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Vergessene Tote: Body Count in Afghanistan und Pakistan:

Die Zahl der Opfer, die die Kriege des Westens fordern, liegt deutlich höher, als üblicherweise behauptet

Von Lühr Henken *

Angaben zur Zahl von Kriegsopfern sind ein Politikum. Wenn westliche Staaten aus angeblich humanitären Gründen Kriege führen, muß dem kritischen Publikum daheim plausibel gemacht werden, daß der Krieg zu einer Verbesserung der humanitären Lage vor Ort geführt hat. Hohe Opferzahlen unter den eigenen Leuten, aber auch im angegriffenen Land wirken da kontraproduktiv.

Deshalb verzichten USA und NATO darauf, Todesopfer ihrer Angriffe in fremden Ländern zu zählen; akribisch werden jedoch die eigenen toten Soldaten notiert. Alle anderen Todeszahlen beruhen auf Schätzungen, die gewöhnlich auf zwei verschiedenen Wegen ermittelt werden: zum einen nach der passiven Methode. Sie erfaßt Tote aus Meldungen in Medien, Polizeiberichten oder Krankenhausveröffentlichungen. Erfahrungsgemäß gibt diese passive Methode allerdings nur über einen Teil der Getöteten Auskunft. Präzisere Angaben erhält man aus Befragungen vor Ort (aktive Methode), deren Ergebnisse über statistische Verfahren hochgerechnet werden, so wie es bei repräsentativen Umfragen üblich ist.

Afghanistan

In Afghanistan, dem größten Krieg der NATO-Geschichte, wurden Todeszahlen lediglich auf der Basis der passiven Methode ermittelt. So fallen die hierzulande medial kursierenden Zahlen zu niedrig aus. Ein schneller Blick bei Wikipedia unter dem Eintrag »Krieg in Afghanistan seit 2001« ergibt 14576 einheimische und ausländische getötete Sicherheitskräfte sowie 12500 bis 14700 getötete Zivilpersonen (Stand 2012). Zu getöteten Al-Qaida und »Taliban« ist zu lesen: »Keine verläßlichen Angaben möglich«. Das suggeriert, daß die anderen Angaben verläßlich seien. Sie sind es nicht. Dies ist nicht als Kritik an den fleißigen Schreibern auf Wikipedia zu verstehen, sondern als Ausdruck der allgemeinen Oberflächlichkeit des Umgangs mit den verheerenden Folgen von Kriegen.

Der Zusammenhang zwischen dem Afghanistan-Krieg und dem in Pakistan fehlt in der öffentlichen Wahrnehmung hierzulande fast völlig. Dabei vermittelt der Kunstbegriff AfPak (Urheber soll Richard Holbrooke, damals US-Sonderbotschafter sein) doch klar, daß die US-Kriegsstrategie unter Präsident Barack Obama diese beiden Länder am Hindukusch in einem komplexen Zusammenhang sieht. Auf Initiative der IPPNW (International Physicians for Prevention of Nuclear War) entstand anläßlich des 10. Jahrestages des Beginns des westlichen Krieges gegen Afghanistan ein Untersuchungsprojekt, dessen Resultat die Studie »Body Count, Opferzahlen nach zehn Jahren ›Krieg gegen den Terror‹, Irak, Afghanistan, Pakistan« mündete. Beginnen wir die Untersuchung mit dem am 7. Oktober 2001 von den USA und Großbritannien begonnenen Krieg gegen die von den »Taliban« gestellte Regierung in Afghanistan. Der Untersuchungszeitraum endet am 31.12.2013.

Getötete Sicherheitskräfte

Relativ leicht zu ermitteln sind die Zahlen getöteter ISAF- und OEF-Soldaten (ISAF: International Security Assistance Force; OEF: Operation Enduring Freedom). Darüber führt die Internetseite icasualties.org kontinuierlich Buch. Bis Ende 2013 waren es 3409 Soldaten verschiedener Nationalität. Die Zahl der getöteten Mitarbeiter privater US-amerikanischer Sicherheitskräfte (Contractors) ermitteln die Professorinnen Neta Crawford und Catherine Lutz von der Universität Boston. Sie kommen bis September 2013 auf 2986. Der Jahresverlauf läßt auf eine Zahl von über 3000 bis Ende 2013 schließen.

