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Ernüchternde Zahlen

Afghanistan: Vom Westen gepriesene Wahl von Betrug und Einschüchterungen geprägt

Von Knut Mellenthin *

Bei der afghanischen Präsidentenwahl am 5. April wurde offenbar noch mehr gefälscht und manipuliert als bei der vorausgegangenen Skandalwahl 2009. Damals mußten nach langem Hin und Her rund eine Million Stimmzettel, mehr als ein Fünftel aller offiziell gezählten Stimmen, nachträglich für ungültig erklärt werden. Dadurch wurde ein zweiter Wahlgang erforderlich.

Die Wahl am Sonnabend vor zwei Wochen war in den westlichen Mainstreammedien unisono als »Triumph der Demokratie« gefeiert worden. Das bezog sich hauptsächlich auf die amtlich gemeldete hohe Wahlbeteiligung von 58 Prozent. Angeblich hatten von zwölf Millionen Wahlberechtigten sieben Millionen ihre Stimme abgegeben. Es gibt allerdings gute Gründe, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Verdächtig war auch die blitzartige Geschwindigkeit, mit der sie schon kurz nach Schließung der Wahllokale in die Welt geschickt wurden. Immerhin gab es über 6000 Wahlbüros, viele davon auf dem Land, und mit dem vorläufigen Endergebnis wird erst am 24. April gerechnet.

Am Montag teilte die zentrale Wahlkommission mit, daß innerhalb der gesetzlichen Frist mindestens 3724 Beschwerden gegen den Wahlablauf eingegangen seien. Die Endzahl könnte sogar etwas höher liegen, da am Montag noch nicht alle örtlich eingereichten Proteste in der Hauptstadt Kabul eingegangen waren. Bei der Präsidentenwahl vor fünf Jahren hatte es 3072 Beschwerden gegeben. 870 der jetzt angeführten Vorfälle werden der Kategorie »Priorität A« zugerechnet. Das bedeutet, daß sie – falls sich die Beschwerden als berechtigt herausstellen sollten – die Gültigkeit des Wahlergebnisses gefährden könnten. 2009 gab es 815 gemeldete Zwischenfälle dieser Kategorie.

Einige Beispiele für die jetzt vorliegenden Beschwerden: In Kandahar, der zweitgrößten Stadt des Landes, im überwiegend paschtunischen Süden, behaupten zahlreiche Personen, sie seien von der Polizei daran gehindert worden, zu ihrem Wahllokal zu gelangen, oder sie seien genötigt worden, für einen bestimmten – vom noch amtierenden Präsidenten Hamid Karsai protegierten – Kandidaten zu stimmen. In der Provinz Khost im gleichfalls paschtunischen Osten soll ein Parlamentsabgeordneter mit gezogener Waffe die Herausgabe der Wahlurnen erzwungen haben. In einer nicht namentlich bezeichneten Provinz beschlagnahmten Soldaten Hunderte von vorgefertigten, mit falschen Stempeln »beglaubigten« Stimmzetteln, allesamt ausgefüllt zugunsten eines der acht Kandidaten.

959 der 7171 Wahllokale waren laut offizieller Mitteilung der zentralen Wahlkommission »aus Sicherheitsgründen« gar nicht erst geöffnet worden. Das sind immerhin 13,4 Prozent. Außerdem gab es in vielen Wahllokalen bei weitem nicht genug Stimmzettel. Zehntausende, vermutlich sogar Hunderttausende wurden auf diese Weise am Wählen gehindert. Andererseits war schon vor dem Wahltag bekanntgeworden, daß viel mehr Wahlausweise ausgestellt worden waren als es überhaupt Wahlberechtigte gab. Die Zahlenangaben liegen zwischen 15 und 21 Millionen – gegenüber angeblich nur zwölf Millionen Wahlberechtigten.

Am Sonntag gab die zentrale Wahlkommission ein erstes Zwischenergebnis bekannt. Es beruht auf der Auszählung von 500000 Stimmen aus 26 der 34 Provinzen Afghanistans. Das entspricht, so heißt es, ungefähr zehn Prozent der dort abgegebenen Stimmen. Demnach liegen zwei der acht Kandidaten mit weitem Vorsprung nahe beieinander an der Spitze. Auf den vom Westen hoch favorisierten Außenminister Abdullah Abdullah sollen 41,89 Prozent der bis dahin ausgezählten Stimmen entfallen. Knapp dahinter liege der frühere Weltbank-Manager und Finanzminister Aschraf Ghani mit 37,6 Prozent. Sollte es dabei bleiben, daß keiner der beiden die absolute Mehrheit erreicht, müßte Ende Mai eine Stichwahl stattfinden. Der von Karsai unterstützte Außenminister Zalmai Rassul wäre diesem Zwischenergebnis zufolge mit 9,8 Prozent hoffnungslos abgeschlagen

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 16. April 2014


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