Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Feiern zum Jubiläum der "Morgenröte"

50 Jahre Afrikanische Union / Brasilien erlässt zwölf Staaten Schulden *

Mit einem umfangreichen Programm und ranghohen Gästen hat die Afrikanische Union (AU) den 50. Gründungstag des Staatenbundes gefeiert.

In seiner Eröffnungsrede würdigte Äthiopiens Regierungschef Hailemariam Desalegn als Gastgeber in Addis Abeba am Wochenende den »Aufschwung« Afrikas. Die Gründer der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), Vorgängerin der AU, hätten sich vor fünfzig Jahren in der »Morgenröte der Unabhängigkeit« zusammengeschlossen, sagte Desalegn. Heute versammelten sich die Staats- und Regierungschefs »zu einer Zeit, da Afrika emporstrebt«. Das Ziel der Organisation sei es, »einen Kontinent frei von Armut und Konflikt zu schaffen«. AU-Kommissionschefin Nkosazana Dlamini-Zuma sagte, der Staatenbund suche nach »afrikanischen Lösungen für afrikanische Probleme«.

Wegen ihres Rohstoffreichtums und ihres wirtschaftlichen Potenzials werden die afrikanischen Länder zunehmend international umworben. Die Bedeutung der Region spiegelte sich in der Gästeliste der AU-Jubiliäumsfeier wider. Angereist waren Frankreichs Staatschef François Hollande, US-Außenminister John Kerry und UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon. Auch Brasiliens Staatschefin Dilma Rousseff und der chinesische Vizeregierungschef Wang Yang kamen. Desalegn dankte China ausdrücklich für seine großen Investitionen in Afrika in den vergangenen Jahren.

Rousseff kündigte in Addis Abeba an, zwölf afrikanischen Ländern Schulden in Höhe von insgesamt 900 Millionen Dollar (700 Millionen Euro) zu erlassen. Eine besondere Beziehung zu Afrika sei »von strategischer Bedeutung für Brasiliens Außenpolitik«, erklärte Rousseffs Sprecher Thomas Traumann zur Begründung. Ziel sei es, die ökonomischen Beziehungen zwischen Brasilien und Afrika weiter auszubauen. 2012 habe der Handel zwischen beiden Regionen rund 20,5 Milliarden Euro betragen. Vom Schuldenerlass profitieren unter anderem die Republik Kongo (Brazzaville) mit einem Schuldenstand von rund 272 Millionen Euro und Tansania (Schulden: etwa 183 Millionen Euro). Weitere Begünstigte sind Côte d'Ivoire und die Demokratische Republik Kongo (Kinshasa).

Hollande nutzte das Jubiläum, um alle afrikanischen Staatschefs für den 6. und 7. Dezember zu einer Sicherheitskonferenz in Paris einzuladen. Das Treffen solle sich »dem Frieden und der Sicherheit und damit in gewisser Weise auch dem Kampf gegen den Terrorismus« widmen, sagte er. »Wir werden gemeinsam Wege für eine bessere Kooperation finden, um Konflikten vorzubeugen und mit ihnen umzugehen«, so Hollande. Die Sicherheitsfrage sei neben der Entwicklung des Kontinents und Umweltproblemen die größte Herausforderung für Afrika, fügte der Präsident hinzu.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle gratulierte der Afrikanischen Union, die »die Stimme eines Kontinents im Aufschwung« sei. Deutschland wurde in Addis Abeba von der Botschafterin in Äthiopien vertreten.

Für die Feierlichkeiten mit rund 10 000 Gästen stellte die AU 1,27 Millionen Dollar (981 000 Euro) bereit, wie das südafrikanische Institute for Security Studies unter Berufung auf offizielle Dokumente mitteilte. Auf dem Programm stand auch eine Musik-Show mit afrikanischen Musikern wie dem kongolesischen Sänger Papa Wemba sowie etwa hundert Tänzern.

Auf dem bis diesen Montag tagenden Gipfel wird unter anderem der Armee-Einsatz gegen die Islamisten in Mali sowie der Konflikt zwischen Rebellen und Armee in der DR Kongo besprochen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 27. Mai 2013


Afrika zieht Bilanz

Ist der 50. Jahrestag der Gründung der "Organisation für Afrikanische Einheit" ein Anlaß zum Feiern?

Von Jörg Tiedjen **


Ist der 50. Jahrestag der Gründung der »Organisation für Afrikanische Einheit« (OAU) ein Anlaß zum Feiern? Auf jeden Fall war er eine Gelegenheit, sich in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba zu versammeln, jenem Ort, an dem am 25. Mai 1963 die Oberhäupter von 32 afrikanischen Staaten den Grundstein für die afrikanische Einheit legten und wo 2002 auch die »Afrikanische Union« (AU) als Nachfolger und Erbe der OAU das Licht der Welt erblickte.

Die Namen vieler Gründerväter der afrikanischen Einheit sind heute Legende: Kwame Nkrumah aus Ghana, Haile Selassi aus Äthiopien, Modibo Keita aus Mali, Gamal Abdel Nasser aus Ägypten, kurz: Es waren die Wortführer eines erbitterten Kampfes gegen Kolonialismus und Rassismus, der 1984 mit dem Beitritt Südafrikas zur OAU seinen größten Sieg feierte, der aber auch zahlreiche Opfer und Verluste zu verzeichnen hatte, durch Putsch und politischen Mord, Krieg und Bürgerkrieg.

Wenn die Namen der afrikanischen Staatschefs und ihrer Ehrengäste, die sich am Samstag in der »Millenium Hall« versammelten, die in der äthiopischen Hauptstadt wie eine Insel des Fortschritts aus einem Meer von Armut herausragt, auch weniger klangvoll erscheinen, ihre Liste ist so lang und prominent, daß der Platz nicht reichte, sie alle zu nennen. Einfacher ist da schon, an die zu erinnern, die abwesend waren. So Mahamadou Issoufou, Präsident Nigers: Er sah sich am Donnerstag mit einem Angriff von Dschihadisten im Norden des Sahel-Landes konfrontiert, zu dessen Niederschlagung französische Spezialtruppen intervenierten.

Bitter beklagte sich Issoufou am Samstag über das Chaos im Nachbarland Libyen, Auslöser schon für den Tuareg-Aufstand in Mali. Aus Libyen sollen auch die Attentäter vom Donnerstag gekommen zu sein, denen es gelang, die Uranproduktion in der französischen AREVA-Mine in Arlit zeitweilig zu unterbrechen: »Das Schlimmste von allem ist die Anarchie«, so Issoufou. »Es ist eine Tatsache, daß Libyen weiter eine Quelle der Instabilität für die Länder des Sahel darstellt.«

Das ist natürlich eine Anspielung auf einen zweiten Abwesenden bei der Feierstunde, nämlich der im Oktober 2011 ermordete libysche Ex-Staatschef Muammar Al-Ghaddafi, der bei allem, was man gegen ihn sagen mag, einige der ambitioniertesten Projekte der AU wie die afrikanische Entwicklungsbank auf den Weg brachte und mehr als jeder andere Staatsführer den Traum der »Vereinigten Staaten von Afrika« träumte. Die demütigende Art und Weise, wie die NATO die AU in Libyen als Vermittler ausbootete, war einer der jüngsten Belege für deren immer wieder schmerzhafte Machtlosigkeit.

Dennoch waren mit dem französischen Staatspräsidenten François Hollande und US-Außenminister John Kerry Vertreter der beiden Staaten nach Addis Abeba gereist, die in der Vergangenheit am eifrigsten bemüht waren, die afrikanische Einheit zu sabotieren – und entscheidend mithalfen, Ghaddafi zu liquidieren. ­Hollande, dessen Truppen nach wie vor unter anderem in Mali und nun auch Niger intervenieren, lud die afrikanischen Staatsführer für Dezember nach Paris ein: zu einem Gipfel gegen den Terror, den die Politik des Westens allerdings nach Kräften geschürt hat – um nun im Kampf gegen ihn seine Truppen in die betroffenen Länder zu senden.

In der Zwischenzeit dürfen sich nicht allein die Nigrer weiter darüber wundern, wie es sein kann, daß Länder wie Frankreich, die ihre Bodenschätze abtransportieren, zu den reichsten Nationen der Welt zählen, während ihnen selbst nur ein Platz am unteren Ende aller Entwicklungsstatistiken zugedacht scheint.

Es waren Gäste wie die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff, die positive Zeichen setzten, und das nicht nur hinsichtlich des unabhängigen Kurses, den viele lateinamerikanische Länder eingeschlagen haben, sondern ganz handfest, indem Rousseff kurzerhand ganze 900 Millionen US-Dollar, mit denen Afrika in Brasilien verschuldet ist, annullierte. Vor allem aber sind es die zahlreichen Graswurzelbewegungen, die sich auf der Feier und in ihrem Umfeld vernehmbar machten, die beweisen, daß der Widerstand gegen den durch die Finanzkrise verschärften Neokolonialismus gerade auch in Afrika längst nicht gebrochen ist.

** Aus: junge Welt, Montag, 27. Mai 2013


Wenig Grund zum Feiern

Von Martin Ling ***

Von ihrem Ursprungsziel ist die Afrikanische Union (AU) noch weit entfernt: Vor 50 Jahren trafen sich 32 Staatschefs gerade unabhängig gewordener afrikanischer Staaten in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba, um die Organisation der afrikanischen Einheit zu gründen, die seit 2002 unter AU firmiert. Das ambitiöse Vorhaben, die auf der Berliner Konferenz 1884/85 festgelegte willkürliche Aufteilung Afrikas zu überwinden, ist auch 2013 nicht in Sicht. In der AU sind zwar bis auf Marokko, wegen des Westsahara-Konflikts, alle Staaten vertreten, doch gemeinsame Schlagkraft entwickeln sie selten – dafür sind die Interessen und die Abhängigkeiten meist zu unterschiedlich.

Formal sind die afrikanischen Staaten zwar unabhängig. Doch real besteht sowohl die koloniale Weltwirtschaftsordnung in ihren Grundzügen, die Afrika als Rohstofflieferant am unteren Ende der Wertschöpfungskette festschreibt, als auch die massive politische und militärische Einflussnahme allen voran Frankreichs fort – ob in Libyen, Mali oder der Zentralafrikanischen Republik, um nur drei Beispiele zu nennen.

Es gibt durchaus Fortschritte in vielen Sektoren, ob bei Bildung, Armutsbekämpfung, nie flächendeckend, aber dennoch signifikant. Der qualitative Bruch, den Thomas Sankara 1987 kurz vor seiner Ermordung vor der OAU einforderte, steht indes weiter aus: Eine Verweigerung des Schuldendienstes und das Besinnen auf die eigenen Kräfte, statt weiter am Tropf der »Entwicklungshilfe« zu hängen.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 27. Mai 2013 (Kommentar)


Zurück zur Afrika-Seite

Zurück zur Homepage