Im »Afghanistan Index« der Brookings Institution finden sich Statistiken über getötete afghanische Sicherheitskräfte. Für den Zeitraum 2007 bis Ende 2012 ermittelt dieser US-amerikanische Think-Tank 9876 getötete einheimische Soldaten und Polizisten. Allerdings fehlen in dieser Statistik die Zahlen für das Jahr 2013. Dazu gibt der jüngste »Fortschrittsbericht Afghanistan« der Bundesregierung vom Januar 2014 Auskunft. Demnach sind in den ersten elf Monaten des vorigen Jahres 4600 umgekommen. Damit sind im Jahr 2013 etwa 5000 afghanische Soldaten und Polizisten getötet worden, so daß sich die Zahl im gesamten Zeitraum von 2007 bis Ende 2013 auf knapp 15000 erhöht. Darunter ist die Zahl der getöteten Polizisten fast dreimal so hoch wie die der Soldaten. Bedeutsam ist auch, daß die Zahl der getöteten Sicherheitskräfte in den beiden letzten Jahren rasant zugenommen hat. 8400 der 15000 Uniformierten starben in den beiden zurückliegenden Jahren des Siebenjahreszeitraums.

Getötete Aufständische

Die Ermittlung der Zahl der getöteten »Taliban« ist etwas komplizierter. Unter dem vereinfachenden Begriff »Taliban« sind die Kämpfer des militärischen Widerstands zu verstehen, der sich im wesentlichen aus dem Haqqani-Netzwerk, den Anhängern des sunitischen Politikers Gulbuddin Hekmatyar und den Taliban zusammensetzt. Für die ersten Monate des Krieges findet sich im Fischer-Weltalmanach in der Ausgabe von 2003 die Zahl 10000. Berücksichtigt werden muß zudem die Zahl von 3000 Verschwundenen im November 2001, deren Verbleib nach einer Gefangennahme in Masar-i-Scharif bis heute unaufgeklärt ist.

Um die Zahl der danach getöteten »Taliban« einigermaßen ermitteln zu können, gibt es zwei Anhaltspunkte. Für das Jahr 2007 lassen sich zirka 4700 und für das Jahr 2010 etwa 5200 getötete »Taliban« abschätzen. Für den Zeitraum davor, dazwischen und danach lassen sich aus Indikatoren für die Intensität von Kämpfen Rückschlüsse ziehen. Das ist zum einen die Luftnahunterstützung durch NATO-Kampfflugzeuge, und zum anderen sind es Zahlen aus dem Pentagon über die Häufigkeit und den Umfang von nächtlichen Razzien mit Angaben über Getötete. Als Summe für getötete Aufständische von 2002 bis 2012 ergibt sich daraus eine Zahl von 37000.

Nehmen wir die Angaben von 2001 hinzu, ergibt sich aus all diesen Schätzungen eine Summe getöteter »Taliban« von etwa 50000 bis Ende 2012 – also in elf Jahren Krieg durchschnittlich 4545 im Jahr. Für 2013 liegt eine Zahl aus dem Sanktionsausschuß der UNO vor. 10000 bis 12000 »Taliban« sollen in den ersten zehneinhalb Monaten des Jahres getötet, verletzt oder gefangenen genommen worden sein. Als Quelle werden die Regierung und interne Statistiken der Taliban angegeben. Diese Größenordnung liegt etwa im Bereich der Schätzungen bis 2012. Addieren wir geschätzte 4545 getötete »Taliban« für 2013 hinzu, kommen wir auf insgesamt etwa 55000 bis Ende 2013.

Getötete Zivilpersonen

Das Brookings Institut führt zudem eine Statistik über getötete zivile Mitarbeiter der US-Regierung in Afghanistan und kommt für den Zeitraum bis März 2011 auf 1.176. Um abschätzen zu können, wie viele zivile US-Regierungsmitarbeiter bis Ende 2013 getötet wurden, legen wir die monatliche Tötungsrate von April 2010 bis März 2011 zugrunde (15,8), so daß sich für den Zeitraum danach, also von April 2011 bis Ende Dezember 2013, eine theoretische Tötungsrate von 521 ergibt. Damit erhöht sich die Zahl der umgekommenen zivilen Mitarbeiter der US-Regierung bis Ende 2013 auf schätzungsweise 1700.

