worden. Die Soldaten hätten das Feuer erwidert. Kampfhubschrauber hätten die Stellungen der Aufständischen angreifen wollen, die Piloten hätten stattdessen versehentlich die Zivilisten beschossen.

* Aus: Neues Deutschland, 2. März 2011


Ekelhaft

Von Ingolf Bossenz **

Sie starben beim Holzsammeln: Neun Kinder zwischen sieben und neun Jahren, die sich im Osten Afghanistans auf einem Berg aufhielten, der von NATO-Kommandeuren zum Ziel eines Luftangriffs bestimmt worden war. Ein tragisches Zusammentreffen, für dessen Benennung mittlerweile selbst Betonkrieger den Begriff des Kollateralschadens vermeiden. »Incident«, »Vorfall« sind die nunmehr gängigen Verschleierungsworte.

Erst in der vergangenen Woche hatte eine afghanische Untersuchungskommission der NATO vorgeworfen, Mitte Februar bei Einsätzen in dieser Region 65 Zivilisten getötet zu haben, darunter 40 Kinder. Und von den mehr als 2400 im vorigen Jahr ums Leben gebrachten Zivilisten gehen Hunderte auf das Konto der von der NATO geführten »Schutztruppe«.

Immerhin: Bedauern über ihre Tat liegt den Tätern offenbar nicht fern. Man übernehme »die volle Verantwortung für diese Tragödie«, verlautbarte die westliche Kriegspartei anlässlich des jüngsten »Vorfalls«. Reue? Eher wohl ein Ritual. Wie die regelmäßige Ankündigung, die »Vorfälle« würden untersucht. Wie die von Präsident Karsai beklagte »tägliche Tötung« von Zivilisten durch die NATO? Peter Handke schrieb einmal: »Die Macht erst, indem sie es sich erlauben kann, aus der Gewalt ein Ritual zu machen, lässt diese als das Vernünftige erscheinen.« Der österreichische Schriftsteller begründete damit seinen »Ekel vor der Macht«. Ein Ekel, den auch die neun toten Kinder rechtfertigen.

** Aus: Neues Deutschland, 3. März 2011 (Kommentar)


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