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Kriegerische Safari

Kolonialheld Lettow-Vorbeck – Mythos und Wirklichkeit

Von Julius Waldschmidt *

Der Mann, der sich auf dem Titelbild mit »Südwester« auf dem Kopf vorstellt, galt in militär-frommen deutschen Familien als Vorbild, auch noch in der Weimarer Republik und sogar noch in der Bundesrepublik Deutschland. Im Lexikon der schlesischen Großmutter liest man: »Lettow-Vorbeck, Paul, preußischer General, befehligte 1913-18 die Schutztruppe in Deutsch-Ostafrika.« Seit 1964 heißt diese einstige deutsche Kolonie Tansania.

Die kriegerische Safari dieses Mannes, dessen Name jüngst auch in einem ZDF-Dreiteiler (»Afrika, mon amour«) mehrfach und beiläufig-nett fiel (in Horst Köhlers Rede in Afrika jüngst hingegen nicht einmal genannt war), begann in Ostasien und fand in Afrika ihren zweifelhaften Ruhm. Uwe Schulte- Varendorff zeichnet diese, gestützt auf 300 Quellen und nicht mehr und nicht weniger als 22 Publikationen aus Lettows Feder nach. Das »Amt für weltanschauliche Schulungen« der Hitlerjugend ordnete dessen Pamphlete im Juni 1937 in die »Blätter für Heimabend-Gestaltung«. Es war die Zeit, als Hitler deutsches Heldentum und deutsche Opfer wieder lauthals beschwor und insgeheim die Rüstung zum Zweiten Weltkrieg auf Hochtouren lief. Der »Löwe von Afrika« diente sich dem »Führer« nur allzu gerne an.

1870 in Saarlouis als Sohn eines Offiziers geboren und im Kadettenkorps in Potsdam und Berlin geschult, half er zunächst bei der Niederschlagung des sogenannten Boxer-Aufstandes in China. Nachdem er zur Südwest-Afrika-Truppe des Generals Lothar von Trotha kam, der als erbarmungsloser Schlächter der Hereros und Nama-Rebellen noch heute in Afrika unvergessen ist, begann seine eigentliche blutige »Helden«-Karriere, die das Bejubeln seiner erfolgreichen Abwehr einer britischen Lande-Operation bei Tanga nicht zu kaschieren vermag. Die Gewaltmärsche durch halb Afrika, zu denen er seine Soldaten und ungezählte einheimische Träger zwang, banden zwar in der Tat viele gegnerische Einheiten, kosteten aber auch nach Schätzung des Regierungsarztes Dr. Karl Moestra 100 000 Menschenleben. Bis tief hinein in Mosambik (damals portugiesisch), nach Sambia und an die Grenzen der an Bodenschätzen reichen Katanga-Provinz (ehemals belgisch) stieß er vor. Es heißt, Lettow-Vorbeck habe den Vormarsch an den Südatlantik, die Westgrenze von Angola geplant. Das Vorhaben durchkreuzte der Kriegsverlauf in Europa. Im November 1918 musste seine Truppe an einem Zufluss des Sambesi kapitulieren.

Alle Krisenlagen habe er »hervorragend gemeistert«, heißt es. Und das meint wohl, dass Lettow- Vorbecks Karriere mit dem Ende der deutschen Kolonialmacht nicht beendet war. Anfang März 1919 traf er in Berlin ein und meldete sich bei Reichswehrminister Gustav Noske, wurde wenige Tage später Führer einer Reichswehr-Brigade, die im Jahr darauf den Kapp-Lüttwitz-Putschisten gegen »die Roten« zur Seite stand. Lettow-Vorbeck, im Oktober 1920 aus den Streitkräften der Republik entlassen, fand eine neue politische Heimat im antidemokratischen und antisemitischen Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten sowie in der Deutsch-Nationalen Volkspartei (DNVP) des Alfred Hugenberg.

Obwohl sein Name untrennbar auch mit mörderischem Geschehen im Zweiten Weltkrieg verbunden ist, blieb Lettow-Vorbeck im Nachkriegs-Westdeutschland ein Held. Er wurde 1964 mit allen militärischen Ehren in Pronstorf (Schleswig-Holstein) bestattet. Angeordnet hatte dies Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel, ein Farmersohn, der von einer afrikanischen Kinderfrau versorgt und betreut worden war. Als Staatsgäste eingeflogen hatte man zwei Askaris der Lettow-Truppe. Im Nachruf auf den General, der am Völkermord an den Herero und Nama beteiligt war, stand die faustdicke Lüge, der Verstorbene habe »das Gesetz der Menschlichkeit, der Sitte und des Rechts eingehalten«.

Der Mythos vom tapferen deutschen Soldaten und seinen treuen Afrikanern hielt sich bis in die 80er Jahre. Noch 1980 vermeldeten die »Daily News« in Daressalam, Lettow-Askaris hätten aus den Händen eines Mitarbeiters der bundesdeutschen Botschaft zu Weihnachten einen Ehrensold erhalten. Der Hamburger Publizist Ralph Giordano zerfetzte die Legende mit seinem Buch über die »Traditionslüge« und den »Kriegerkult« in der Bundeswehr. Schulte-Varendorff untermauert die Demontage mit seiner ausführlichen, solide-kritischen Biografie.

Uwe Schulte-Varendorff: Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck. Ch. Links, Berlin 2006. 217 S., geb., 24,49

* Aus: Neues Deutschland, 18. Januar 2007


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