Die United States Agency For International Development (USAID) führt eine Statistik über die im Entwicklungshilfeeinsatz getöteten nationalen und internationalen Helfer in Afghanistan und kommt bis Ende 2013 auf 253 US-amerikanische und 35 internationale getötete Helfer. Wie die FAZ vom 2. Dezember 2013 schreibt, bezeichnet die UNO »Afghanistan als das ›für Helfer gefährlichste Land der Welt‹«. K

Bedeutend komplizierter ist es, einen plausiblen Näherungswert für die getöteten Zivilpersonen insgesamt zu ermitteln, wobei nicht erfaßt ist, ob die Täter »Taliban« oder ISAF-Truppen waren. UNAMA, die UN-Organisation in Afghanistan, macht regelmäßig die »Taliban« für etwa dreiviertel der getöteten Zivilpersonen verantwortlich, meist als Folge der Detonationen von Sprengfallen. Dabei weisen Studien des US-Militärgeheimdienstes Defence Intelligence Agency (DIA) von 2010 bis 2012 aus, daß lediglich 20 bis 30 Prozent der Angriffe der »Taliban« gegen Zivilpersonen gerichtet sind, hauptsächlich, also in 70 bis 80 Prozent der Angriffe, sind ISAF-Truppen und afghanische Sicherheitskräfte das Ziel.

Die US-amerikanische Professorin Crawford von der Universität Boston hatte insgesamt 14 Einzelstudien, die Schätzungen über tote Zivilisten in unterschiedlichen Zeiträumen abgeben, ausgewertet und ist für den Zeitraum bis Juni 2011 auf einen Rahmen von 12700 bis 14500 gekommen. Diese Zahlen bezeichnet Crawford selbst als konservativ.

Die unabhängigste Quelle für die Ermittlung von Opfern unter Zivilisten in Afghanistan dürfte UNAMA sein. Sie gibt die Zahl der getöteten Zivilisten für den Zeitraum 2007 bis Ende 2013 mit 17687 an. Darin sind die Toten vor 2007 nicht berücksichtigt, die Crawford mit etwa 3500 beziffert. Somit ergibt sich eine Gesamtzahl von 21200 getöteten Zivilpersonen bis Ende 2013. Auch diese Zahl erscheint in der Tat als relativ niedrig, bedeutet sie doch lediglich eine Rate von 5,9 Getöteter auf 100000 Einwohner Afghanistans. Damit läge diese Tötungsrate noch unter jener von Frankfurt am Main, die 2010 immerhin 6,9 pro 100000 Einwohner betrug. Man wird ja wohl kaum davon ausgehen können, daß das Leben in Afghanistan sicherer ist als das in Frankfurt, wenn man bedenkt, daß in Afghanistan im Durchschnitt in jeder Nacht ein Dutzend Razzien durchgeführt werden und täglich durchschnittlich elf Luftschläge erfolgen.

Für diese niedrig angesetzten Zahlen gibt es einen Grund. Die Special Operations Forces (SOF) der USA operieren so geheim, daß selbst das reguläre US-Militär weder über die Einsätze, geschweige denn über die Zahl der toten Zivilisten, Angaben machen kann. Die Größenordnung, in der diese Tötungen geschehen, macht eine US-Studie von Larry Lewis und Sarah Sewall über Zivilopfer deutlich: »Zwischen 2007 und Mitte 2009 verursachten SOF-Operationen (inklusive direkte SOF-Luftschläge) etwa die Hälfte aller von den USA verursachten zivilen Opfer.« Die oben erwähnte DIA-Studie weist aus, daß die Zahl der verübten »Taliban«-Anschläge jahreszeitlich bedingt zwischen 60 und 150 pro Tag schwankt (2010 bis 2012). Allein im Jahr 2012 waren es insgesamt etwa 37000.

Klar wird, daß die passive Methode zu viel zu geringen Zahlen führt. Aber wie hoch ist die Zahl der getöteten Zivilisten in Afghanistan tatsächlich? Gibt es eine Relation zwischen den beiden Ermittlungsmethoden, also zwischen Schätzungen, die auf Umfragen beruhen, und der passiven Methode? In der Tat gibt es Untersuchungen, aus denen sich gewisse Rückschlüsse ziehen lassen.

Die umfangreichste ist die im British Medical Journal 2008 veröffentlichte Arbeit US-amerikanischer Wissenschaftler von der Universität Seattle und Harvard, die die Zahlen der toten Zivilisten in 13 Kriegen zwischen 1955 und 2002 analysierten und die Ergebnisse beider Untersuchungsmethoden gegenüberstellten. Sie stellen fest, daß nur durchschnittlich etwa ein Drittel der Getöteten in den Medien Erwähnung findet, also die tatsächliche Zahl getöteter Zivilpersonen im Durchschnitt um den Faktor drei höher liegt, als veröffentlichte Zahlen suggerieren. Allerdings ist die Schwankungsbreite in den betrachteten Kriegen sehr hoch: Das eine Extrem ist das 0,7-fache, was bedeutet, daß in den Medien mehr Tote auftauchen als durch Befragungen ermittelt werden, und das andere Extrem ist das 4,6-fache.

