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US-Generäle setzen sich durch

Washingtons Streitkräfte sollen auch nach dem »Abzug« aus Afghanistan direkt Aufständische bekämpfen

Von Knut Mellenthin *

Das Unterhaus des afghanischen Parlaments hat am Sonntag dem Stationierungsabkommen mit den USA zugestimmt, das den Verbleib amerikanischer Truppen bis mindestens 2024 erlaubt. Bis dahin werden den US-Streitkräften zahlreiche strategisch wichtige Stützpunkte zur exklusiven oder gemeinsamen Nutzung überlassen. Die Billigung des Abkommens erfolgte mit 152 zu fünf nahezu einstimmig. Das Ergebnis drückt die Überzeugung aller parlamentarischen Kräfte aus, dass ohne militärische Präsenz der NATO die Taliban und andere Aufständische unvermeidlich die Oberhand gewinnen würden. Der Vertrag muss nun noch vom Oberhaus bestätigt werden, bevor er in Kraft treten kann.

Auf das sogenannte Sicherheits- und Verteidigungsabkommen hatten sich die USA und Afghanistan schon am 20. November vorigen Jahres geeinigt. Der damalige Präsident Hamid Karsai verweigerte jedoch seine Unterschrift, bevor nicht eine Reihe von Bedingungen erfüllt würde. Dazu gehörte ein Verzicht der USA auf Luftangriffe gegen Städte und Dörfer und eine Garantie, dass die im Land bleibenden amerikanischen Streitkräfte nicht Krieg auf eigene Faust führen. Erst Karsais Nachfolger Ashraf Ghani unterzeichnete den Vertrag sofort nach seinem Amtsantritt Ende September. Er scheint auch bereit, auf jede Kritik am militärischen Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten zu verzichten und ihnen weitgehend freie Hand zu lassen.

Dadurch wird der Weg frei für eine Neubestimmung der künftigen Aufgaben der westlichen Truppen, über die die New York Times am Freitag auf Grundlage von Insiderinformationen ausführlich berichtete. Im Gegensatz zu früheren Versprechungen Obamas, dass es sich nicht um einen »Kampfauftrag« handeln werde, sollen die US-Truppen nun doch eine »direkte Rolle« bei der Bekämpfung der Aufständischen spielen. Bisher war nur von Operationen zur Ausschaltung der »Reste von Al-Qaida« die Rede gewesen. Nach der Veränderung dieses Konzepts sollen US-Soldaten auch gegen die Taliban offensiv vorgehen, »wenn diese direkt die Streitkräfte der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan gefährden, Al-Qaida direkte Unterstützung leisten« oder eine Gefahr für die afghanische Regierung darstellen. Praktisch bedeutet das, dass jede Einschränkung für Kampfeinsätze entfällt, da sich mindestens einer der genannten Gründe immer konstruieren lässt. Einer Beweispflicht unterliegt Washington ohnehin nicht.

Die erweiterten Richtlinien erlauben den US-Streitkräften auch den Einsatz von Kampfflugzeugen und bewaffneten Drohnen gegen die Aufständischen. Beschränkungen für Luftangriffe, die Karsai immer wieder zur Vermeidung ziviler Opfer durchzusetzen versucht hatte, entfallen unter seinem Nachfolger völlig. Die New York Times schreibt, dass Karsais Restriktionen für die Anforderung amerikanischer Luftunterstützung schon in den letzten Monaten seiner Amtszeit von afghanischen Generälen »gelegentlich« ignoriert worden seien. Obama habe mit seiner Entscheidung dem Druck der militärischen Führung nachgegeben, so die Zeitung. Ausschlaggebend dafür seien sowohl der Zusammenbruch der irakischen Streitkräfte im Sommer als auch die veränderte Lage durch Ghanis Amtsübernahme gewesen.

Die Neubestimmung des Auftrags der US-Truppen betrifft zwangsläufig auch ihre Verbündeten, darunter die deutsche Bundeswehr. Sie soll nach dem Willen der Berliner Koalition mit 850 Soldaten in Afghanistan »präsent bleiben«. Die offizielle Versicherung, dass dies »kein Kampfeinsatz« sei, dürfte sich spätestens nach der US-amerikanischen Umorientierung erledigt haben. 9.800 US-Soldaten sollen nach dem simulierten »Abzug« im Dezember weiter in Afghanistan bleiben. Hinzu kommen 3.000 bis 4.000 Soldaten der Verbündeten. Obama hat bisher versprochen, dass Ende 2016 wirklich endgültig Schluss sein soll. Aber das letzte Wort werden vermutlich auch in dieser Frage die Generäle haben.

* Aus: junge Welt, Montag, 24. November 2014


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