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Spenden für die Schweiz

Henning Andresens Buch über Entwicklungshilfe für Afrika

Von Ulrich van der Heyden *

Eine nicht alternde Frage stellt Henning Andresen in dem Band »Staatlichkeit in Afrika. Muß Entwicklungshilfe scheitern?« in den Mittelpunkt: die nach der Effektivität der europäischen Entwicklungshilfe für Afrika. Sind Kolonialismus und Neokolonialismus immer noch Ursachen ihrer weitgehenden Unwirksamkeit? Nicht nur ausgesprochene Kritiker fragen das, auch jeder Afrikareisende, der sich abseits von Touristenpfaden bewegt. Schließlich ist die Entwicklungshilfe längst ein attraktiver Beschäftigungszweig geworden, allein in Deutschland verdienen damit Zehntausende ihre Brötchen.

Aber sie tun offenbar Gutes. Man könnte zumindest annehmen, daß sie seit der staatlichen Unabhängigkeit der meisten Länder auf dem »schwarzen Kontinent« bedürftigen Menschen Spenden oder fiskalische Gelder bringen. Aber was wurde daraus? Der Bedarf an Unterstützung läßt nicht nach. Gibt es sichtbare Erfolge? Kam es zum Anschluß an die Weltwirtschaft?

Die Antwort lautet, daß der Ertrag für die Afrikaner ziemlich gering ist. Andresen fragt nun, ob sie wirklich nur Opfer sind? Immerhin gibt es den für jeden Afrika-Besucher sichtbaren Reichtum der jeweiligen Oberschichten, der oft Anlaß für die müßige Frage ist, warum diese Leute nichts gegen die Armut in ihren Ländern unternehmen. Müßig, weil wie in Europa die afrikanischen Reichen und Machthaber von der Ausbeutung ihres Kontinents leben. Sie zahlen ihre Gelder, die nicht zuletzt aus Spenden stammen, auf Nummernkonten in Europa ein, so daß die Schweiz laut dem schwedischen Autor Henning Mankell zum größten Nutznießer der Entwicklungshilfe geworden ist. Unterstützung bei diesen Transfers erhalten die illegalen Profiteure oft genug von staatlichen Stellen und/oder Politikern afrikanischer Regierungen.

Machterhalt

Wie kann man dies einem Menschen in Europa erklären, der z. B. für Afrika spendet? Der Autor versucht dies, indem er das wechselseitige Verhältnis zwischen afrikanischem Staat, Soziokultur und Entwicklungshilfe allgemeinverständlich darlegt. Andresen analysiert in vier jeweils in mehrere Kapitel übersichtlich gegliederten Komplexen, wie die meisten afrikanischen Staaten zu einem Instrument von Machterhalt und Selbstbereicherung verkommen sind und wie die schwache Staatlichkeit Entwicklung und erfolgreiche Auslandshilfe behindert. Ebenso zeigt er auf, wie letzere und andere ausländische Interventionen die Leistungsfähigkeit afrikanischer Staaten sogar mindern. In den ersten zehn Kapiteln schildert er an vielen Beispielen, warum die meisten Afrikaner ihren Staat als fremd wahrnehmen und ihn zur Selbstbedienung mißbrauchen. Dabei wird deutlich, daß Andresen der These des Soziologen Max Weber über den Neopatrimonialismus anhängt. Er bringt dafür wichtige Belege, wie den überall offensichtlichen Klientelismus, Zentralisierung der Macht, Vetternwirtschaft und zum Teil kriminell weltweit agierende mafiaähnliche Netzwerke. Im zweiten Teil arbeitet der Verfasser kenntnisreich heraus, inwiefern die schwache Staatlichkeit nicht zuletzt auf soziokulturelle Faktoren zurückzuführen ist. Denn die Profiteure des neopatrimonialen Systems sind nicht geborene Verbrecher, die sich seit Kindheitstagen auf Kosten der eigenen Bevölkerung (und letztlich auch der europäischen) bereichern.

Regierungsführung

Dem Nutzen bzw. Schaden der Entwicklungshilfe widmet Andresen den dritten Teil seiner Arbeit. Er zählt nicht nur die Mißerfolge auf, sondern geht auch auf Erfolgsgeschichten ein und benennt neue Herausforderungen. Im letzten Komplex versucht er, Wege aus der Sackgasse aufzuzeigen – u. a. Verbesserung der Regierungsführung und Verhinderung von Gewaltausbrüchen.

Das Buch macht nicht mutlos, aber Andresen kommt zu der als nicht besonders sensationell zu bezeichnenden Schlußfolgerung, daß »angesichts der zu erwartenden Widerstände von interessierter Seite und bisherigen Erfahrungen mit Reformempfehlungen bestenfalls mit einer langsamen Umsetzung« zu rechnen ist. Ihm ist vorbehaltlos zuzustimmen, daß am ehesten die zunehmende Kritik aus Afrika selbst einen Grund für Hoffnung gibt. Je weniger es gelingt, die Regierungsführung zu verbessern, in der Region verbreitete Werte und Einstellungen zu verändern und die internen Probleme der Entwicklungshilfe zu überwinden, umso weniger kann sich Afrika entwickeln und umso weniger wirksam wird die ausländische Hilfe sein. Ziemlich resigniert stellt Andresen fest: »Ohne größere Verbesserungen der Politikkohärenz wird die Entwicklungshilfe weiterhin – zumindest auch – als ein Feigenblatt für andere Versäumnisse der reichen Länder dienen«. Trotz des niederschmetternden Fazits hat der Afrika-Kenner mit diesem Buch einen konstruktiven Beitrag zur Debatte geliefert.

Henning Andresen: Staatlichkeit in Afrika. Muß Entwicklungshilfe scheitern? Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt/Main 2010, 216 Seiten, 19,90 Euro

* Aus: junge Welt, 4. Juli 2011


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