Hier nun einfach den Durchschnittswert aller 13 untersuchten Kriege zu nehmen, nämlich das Dreifache an Ziviltoten anzunehmen, erscheint konkret auf Afghanistan bezogen als willkürlich. Denn die Untersuchung zeigt eben erhebliche methodische Schwächen, wenn in manchen Ländern sogar weniger Kriegstote durch Umfragen ermittelt als registriert wurden. Hinzu kommt, daß, verglichen mit dem Irak, wo die Urbanisierung ausgeprägter und die Beobachtung durch in- und ausländische Medien intensiver ist als in Afghanistan, die Registrierung von toten Zivilisten in Afghanistan bedeutend lückenhafter erfolgte. Da für den Irak in der Studie des renommierten Medizinfachblatts The Lancet festgestellt wurde, daß durch die passive Methode lediglich jede vierte bis fünfte Gewalttat US-amerikanischer Soldaten an Zivilisten (siehe jW vom Wochenende) erfaßt worden war, bedeutet dies für Afghanistan mindestens eine ebenso hohe Fehlerquote. Hinzu kommt, daß in der Gruppe getöteter »Taliban« fälschlicherweise eine nicht bestimmbare Zahl von Zivilpersonen eingeordnet wurde. So lassen sich von interessierter Seite unbeabsichtigte Zivilopfer vor der Öffentlichkeit leicht verstecken.

Möglicherweise liegt also die reale Zahl getöteter Zivilpersonen unter Umständen fünf- bis sogar achtmal so hoch wie die mit 21200 konservativ geschätzte Zahl. 21200 markiert eine Untergrenze. Die Faktoren fünf bzw. acht zugrunde gelegt, würde bedeuten, daß es 106000 bis 170000 zivile Tote in Afghanistan zu beklagen gibt.

Addieren wir sämtliche Kategorien von Kriegstoten, so schätzen wir ihre Zahl für Afghanistan auf 184000 bis 248000 bis Ende 2013. Umgerechnet ergeben sich so seit Kriegsbeginn zwischen 1171 und 1579 Kriegstote im Monat. Es gibt weitere Indizien für die Seriösität dieser Zahlen. Für den Monat Juni 2013 gab das afghanische Innenministerium an, daß insgesamt 1200 Menschen getötet worden seien. Unter Berücksichtigung der lückenhaften Beobachtungen erscheinen unsere Schätzungen also sogar noch niedrig.

Pakistan

Afghanistans Nachbar Pakistan befindet sich ebenfalls im Krieg, und das hat im wesentlichen vier Ursachen: erstens die Vertreibung der Al-Qaida-Führung sowie Tausender »Taliban«-Kämpfer aus Afghanistan nach Pakistan seit Ende 2001, die seitdem dort ihre Hauptquartiere unterhalten und Kämpfer ausbilden; zweitens das historische Siedlungsgebiet der Paschtunen diesseits und jenseits der afghanisch-pakistanischen Grenze, die von der afghanischen Regierung nicht anerkannt wird; drittens die Funktion Pakistans als Träger der bedeutendsten Nachschubrouten für USA und ISAF in das Land am Hindukusch und viertens der Umstand, daß Pakistan und Indien Afghanistan als Hinterland zur Austragung ihres Dauerkonflikts betrachten. Der letzte Grund ist ursächlich für die pakistanische Unterstützung der »Taliban«. Eine »Taliban«-Regierung in Kabul würde Islamabad ein strategisch sicheres Hinterland gegenüber dem Erzfeind in Dehli gewährleisten. In jedem Fall ist der Krieg in Pakistan Folge des US-/NATO-Krieges in Afghanistan. Ersterer begann 2004 mit dem massiven Vorgehen des pakistanischen Militärs gegen Al-Qaida-Verstecke und gegen die »Taliban« in Südwasiristan. Die damit verbundene Hoffnung, den Krieg einzudämmen, hat sich ins Gegenteil verkehrt. Er intensivierte sich, terroristische Gegenschläge häuften sich, und so breitete sich der Krieg auf andere Gebiete Pakistans aus. Unter erheblichem Druck der USA gehen die pakistanischen Regierungen gegen die sich 2007 gebildete Formation der Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP) vor, einem Bündnis aus mehr als einem Dutzend dschihadistischer Gruppen, die auch »pakistanische Taliban« genannt werden. Zulauf erhalten diese Gruppen aufgrund der prekären sozialen Lage der pakistanischen Jugend, dem brutalen Vorgehen der pakistanischen Armee mit schweren Waffen und den terrorisierenden Killerdrohnenangriffen der CIA.

