Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Todesschwadronen

US-Krieg in Afghanistan

Von Knut Mellenthin *

Auch wenn Präsident Barack Obama etwas anderes vorzutäuschen versucht: Die USA führen immer noch Krieg in Afghanistan. Am Dienstag töteten ihre Kampfflugzeuge in der an Pakistan grenzenden Provinz Kunar mindestens elf Zivilisten und verletzten zwölf weitere. Unter den Toten waren zwei Frauen und zwei Kinder. Die US-Luftwaffe hatte offenbar eine Gruppe von Dorfbewohnern angegriffen, die gerade von der Feldarbeit heimkehrte. Etwas später attackierte sie in einer zweiten Angriffswelle die Menschen, die herbeigeeilt waren, um Verletzten zu helfen und Tote zu bergen. Zuvor war nach Darstellung des Polizeichefs von Kunar eine gemeinsame Patrouille von US-amerikanischen und afghanischen Soldaten in einen Hinterhalt Aufständischer geraten. Daraufhin hatten US-Offiziere Luftunterstützung angefordert.

Wie schon in früheren Fällen protestierte Präsident Hamid Karsai mit verbaler Schärfe gegen die Tötung der Zivilisten. Dabei weiß er so gut wie alle anderen mit den USA kollaborierenden Politiker, daß das der unvermeidliche Preis ist, der immer wieder für die von ihnen im Prinzip durchaus gewünschte Anwesenheit der US-Streitkräfte gezahlt werden muß. Am 22. August hatten die USA in der Provinz Logar eine Drohne gegen eine Gruppe von Straßenarbeitern eingesetzt, die vielleicht irrtümlich für Minenleger gehalten worden waren. Drei Männer starben, zwei wurden schwer verletzt. Einen Tag zuvor hatten US-Soldaten in der Provinz Herat zwei Kinder erschossen, die in der Nähe ihres Stützpunkts Schrott und Abfälle gesammelt hatten. Gleichfalls in Herat tötete ein US-Kampfhubschrauber am 4. August vier Mitglieder einer Familie – zwei Männer, eine Frau und ein Kind –, die gemeinsam auf einem Motorrad unterwegs gewesen waren. In allen Fällen stritt das US-Militär die von den afghanischen Behörden bestätigten Ereignisse ab.

Die US-Streitkräfte sind in Afghanistan immer noch mit fast 33000 Mann präsent, obwohl in den vergangenen Jahren schon ein paarmal pathetische Abschiedszeremonien stattfanden. Zusammen mit ihren Verbündeten bringen sie es auf 40000 Soldaten. Am Jahresende wird es zur Täuschung der Bevölkerung der Interventionsstaaten erneut große Abschiedsfeiern geben. In Wirklichkeit werden auch nach dem simulierten Abzug 9800 US-Soldaten in Afghanistan bleiben. Neben dem vorgeschobenen Zweck, einheimische Truppen auszubilden, sollen sie den Kampf gegen die Aufständischen unter dem neuen Titel »Terrorismusbekämpfung« fortsetzen.

Das soll aber nur bis Ende 2016 dauern, hat Obama versprochen. Dann würden wirklich alle Soldaten abgezogen. Tatsache ist jedoch: Der Friedensnobelpreisträger wird in zwei Jahren das sein, was die Amerikaner eine »lahme Ente« nennen, also ein Präsident, dessen Amtszeit zu Ende geht und dessen Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt sind. Über den Truppenabzug werden dann andere entscheiden.

* Aus: junge Welt, Samstag 13. September 2014 (Kommentar)


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Afghanistan-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage