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Das Trauerspiel von Afghanistan

Der Abzug sowjetischer Truppen und ein Bürgerkrieg, der bis heute dauert

Von Till Bastian *

Vor 25 Jahren, am 15. Februar 1989 überquert ein Kontingent sowjetischer Truppen jene Brücke über den Fluss Amu-Darja, der die Grenze zwischen Afghanistan und der damaligen Sowjetunion (heute Turkmenistan und Usbekistan) bildet. General Boris Gromow, 46 Jahre alt, passiert – von einer Fernsehkamera aufmerksam beobachtet – die Brücke zu Fuß. Er ist der letzte sowjetische Soldat, der das Land verlässt, in das seine Truppen zehn Jahre zuvor, am 25. Dezember 1979 eingerückt waren – ein Schritt, den Gromow später als einen großen Fehler bezeichnet.

Zehn Jahre Krieg haben rund 15 000 Soldaten der UdSSR das Leben gekostet. Das besetzte Land versank nach dem Abzug der Interventionstruppen bald in einen langjährigen Bürgerkrieg, in dem sich diverse islamistische Fraktionen erbittert bekämpften – etliche davon großzügig von den USA, aber auch von anderen fremden Mächten alimentiert. Aus diesem Bürgerkrieg, der im Prinzip bis heute andauert, gingen schließlich die Taliban als vorläufige Sieger und Beherrscher des Landes hervor – am 27. September 1996 eroberten sie die Hauptstadt Kabul.

Im August 1839, 150 Jahre vor dem Ende der zehnjährigen sowjetischen Militärintervention, hatte eine britisch-indische Armee von über 16 000 Soldaten die afghanische Hauptstadt erobert und den damaligen Herrscher des Landes, Dost Mohammed, vertrieben. Die eroberte Region befriedet wähnend, verringerten die Briten bald nach ihrem siegreichen Einzug die Stärke der Kabuler Garnison – bis im Herbst 1841 ein Aufstand ausbrach, in dessen Verlauf auch die britischen Agenten Alexander Burnes (am 2. November 1841) und William McNaghten (am 23. Dezember 1841) getötet wurden; diese beiden Männer, heftig miteinander zerstritten, hatten gehofft, als britischer Gesandter in Afghanistan Karriere zu machen. »Das Land ist ruhig«, hatte McNaghten noch wenige Tage vor seinem Tod notiert. Indes, das Land war in Aufruhr, und am 6. Dezember begann der eilige Rückzug von rund 15 000 Soldaten, Frauen und Kindern aus Kabul. Es war ein Marsch in den sicheren Tod – niemand von ihnen überlebte. Einzig der Diese grausigen Ereignisse inspirierten britische Maler zu heroischen Bildern und den deutschen Dichter Theodor Fontane zu seiner Ballade »Das Trauerspiel von Afghanistan« (1859), deren letzte Strophe lautet: »Die hören sollen, sie hören nicht mehr/ vernichtet ist das ganze Heer/ mit dreizehntausend der Zug begann/ einer kam heim aus Afghanistan …«

Diesem Trauerspiel schlossen sich noch zwei weitere britisch-afghanische Kriege an; dennoch konnten die so streitbaren wie untereinander zerstrittenen Bewohner des Landes verhindern, dass es vollständig dem britischen Empire eingegliedert wurde; schon 1919 erreichte es die volle, völkerrechtlich allgemein anerkannte Souveränität. Aber als sechzig Jahre später die Kämpfe zwischen einer mit der UdSSR verbündeten Regierung einerseits und islamischen Aufständischen andererseits an Heftigkeit immer mehr zunahmen, rollten Ende 1979 sowjetische Panzer ins Land und machten dieser Souveränität mit Gewalt ein Ende.

Wenn man die Geschichte Afghanistans vorurteilslos betrachtet, scheinen die immer rascher aufeinander folgenden Militärinterventionen immer länger und verlustreicher zu werden (insbesondere für die Zivilbevölkerung): 1842 kamen nur wenige Einheimische zu Schaden, aber das britisch-indische Heer wurde samt Gefolge fast völlig vernichtet; auf die 15 000 zwischen 1979 und 1989 gefallenen Sowjetsoldaten hingegen entfielen eine bis anderthalb Millionen Tote in der Zivilbevölkerung, dazu kamen noch rund fünf Millionen Flüchtlinge. Die letzte große Militärintervention in Afghanistan, diesmal von den USA geführt und von den Vereinten Nationen abgesegnet, begann im Herbst 2001, fünf Jahre nach dem Sieg der Taliban, und sie soll im laufenden Jahr 2014 ihr Ende finden. Auf dem Höhepunkt der kombinierten Militäroperationen »Enduring Freedom« und »ISAF« standen über 130 000 fremde Soldaten im Land (rund 100 000 davon aus den USA, 4715 aus Deutschland.) – über 3300 von ihnen sind bis dato gefallen, davon über 2500 seit 2008. Die Verluste der Zivilbevölkerung sind nicht zu ermessen. Schon bei jenem verhängnisvollen Luftangriff etwa 15 Kilometer von der deutschen Basis in Kundus entfernt, den ein deutscher, mittlerweile zum General beförderter Offizier am 4. September 2009 angefordert hatte, sind mit (nach NATO-Angaben) 142 Todesopfern, darunter etliche Kinder, mehr tote Zivilisten zu beklagen als die Bundeswehr in den 13 Jahren ihrer Militärpräsenz an Opfern bis dato zu verzeichnen hat (bisher insgesamt 54 Tote, Unfälle und Suicide eingerechnet.).

Nun ziehen die fremden Truppen ab. »Wenn wir nicht willkommen sind, dann können und werden wir natürlich nicht nach 2014 bleiben«, so NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen Ende Januar in einem Interview. Freilich täten Politiker wie er besser daran, zu fragen, ob die von ihnen kommandierten Truppen in Afghanistan je wirklich willkommen gewesen sind. Die Zukunft des Landes jedenfalls dürfte als völlig offen gelten; relativ sicher hingegen scheint, dass auch die Militärintervention von 2001 das Schicksal des Landes nicht zum Besseren wendete.

* Dr. Till Bastian, Sohn vom Friedensgeneral Gert Bastian, ist in der Friedensforschung tätig und hat zahlreiche Sachbücher verfasst, u. a. »55 Gründe, mit den USA nicht solidarisch zu sein«.

Aus: neues deutschland, Samstag, 15. Februar 2014



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