Getötete Zivilpersonen

Crawford beruft sich in ihren Untersuchungen auf zwei unabhängige Quellen: auf das »Pak Institute for Peace Studies«, kurz PIPS, in Islamabad und auf das »South Asia Terrorism Portal« in Neu-Delhi. Crawford macht sich die konservativen PIPS-Studien zu eigen. Demnach wurden von 2005 bis 2010 34242 Zivilpersonen getötet. Diese Zahl unterliege allerdings einer noch größeren Unsicherheit als jene aus Afghanistan, bemerkt Crawford, weil der Zutritt zu den betroffenen Regionen in Pakistan begrenzter sei. Für 2011 waren es zusätzlich 6550 und für 2012 4711 getötete Zivilpersonen in Pakistan. Für das Jahr 2013 ermittelte das South Asia Terrorism Portal 3001 tote Zivilisten in Pakistan. Somit ergibt sich eine Gesamtzahl von wahrscheinlichen Zivilopfern bis Ende 2013 von 48504. Addiert werden müssen noch die geschätzten zivilen Drohnenopfer. Das Londoner »Bureau of Investigative Journalism« führt darüber Buch und gibt bis Ende 2013 die Zahl der durch US-Drohnen in Pakistan getöteten Zivilpersonen mit 416 bis 951 an. Somit ergeben sich etwa 49000 Zivilopfer des Krieges in Pakistan bis Ende 2013. Grundsätzlich besteht jedoch auch hier wieder das Problem, daß diese Zahl lediglich aus Medienmeldungen und Krankenhausberichten resultiert und nicht auf wissenschaftlichen Umfragen beruht und wahrscheinlich wesentlich höher liegt.

Getötete Sicherheitskräfte

Über die Zahl der in Pakistan getöteten Militanten und Sicherheitskräfte führt das »South Asia Terrorism Portal« akribisch Buch. Es kommt bis Ende 2013 auf 26862 getötete »Terroristen« bzw. Aufständische und auf 5498 getötete pakistanische Sicherheitskräfte. Somit ergibt sich bis Ende 2013 eine Gesamtzahl von mehr als 80000 getöteten Pakistani – Kombattanten und Nichtkombattanten – infolge des Krieges.

Addieren wir die für den Bereich AFPAK bestimmten Schätzungen ergibt sich eine Gesamtbilanz von 265000 bis 330000 Kriegstoten. Der Zahl von 108000 getöteten Kombattanten steht die größere Zahl von 157000 bis 221000 getöteten Nichtkombattanten gegenüber. Die Zahl der getöteten Unbeteiligten liegt also um 50 bis 100 Prozent über der Zahl der getöteten Kombattanten. Diese geschätzten Zahlen in als seriös geltenden Quellen über direkt Getötete übersteigen etwa um den Faktor zehn die in der öffentlichen Wahrnehmung hierzulande verfügbaren Zahlen. Möglicherweise wäre die Ablehnung des Krieges in unserer Gesellschaft noch sicht- und spürbarer, wenn den Menschen diese tatsächlich angerichteten Kriegsschäden bewußt wären. Dabei sind in den Studien nur die direkten Todesopfer erfaßt. Die Verletzten und Verstümmelten sind ebensowenig registriert wie die indirekt Getöteten. Mit indirekt durch den Krieg Getöteten sind jene gemeint, die an Mangelerkrankungen wie Unterernährung und Krankheiten, meist auf der Flucht, sterben und die ohne Krieg erfolgreich hätten behandelt werden können. Nur für Afghanistan liegt eine einzige Schätzung über indirekt Getötete vor. Eine Veröffentlichung im britischen Guardian im Mai 2002 kommt aufgrund von Befragungen unter Hilfsorganisationen vor allem in Flüchtlingslagern auf 20000 bis 49600 indirekt Getötete. Diese Zahl liegt um das Zwei- bis Fünffache über der Zahl der direkt Getöteten.

* Lühr Henken ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und arbeitet in der bundesweiten »Drohnen-Kampagne« mit.

Aus junge Welt, Montag, 7. Juli 2014


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