Der Osten Afrikas wartet auf Regen
Mensch und Vieh leiden in Kenia, Somalia und Äthiopien unter der bisher schlimmsten Dürre
Von Marc Engelhardt, Kajiado *
In Ostafrika bahnt sich die schlimmste Dürrekatastrophe seit Jahrzehnten an: Weil seit Jahren kaum
noch Regen gefallen ist, sind schon jetzt 20 Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe
angewiesen.
Wer von Kenias Hauptstadt Nairobi nach Süden zum Amboseli-Nationalpark am Fuß des
Kilimandscharo fährt, erlebt normalerweise das Land aus dem Bilderbuch: eine weite, von
Schirmakazien und Dornbüschen begrünte Savanne, durch die in rote Tücher gehüllte Hirten ihre
Viehherden treiben. Doch seit ein paar Monaten hat sich das Bild radikal gewandelt. In der staubigen
Einöde rund um den Handelsposten Kajiado ist kein Farbtupfer mehr zu sehen. »Noch keine Dürre
war so schlimm wie diese«, sagt der Massaihirte Mengeti Ole Lomni. Seit drei Jahren hat es hier
kaum noch geregnet, die letzte Regenzeit ist ganz ausgefallen. Wasser ist Mangelware, die meisten
Brunnen sind ausgetrocknet. Der Durst ist das einzige, was für die Bevölkerung derzeit noch
schlimmer ist als der Hunger.
Um an Wasser für ihre Familie zu kommen, muss Miriam Kirange zwei Stunden vor Sonnenaufgang
aufstehen. »Sieben Kilometer ist das nächste Bohrloch entfernt, die anderen sind alle trocken
gefallen«, berichtet die 28-Jährige. Einen 20-Liter-Kanister hat sie auf dem Kopf getragen, sechs
weitere an ihren Esel geschnallt. Für ihren Mann und die drei Kinder reicht das Wasser für ein bis
zwei Tage, dann muss sie wieder los. Manchmal, sagt Kirange, ist der Andrang schlicht zu groß.
»Ich habe schon am Bohrloch übernachten müssen, weil die Schlange so lang war.«
Die Lage ist anderswo ähnlich verheerend. Die Regierung hat angekündigt, in dieser Woche den
Ausnahmezustand auszurufen. Für mehr als 20 Millionen Menschen in Kenia, Somalia und
Äthiopien, so steht es in einer Analyse der US-Entwicklungshilfebehörde USAID, ist die
Nahrungsmittelversorgung nicht mehr gesichert. Denn mit dem Regen ist auch die Ernte
ausgeblieben. Ein Paket Maismehl, Grundnahrungsmittel der meisten Kenianer, kostet derzeit fast
einen Tagelohn. Landwirtschaftsminister William Ruto rechnet frühestens in einem Jahr mit einer
Besserung der Versorgungslage.
Besonders schlimm trifft es Nomaden wie die Massai, deren Vieh zu verhungern und zu verdursten
droht. Verkaufen lohnt sich nicht, weil für die klapperdürren Kühe auf dem Markt gerade mal noch
zehn Euro gezahlt werden – normalerweise ist es vierzig Mal so viel. In vielen Dörfern wird das Vieh
deshalb notgeschlachtet. »Früher konnten wir mit unseren Herden zu anderen Plätzen ziehen, wo es
mehr Wasser und mehr Gras gab, aber diesmal ist es überall trocken, wir können nirgendwo hin«,
erklärt Ole Lomni. In ihrer Not fällen immer mehr Massai die Akazienwälder, die einst die Ebene
bedeckten, um das Holz an Köhler zu verkaufen.
»Die Folgen der aktuellen Dürre sind schlimmer als alles, was ich in meinen acht Jahren in der
Region gesehen habe«, sagt auch Iris Krebber von der Deutschen Welthungerhilfe. Zwar hat Kenias
Regierung öffentlich eine »Großoffensive gegen den Hunger« gestartet. Unter anderem sollen
Armee und Polizei auf dem Land Nahrungsmittelhilfen verteilen. »Aber ich frage mich, was die
verteilen wollen«, wundert sich Krebber. Offiziellen Angaben zufolge liegen in den staatlichen Silos
noch zweieinhalb Millionen Sack Mais, normalerweise sind es acht Millionen. Hunderttausende
Säcke sollen korrupte Ministerialbeamte unterschlagen haben. Helfer wie Krebber haben zudem das
Problem, das in der nach den Unruhen 2008 neu gebildeten Mammutregierung die Zuständigkeiten
völlig ungeklärt sind.
»Auf die Regierung zu hoffen, bringt nichts«, glaubt der gebeugte Massaihirte Nentiti ole Kolila.
»Unsere einzige Hoffnung ist, dass es im November regnet.«
Doch Kenias Meteorologen sind skeptisch. Sie sagen nur wenige Regenfälle voraus. In Kajiado soll
es trocken bleiben – außer, es gibt wieder ein El-Niño-Jahr wie zuletzt 1997/98. Damals zerstörten
sintflutartige Regenfälle ganze Ortschaften, Wasserdämme und hunderte Kilometer Straßennetz. In
einem Monat, so glauben die Wetterforscher, wird man wissen, ob sich dieses Ereignis wiederholt.
Ole Kolila, der El Niño vor mehr als zehn Jahren miterlebt hat, hofft fest darauf. »Hauptsache, es
regnet, sonst sterben nach dem Vieh auch die Menschen hier.«
* Aus: Neues Deutschland, 19. August 2009
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